WHU-Untersuchung: So systematisch entwickeln Familienunternehmen Innovation - dabei setzen sie eher auf Evolution als Disruption (FOTO)
Geschrieben am 16-10-2019 |
Frankfurt am Main (ots) -
Familienunternehmen und Mittelständlern wird vielfach fehlende
Innovations- und Digitalisierungsfähigkeit unterstellt. Die Realität
sieht anders aus: Viele tradierte deutsche Unternehmen haben bereits
Innovationszentren und eigene Einheiten gegründet, die gezielt neue
Produkte und Geschäftsmodelle entwickeln. Dabei offenbaren sich
grundsätzliche Unterschiede zu Start-Ups als auch zu Konzernen. Eine
Untersuchung der WHU Otto Beisheim School of Management und der
Beratungsgesellschaft ANDERSCH gibt erstmals quantitative und
qualitative Einblicke.
- Nur acht Prozent beteiligen ihr Management an den neu
geschaffenen Innovationseinheiten als Teilhaber
- 'Innovation Hubs' bleiben eng an das Unternehmen angebunden - in
rund einem Viertel der Fälle erfolgte die Ausgründung einer
eigenständigen Gesellschaft
- Solidität vor Kreativität: Chancen werden konsequent ergriffen,
aber radikal neue Ideen finden seltener Einzug
"Konzerne und Start-Ups bestimmen in den letzten Jahren die
öffentliche Debatte um Innovation in Deutschland, weil 'Investment
Hubs' und 'Inkubatoren' intensiv in der Presse als relevante Vorstöße
in der Unternehmensentwicklung beworben worden sind", sagt Professor
Nadine Kammerlander, Leiterin des Lehrstuhls Familienunternehmen an
der WHU, die diese Studie inhaltlich begleitet hat. "Deutsche
Familienunternehmen sind da ganz ihrem Naturell nach deutlich
stiller. Sie hängen ihre Vorstöße nicht immer an die große Glocke.
Darum sind wir sehr froh, dass wir hier einen intensiven Einblick
erhalten haben."
Insgesamt ist es den Forschern der WHU gelungen, persönliche
Interviews mit 37 Unternehmen zu führen, deren Umsatz im Durchschnitt
748 Mio. Euro betragen hat. Ein Fünftel (22 Prozent) der Unternehmen
hat einen Umsatz von bis zu 100 Mio. Euro erzielt, 16 Prozent lagen
über 1 Mrd. Euro. Nadine Kammerlander sagt: "Viele der Unternehmen
haben in der Öffentlichkeit bisher noch nie über ihre Aktivitäten im
Bereich der Innovationsentwicklung berichtet. Die Gespräche haben uns
einen Einblick gegeben, mit welchen Maßnahmen der deutsche
Mittelstand Innovation systematisch entwickelt."
Grundlegende Unterschiede zu Start-Ups und dem Vorgehen von
Konzernen werden deutlich
Ähnlich wie den Konzernen war allen in die Untersuchung
einbezogenen Familienunternehmen bewusst, dass sich grundlegende
Veränderung in Produkten oder Geschäftsmodellen nicht in der
vorhandenen Struktur und mit den bisherigen Prozessen des
Unternehmens abbilden lassen. Darum haben auch die untersuchten
Betriebe eigene Einheiten eingerichtet, die aus der bisherigen
Umgebung graduell herausgelöst worden sind, um sich gezielt mit
Innovation und dazu notwendiger Investition zu beschäftigen. "Die
Familienunternehmen nutzen dazu das, was wir 'Internes Corporate
Venturing' nennen", sagt Nadine Kammerlander. "Das heißt: Die meisten
dieser Einheiten sind nicht sofort eigenständig, sondern entwickeln
sich aus der bestehenden Struktur heraus - in Projektteams, aus
Abteilungen oder durch interdisziplinäre, zunächst nicht formell
organisierte Zusammenarbeit. Erst wenn die ersten konkreten
Ergebnisse greifbar sind, folgt eine organisatorische Zusammenlegung
zu einer neuen Einheit, die dann gezielt an der Weiterentwicklung
dieser Ergebnisse arbeitet."
Die Untersuchung hat ergeben, dass Familienunternehmen in Aufbau,
Entwicklung und Führung ihrer Organisationseinheiten für Innovation,
Digitalisierung und Investition anders vorgehen als Konzerne und
Startups. Das soll in der Folge verdeutlicht werden:
1. Risiken werden klein gehalten - Chancen konsequent ergriffen
Familienunternehmen betätigen sich nur selten als Förderer oder
Investoren von Ideen, die keine greifbaren Erfolge versprechen. Sie
gehen in den meisten Fällen Schritt für Schritt vor: Ideenfindung,
danach Validierung, erst dann Stück für Stück mehr Ressourceneinsatz.
Das machen Start-Ups aber auch viele Konzerne anders: Sie neigen zu
einem hohen Risiko mit der Hoffnung, eine bahnbrechende Idee für
Produkte und Geschäftsmodelle ins Portfolio zu holen. Dazu stellen
sie sofort mehr Kapital zur Verfügung, ermöglichen damit
Geschwindigkeit im Aufbau und schnellere Skalierungs- und
Wachstumschancen. Mit dem Risiko, den vollen Einsatz zu verlieren.
"Das können und wollen sich viele Unternehmerfamilien nicht leisten",
sagt Nadine Kammerlander. "Sie investieren seit jeher vorsichtiger,
denn es geht um ihr eigenes Geld und eine zu hohe Investition kann
den Familienzusammenhalt sprengen. Gleichzeitig ergibt unsere
Untersuchung jedoch, dass sie sehr systematisch und konsequent
vorgehen, wenn sie eine mögliche geschäftliche Chance mit hohem
Realisierungspotenzial sehen. Dafür senken Familien auch schon einmal
die jährliche Ausschüttung, um das Kapital zu reinvestieren."
2. Finanzierung auf Basis von Jahresbudget - gesichert, aber
unflexibel
Im Vorfeld werden notwendige Kosten der Innovationseinheiten von
Familienunternehmen geschätzt und ein Jahresbudget wird zugewiesen.
Damit sind die Kosten gedeckelt. Das hat den Charme, auch hier in
sicherer Umgebung agieren zu können, da der Aufwand für alle Seiten
transparent ist. Nadine Kammerlander sagt: "Allerdings gibt es in
diesem Ansatz auch weniger Flexibilität, auf unerwartete
Gelegenheiten unmittelbar zu reagieren, wenn das Geld schon verplant
ist." Start-Ups haben eine größere Manövrierfähigkeit, da sie ihre
Liquidität häufig mit Finanzierungsrunden sicherstellen. Sie treten
Stück für Stück Anteile an neue Investoren ab und können damit sehr
schnell Kapital akkumulieren. Das können sie dann ohne feste Planung
flexibel einsetzen. "Stellt ein Start-Up mitten im Jahr fest, dass
dringend Geld für mehr Personal oder eine spezifische Maßnahme
notwendig ist, wird es versuchen, dieses Kapital am freien Markt zu
besorgen", sagt Nadine Kammerlander. "Dieser Weg steht den internen
Einheiten der Familienunternehmen häufig nicht offen. In unserer
Untersuchung haben nur zwei sehr große Unternehmen dieses flexiblere
Modell genutzt und damit Kapital gegen Anteile getauscht."
3. Management muss selbst nicht ins Risiko - wird aber auch an
Erfolg nicht beteiligt
Ebenso wie dritte Kapitalgeber beteiligen Familienunternehmen nur
sehr selten ihr Top-Management der Innovationseinheiten durch Anteile
am Erfolg. "In der vorliegenden Stichprobe haben nur drei von 37
Unternehmen angegeben, ihr Management am Erfolg durch 'Equity' zu
beteiligen - sofern diese nicht ohnehin als aktive Familienmitglieder
Teilhaber des Gesamtunternehmens sind", sagt Nadine Kammerlander.
Damit gehen die Führungskräfte kein eigenes finanzielles Risiko ein.
"Sie werden aber auch eines wichtigen Motivationsfaktors beraubt.
Gerade bei Start-Ups ist es vollkommen normal, mehrere Gründer bis in
späte Phasen hinein am Unternehmen beteiligt zu halten. Das erzeugt
Bindung. Viele digitale Köpfe wollen das. Familienunternehmen
entgehen damit sicherlich exzellente Talente, die ein Modell, in dem
sie nicht selbst eine Beteiligung halten können, als nicht relevant
erachten. Denn sie wollen Unternehmerinnen und Unternehmer sein,
keine klassischen Angestellten."
4. Enge Anbindung an Unternehmen fördert Dialog - kostet jedoch
Autonomie
"Während nach unserer Beobachtung Konzerne ihren 'Hubs' häufig
bewusst hohe Autonomie einräumen, Venture-Capital-Geber den Start-Ups
operativ freie Hand lassen, ist die Anbindung der Digital- und
Innovationszentren bei Familienunternehmen an die Führung des
Gesamtunternehmens doch sehr eng", sagt Nadine Kammerlander. Das hat
durchaus Vorteile: die Kommunikationswege sind kurz, Ziele lassen
sich sehr flexibel re-justieren und Unternehmen und 'Hub' arbeiten
nicht aneinander vorbei. "Gleichzeitig kostet das aber auch
Autonomie. Wir haben festgestellt: Bei vielen relevanten
Entscheidungen war es nach wie vor notwendig, dass rein formell die
bestehende Geschäftsführung der Familie entscheidet - nicht die
Führungskräfte in der neuen Einheit. Die Gefahr, dass kreative Ideen
in einem größeren Maße sich so doch nicht Bahn brechen können, ist
durchaus vorhanden." Im Falle der untersuchten Unternehmen waren nur
in 10 Fällen separate Gesellschaften gegründet worden. In 16 Fällen
wurden die Innovationseinheiten in bestehende Unternehmensbereiche
und -abteilungen integriert, in zwölf Fällen neue Bereiche gegründet.
5. Mitarbeiter kommen aus dem eigenen Unternehmen oder werden nach
Fachkompetenz rekrutiert - selten aus dem Start-Up Umfeld
Familienunternehmen setzen bei der personellen Ausstattung vor
allem auf bewährte Kräfte, die das Unternehmen bereits sehr gut
kennen und dort Innovation vorantreiben wollen. Hat ein Vorhaben
einen höheren Reifegrad erreicht und werden Kompetenzlücken, zum
Beispiel bei Cloud-Computing oder Data Analytics, festgestellt,
werden gezielt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit diesen
Kompetenzen rekrutiert. Dabei kommen diese aber selten aus dem
Eco-System der nationalen oder internationalen Start-Ups.
"Familienunternehmen setzen auch hier eher auf Solidität als
Kreativität", sagt Nadine Kammerlander. "Sie erleichtern damit
erheblich die Integration der neuen Mitarbeiter, verringern aber auch
die Chance auf wirklich radikal neue Ideen und Produkte. Vielen fehlt
dazu nicht einfach nur der Mut. Diese Talente sind schlichtweg
äußerst schwierig dafür zu gewinnen, zu einem deutschen
Traditionsunternehmen zu wechseln, das sein Corporate Venturing wie
in der hier beschriebenen Form aufgebaut hat. Auch Konzerne tun sich
damit nach wie vor sehr schwer."
Mike Zöller, Partner bei der auf die Neuausrichtung von
Unternehmen spezialisierten Beratungsgesellschaft ANDERSCH, sagt:
"Die in dieser Studie nun wissenschaftlich belegten Ansätze zur
Innovationsgewinnung im deutschen Mittelstand sehen wir täglich in
unserer praktischen Arbeit. Wir nehmen wahr: Ganz der deutschen Seele
verhaftet setzen viele Unternehmerfamilien auf Sicherheit - ohne
dabei die Chancen aus dem Blickfeld zu verlieren. Es geht eher um
Evolution als um Disruption. Um wendiger und vielleicht noch radikal
innovativer zu werden, müssten sie allerdings deutlich höhere Risiken
eingehen. Welcher Weg den größeren Erfolg beschert, ist noch nicht
erwiesen. Wir möchten mit dieser Kontrastierung vor allem Anregung
geben, an der ein oder anderen Stelle zu überdenken, wie sich
Innovation noch gezielter 'produzieren' lässt."
Über die Untersuchung:
Die Studie wurde durchgeführt am Lehrstuhl für Familienunternehmen
der WHU Otto Beisheim School of Management unter der Leitung von
Prof. Dr. Nadine Kammerlander und mit Unterstützung der
Beratungsgesellschaft ANDERSCH. Es konnten 37 Unternehmen in
Familienhand in Form von persönlichen Interviews untersucht werden.
Ein Interview hat im Durchschnitt 72 Minuten gedauert. Die Interviews
wurden für eine ausführliche Auswertung im Anschluss an die Erhebung
nach Einwilligung der Teilnehmer elektronisch aufgezeichnet. Zum
Zwecke der Auswertung wurden alle Gespräche transkribiert. Dabei
ergaben sich insgesamt 1.316 Seiten transkribiertes Audiomaterial mit
einer Gesamtdauer von 47 Stunden.
Auszüge aus der Untersuchung sind auf Anfrage hier erhältlich:
http://ots.de/qLOAZO
Pressekontakt:
Andersch AG
Herr Mike Zöller
Neue Mainzer Straße 80
60311 Frankfurt am Main
T: +49 69 27229950
presse@andersch-ag.de
www.andersch-ag.de
Original-Content von: Andersch AG, übermittelt durch news aktuell
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