Börsen-Zeitung: Die Mauer muss weg / Kommentar zur Marktentwicklung seit der Deutschen Einheit von Werner Rüppel
Geschrieben am 08-11-2019 |
Frankfurt (ots) - Die Mauer muss weg", mit dieser Forderung gingen die
ostdeutschen Bürger im Herbst 1989 auf die Straße. Und der historische Moment
war günstig, so dass diese deutsche Revolution erfolgreich war und die 1961
errichtete Berliner Mauer vor 30 Jahren tatsächlich geöffnet wurde. Die Freiheit
hat obsiegt, viele Menschen weinten damals vor Glück. Auch wenn die
untergegangene DDR von manch einem inzwischen wieder positiv gesehen wird, gilt
es sich doch nichts vorzumachen: Staatssicherheit und Mauer stehen für ein
Unrechtsregime. Oder wie es der Technologieunternehmer Stephan Schambach, der in
Thüringen aufwuchs, ausdrückt: "Die DDR war eine milde Form von Nordkorea."
Am Kapitalmarkt führte der Fall der Mauer zu einer Wiedervereinigungshausse. So
kletterte der Dax vom 9. November bis Ende 1989 um mehr als 20 %. Doch
schon im Verlauf des Jahres 1990 machte sich Ernüchterung breit, zumal auch der
Zweite Golfkrieg zu einem Einbruch der Aktienkurse weltweit führte. Hinzu kam
dann, dass die Bundesbank, um die vor allem vereinigungsbedingte Inflation zu
bekämpfen, ab 1990 ihre Leitzinsen drastisch erhöhte. Dies bremste den Dax,
während Anleger für zehnjährige Bundesanleihen Renditen von 8% und 9%
vereinnahmen konnten. Der Erwerb langer Bunds hat sich damals richtig gelohnt.
Über 30 Jahre gerechnet schneiden jedoch Aktien besser ab. So kommt der Dax seit
dem Fall der Mauer auf eine Rendite von 7,6% pro Jahr, während Anleihen,
gemessen am Rex-Performance-Index, eine Rendite von 5,3% pro Jahr erzielten.
Ander als nach dem Mauerfall zunächst gedacht, geriet die Wiedervereinigung
ökonomisch allerdings zu einem schwierigen Unterfangen. Die DDR-Wirtschaft
entpuppte sich als marode und nicht wettbewerbsfähig. Der damalige
Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl bezeichnete vor allem das Umtauschverhältnis
von D-Mark zu Ostmark im Verhältnis 1:1 als "Desaster". Und Jahre später tat er
auf dem Neujahrsempfang des Internationalen Clubs der Frankfurter
Wirtschaftsjournalisten kund: "Ich habe keine einziges Mal mit dem damaligen
Kanzler Helmut Kohl über die Währungsunion reden können."
Das Primat der Politik obsiegte, und der Kurs der Bundesregierung war nicht
gerade von marktwirtschaftlichem Sachverstand geprägt. Obwohl viel Geld in den
Osten gepumpt wurde, waren die neunziger Jahre insbesondere in Ostdeutschland
von einer anhaltenden Massenarbeitslosigkeit geprägt, die zwischenzeitlich eine
Quote von nahezu 20% erreichte. Dies war in der Tat ein Desaster. Erst Gerhard
Schröder gelang es, dass in Deutschland notwendige Reformen zum Abbau der
Arbeitslosigkeit umgesetzt wurden.
Inzwischen gibt es in einigen Gebieten Ostdeutschlands blühende Landschaften,
und der Wohlstand der Bürger in Ost und West hat sich zu einem Gutteil
angeglichen. So hat die Deka ausgerechnet, dass der Osten in den 30 Jahren seit
dem Mauerfall beim Geldvermögen deutlich aufgeholt hat. Und mit 43.500 Euro
liegt das durchschnittliche Geldvermögen je Haushalt in Thüringen sogar höher
als das in Bremen mit 42.000 Euro.
Eines haben Ost und West aber gemeinsam: Sie legen ihr Geld ineffizient an.
"Die Deutschen sparen am liebsten mit dem Sparbuch. Hier gibt es auch keinen
deutlichen regionalen Unterschied", sagt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Dass
Dividendentitel hierzulande auf Skepsis stoßen, zeige sich an der niedrigen
Aktionärsquote von 5,2% in den neuen Bundesländern und 6,7% in den alten.
Nun sind aber Aktien gerade langfristig die lukrativste Assetklasse. Wohlstand
für alle ist also vor allem mit Dividendentiteln möglich, doch sind dazu mehr
ökonomische Bildung und ein verändertes Sparverhalten nötig. Hier gibt es eine
Mauer in den Köpfen, die weg muss.
(Börsen-Zeitung, 09.11.2019)
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