Mittelbayerische Zeitung: Eine Lehre für die Politik
Über viele Jahre glaubte Deutschland der OECD und wollte möglichst viele Akademiker.
Geschrieben am 20-09-2019 |
Regensburg (ots) - Die Bertelsmann-Stiftung hebt mahnend den
Finger: Bayern müsse mehr dafür tun, die Berufsausbildung attraktiver
zu machen, hieß es in dieser Woche. Tatsächlich ist die Zahl der
unbesetzten Lehrstellen in Bayern binnen zehn Jahren um mehr als das
Dreifache gestiegen. Dieses Problem ist nicht nur der Prosperität
Bayerns und dem demografischen Wandel geschuldet, auch nicht vom
Freistaat oder den Betrieben hausgemacht. Es ist auch die Konsequenz
einer fatalen Fehleinschätzung der deutschen
(Berufs-)Bildungslandschaft. Vor knapp 20 Jahren machte ein Warnruf
der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) Schlagzeilen: "Deutschland hat zu wenig Studenten!" Die
Besonderheiten der beruflichen Ausbildung hierzulande hatten die
Statistiker der OECD nicht im Blick. Sie dachten, nur Hochschulen
brächten die für die Zukunft dringend benötigten Fachkräfte hervor.
Falsch gedacht. Fast zwei Jahrzehnte später preist die OECD das
deutsche duale System in höchsten Tönen. Der Meister und der
Techniker stehen auf einer Ebene mit dem Hochschulabsolventen.
Überall dort, wo die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist, interessiert
sich die Regierungen brennend für den hochwertigen Ausbildungsweg
"made in Germany". Auch die deutsche Politik, die der OECD lange brav
folgte und sich eine höhere Akademikerquote auf die Fahnen schrieb,
hat eingesehen, dass sie auf dem Holzweg war. "Wir steigern die
Attraktivität der beruflichen Bildung, sie ist für uns gleichwertig
mit der akademischen Bildung." So steht es im Koalitionsvertrag der
GroKo. Eine späte, wichtige Erkenntnis. Dass ausgerechnet der
Freistaat von der Stiftung getadelt wird, ist deshalb bemerkenswert,
weil das bayerische Schulsystem die Betriebe lange Zeit mit
ausreichend qualifizierten Lehrlingen versorgte. Gerade auf dem Land
ist die Lehrstelle eben keine Resterampe für junge Leute, die es
nicht an die Uni geschafft haben. Hier hatten auch der Hauptschul-
und der Realschulabschluss noch lange den ihnen gebührenden
Stellenwert. Das bayerische Abitur galt als elitär. Dann kam der
politisch forcierte "Akademisierungswahn": So benannte der Philosoph
Julian Nida-Rümelin einen leicht hysterischen Zustand, der auch jedes
Jahr im Frühjahr zehntausende Eltern an den Rand ihrer Kräfte bringt.
Dann nämlich, wenn an der Grundschule der Übertritt ans Gymnasium
ansteht und sich scheinbar die Zukunft der gerade Zehnjährigen ein
für alle Mal entscheidet. Hier kann eine Offensive der
Landesregierung gerne ansetzen: Eltern klarmachen, dass ihrem Kind am
Ende alles offen steht, auch wenn es nicht nach der 4. Klasse ans
Gymnasium wechselt. Das bayerische Bildungssystem ist so durchlässig
wie nie. Man kann es auch über eine Berufsausbildung an die
Hochschule schaffen. Überhaupt muss in der Schule angesetzt werden:
Bayern darf nicht zulassen, dass junge Menschen ohne Abschluss -
immerhin sechs Prozent - oder mit rudimentären Rechen-, Lese- und
Schreibkenntnissen ins Leben hinausgehen. Diese Defizite
auszugleichen, kann nicht Aufgabe eines Ausbildungsbetriebs sein. Die
Betriebe müssen sich ihrerseits bemühen, attraktive Arbeitgeber zu
sein. Wenn Lehrlinge wie billige Arbeitskräfte eingesetzt werden,
spricht sich das herum und schreckt ab. Ausbildende Betriebe sollten
mit breiten Schultern auftreten und klarmachen, dass das Handwerk
Selbstverwirklichung, Karrierechancen und gute Verdienstmöglichkeiten
birgt. Und die Politik sollte sich hüten, deutsche Stärken zugunsten
einer europäischen oder internationalen "Harmonisierung"
preiszugeben. Schon gar nicht, wenn sie Nivellierung nach unten
bedeutet.
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Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
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