Mittelbayerische Zeitung: Placebos für die Mieter / Bezahlbaren, attraktiven Wohnraum wünschen sich alle in den bayerischen Metropolregionen. Zwei Initiativen wollen vermeintliche Lösungen anbieten.
Geschrieben am 13-10-2019 |
Regensburg (ots) - Dass der Traum vom zentrumsnahen eigenen
Häuschen im Grünen ein fataler ist, davor warnen Städteplaner schon
seit langem: Im Hinblick auf die optimale Wohnraumnutzung ist kaum
etwas ineffizienter als die eigenen vier Wände mit Garten.
Nachverdichtung ist daher die Option, die in vielen großen Städten
als Ultima Ratio gegen den Wohnungsmangel gilt. Der nüchternen
Planersicht allerdings stehen all jene Skeptiker gegenüber, die vor
20-stöckigen Hochhäusern dort warnen, wo einst Omas Häuschen stand,
vor versiegelten Betonflächen statt blühenden Gärten, vor Verkehrs-
und Klimakollaps. In München hat sich jetzt ein Bündnis aus ÖDP,
Freien Wählern und anderen Initiativen zusammengefunden, das mit
einem Bürgerbegehren die "maßlose Nachverdichtung" in der Hauptstadt
stoppen will. Mehr Grünfläche pro Einwohner, weniger
Wohnungsneubauten und weniger Gewerbeneubauten fordert das Bündnis.
Gewerbeneubau, so die These, locke noch mehr Neubürger an, für die
dann wiederum mehr Wohnungen benötigt würden. Und alle
Wohnungsneubauten in den vergangenen Jahren hätten auch nicht zu
sinkenden Mieten geführt. Umso wichtiger sei es nun, vorhandene
Grünflächen zu erhalten. Die Initiative ist nicht die einzige, die in
diesen Monaten vor den Kommunalwahlen das Thema Wohnen ganz nach oben
auf die politische Agenda setzt. Auch das "Bürgerbegehren
Mietenstopp", initiiert unter anderem vom Deutschen Mieterbund, der
SPD und der Linken, hat am vergangenen Mittwoch mit dem Sammeln der
Unterschriften begonnen. Ziel hier: In 162 bayerischen Städten
Mieterhöhungen in laufenden Mietverhältnissen für sechs Jahre zu
unterbinden - als "Atempause", in der Hoffnung, dass sich die Lage
auf dem Wohnungsmarkt in sechs Jahren durch geeignete politische
Maßnahmen entspannt hat. Beiden Initiativen ist große Aufmerksamkeit
gewiss, denn sie richten sich an all die vielen, die unter mangelnder
Wohnqualität, steigenden Mieten und fehlenden Wohnungen leiden. Und
sie bieten scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme: Wer
kann in Zeiten von Klimawandel und Bienensterben denn ernstlich dafür
sein, blühende Gärten durch Beton zu ersetzen? Und wer ist schon
dagegen, dass die Mieten nicht weiter steigen dürfen? Es ist dem
Instrument des Bürger- bzw. Volksbegehren inne, dass komplexe Inhalte
zu einfachen Fragen komprimiert werden müssen. Und dennoch: Wenn über
Inhalte jenseits einfacher Ja-/Nein-Fragen - wie beim Volksbegehren
Nichtraucherschutz oder beim Bürgerbegehren zur Dritten Startbahn -
entschieden werden soll, sind konkrete Handlungsempfehlungen für die
Politik eigentlich unabdingbar. Denn die Grenze zum Populismus ist
hier schmal: Wer nur einen Mietenstopp fordert, ohne diesen mit ganz
konkreten Maßnahmen zur Entlastung des Wohnungsmarktes zu verbinden,
wird keine positive Veränderung erreichen. Und ein einfaches nein zu
mehr Neubauten hilft auch niemandem weiter. Das Volksbegehren
Artenschutz war deshalb erfolgreich, weil es für ein drängendes
Problem konsensfähige, umsetzbare Lösungsansätze angeboten hat. In
der Städteplanung und Wohnungsbaupolitik der Metropolregionen sind
die nicht in Sicht - zu diffus sind die Gemengelagen zwischen
profitorientierten Investoren, Natur- und Bestandsschützern, zwischen
jenen die ihren Traum vom zentrumsnahen eigenen Häuschen im Grünen
leben und jenen, die einfach nur verzweifelt eine Wohnung suchen,
zwischen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen
Interessensvertretern. Da helfen die jetzt auf dem Tisch liegenden
Begehren in der Debatte um attraktiven, bezahlbaren Wohnraum nur in
einer einzigen Weise: Sie halten ein drängendes Problem im Wahlkampf
präsent. Echte Verbesserungen auf dem Wohnungsmarkt oder für das
Leben in der Stadt aber sind von ihnen nicht zu erwarten.
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Mittelbayerische Zeitung
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