BERLINER MORGENPOST: Die Politik ist aufgewacht / Leitartikel von Alexander Dinger zum Kampf gegen Clans
Geschrieben am 24-10-2019 |
Berlin (ots) - Kurzform: Politik darf nicht die Fehler der
vergangenen Jahrzehnte wiederholen. Wenn ein Staat zulässt, dass sich
Milieus abschotten, weil sie nicht integriert werden und nicht
arbeiten können, fördert das geradezu das Abdriften in die
Kriminalität. Wenn Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden also mehr
Befugnisse fordern, aber nicht über Prävention reden, handelt es sich
lediglich um Populismus, der nicht an Lösungen interessiert ist.
Der vollständige Leitartikel: Mehr als 250 Einsätze gegen Clans in
diesem Jahr in Berlin, darunter mehr als 50 behördenübergeifende
Razzien. Diese Zahl kann sich sehen lassen. Und es scheint so, dass
Innensenator Andreas Geisel (SPD) Wort hält. Sein Staatssekretär
Torsten Akmann hatte vor nicht allzu langer Zeit verkündet, dass es
unter Geisel bis zum Ende der Legislatur 1000 Razzien geben werde.
Sicherheitskreise sagen, dass die Politik endlich den Rücken gerade
macht. Man spüre den Rückhalt, den man lange vermisst habe. Das
Handeln zeigt Wirkung. Behörden beobachten, wie Clans auf andere
Stadtteile und andere Betätigungsfelder ausweichen. Das führt
wiederum zu Verdrängungseffekten. Es reicht nicht mehr, nur über
Neukölln zu sprechen. Denn das, was aus Neukölln verschwindet, taucht
in Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder
Spandau wieder auf. Wenn jetzt jeder Bezirk einen Ansprechpartner für
Großeinsätze bekommt, wäre das ein Anfang. Mitarbeiter aus dem
Bezirksamt Neukölln sind bereits dabei, Kollegen in anderen Bezirken
zu schulen. Man müsse das Rad nicht neu erfinden, heißt es. Und man
könne Erfahrungen weitergeben. Es ist dieser neue Pragmatismus, der
in manchen Ämtern zu einer regelrechten Aufbruchstimmung führt.
Neukölln lehrt: Auf seinem Wissen zu sitzen und es nicht zu teilen,
wäre grob fahrlässig. Das führt aber direkt zu einem weiteren Punkt,
auf den Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) hinweist.
Repression sei das eine, Prävention das andere. Man könne beides
nicht getrennt voneinander betrachten. Das heißt: Politik darf nicht
die Fehler der vergangenen Jahrzehnte wiederholen. Wenn ein Staat
zulässt, dass sich Milieus abschotten, weil sie nicht integriert
werden und nicht arbeiten können, fördert das geradezu das Abdriften
in die Kriminalität. Wenn Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden also
mehr Befugnisse fordern, aber nicht über Prävention reden, handelt es
sich lediglich um Populismus, der nicht an Lösungen interessiert ist.
Auch da hilft der Blick nach Neukölln. Sozialarbeiter können
berichten, wie schwierig es ist, Jugendliche davon zu überzeugen,
einen legalen Weg einzuschlagen, wenn Clankriminelle mit großen Autos
und teuren Uhren locken. Das ist Schwerstarbeit. Und man darf nicht
vergessen: Aus rechts- oder linksextremen Kreisen kann man
aussteigen. Ein Clanumfeld zu verlassen, bedeutet im Zweifel, sich
gegen die eigene Familie zu stellen. Neben dem Ort, wo der
Intensivtäter Nidal R. erschossen wurde, liegt ein Jugendclub.
Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) war dort, um mit den
Kindern und Jugendlichen zu diskutieren. Das ist nicht einfach.
Gerade in einem medialen Umfeld, wo es Serien gibt, die das
Gangsterleben glorifizieren, und Rapper, die gewalt- und
drogenverherrlichende Videos drehen. Warum soll jemand eine
Maurerlehre machen, wenn der Weg zum Geld so einfach ist? Auch aus
diesem Grund ist die Politik der kleinen Nadelstiche wichtig. Es gibt
Menschen, die darüber lachen, oder es als diskriminierend bezeichnen,
wenn wieder eine Razzia durch Neukölln rollt. Erstens ist die
überwiegende Mehrheit der Anwohner froh, dass etwas passiert. Niemand
braucht an der Hermannstraße die 50. Shisha-Bar, vor der teure Autos
in zweiter Reihe stehen. Und zweitens gibt es ein Sprichwort: Steter
Tropfen höhlt den Stein. Wenn in einem Laden wiederholt
Geldspielgeräte abtransportiert werden, weil sie dort illegal stehen,
ist das nicht der große Wurf gegen die Clans, aber es stört das
Geschäft. Und genau darum geht es. Stockt der Geldfluss, trocknet der
Sumpf der organisierten Kriminalität aus.
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