NOZ: Historiker-Vorsitzende über Klimawandel: Jede Zeit hat ihre Schreckensvisionen
Geschrieben am 20-11-2019 |
Osnabrück (ots) - Wissenschaftlerin plädiert für Zuversicht und hält
Öko-Extremismus für möglich
Osnabrück. Die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes, Eva Schlotheuber,
hat angesichts des Klimawandels zu Besonnenheit und Zuversicht aufgerufen. In
einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte sie, "Gesellschaften
hatten schon immer ihre Schreckensvisionen, in jeder Zeit." Das kulturelle
Gedächtnis habe viele reale und fiktive Schrecken bewahrt: Der Weltuntergang und
das Jüngste Gericht im Christentum, die Pest des 14. Jahrhunderts, Weltkriege,
Flucht und Vertreibung. "All diese Erfahrungen, Erzählungen und Vorstellungen
gehören in jeder Generation zum Leben dazu."
"Die aktuellen Herausforderungen fühlen sich für jede Zeit groß und
unbewältigbar an", sagte die Mittelalter-Professorin der Universität Düsseldorf.
Hier könne Geschichte Mut machen. Sie ordne Ängste der Gegenwart ein,
gegenwärtig die vor dem Klimawandel. "Am Ende ist der Weltuntergang bis jetzt
ausgeblieben, die Menschen konnten sich retten durch Anpassung, Technik, neue
Regeln des Zusammenlebens." Geschichtliche Bildung verschaffe dem Menschen
"Gelassenheit und die Gewissheit, dass der Mensch letztlich die Folgen seines
Handelns nicht in dem Maße bestimmen kann, wie er oftmals meint". Es brauche den
Mut, Veränderungen zu akzeptieren - "sowohl von Küstenlinien als auch im
Zusammenleben".
Gleichzeitig sei es offenkundig, "dass zu unserer Vorstellung einer zukünftigen
Gesellschaft eine neue Form von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit gehören
sollte", sagte Schlotheuber. Es sei auch im besten Sinne demokratisch, wenn sich
Umweltschützer mit radikalen Forderungen und Formulierungen Gehör verschafften:
"Wie sollen sie sonst auf ein Umdenken hinwirken?" Demokratie lebe davon, dass
Gruppen ihre Meinung klar äußerten und die Gesellschaft mit ihnen in den Dialog
trete.
Die Historikerin und Kirchenspezialistin warnte allerdings parallel vor
Klima-Extremismus bis hin zu Terror. "Das Aufkommen großer religiöser oder
weltanschaulicher Bewegungen ist in der Geschichte ein wohlbekannter Prozess.
Wenn zentrale neue Anliegen nicht hinreichend in den Diskurs der Gesellschaft
integriert werden können, kommt es zur Radikalisierung. Insofern liegt in jeder
großen neuen Bewegung das Potenzial für Extremismus", führte die Professorin
aus. Wie es jeweils konkret verlaufe, hänge von der Veränderungsbereitschaft der
Gesellschaft ab. Aber: "Es wird immer Splittergruppen geben, denen der Wandel
nicht schnell oder nicht weit genug geht."
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Historiker-Vorsitzende: Radikale AfD-Ausgrenzung hilft nicht weiter
Wissenschaftlerin findet "Nazi"-Slogans irreführend und warnt auch allgemein vor
leichtfertigen historischen Vergleichen
Osnabrück. Die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes, Eva Schlotheuber,
rät davon ab, Rechtspopulisten etwa der AfD als "Nazi" zu bezeichnen. In einem
Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte sie, der Begriff suggeriere,
"dass die Rechte seit der Zeit des Nationalsozialismus gleich geblieben ist und
sich nicht weiterentwickelt hat". Er verdecke eher aktuelle Strategien, Ziele
und Netzwerke der neuen Rechten, als dass er sie entlarve, kritisierte die
Düsseldorfer Historikerin. "Nicht zuletzt wird die Zeit des Nationalsozialismus
verharmlost, wenn ,Nazi' zunehmend als politischer Kampfbegriff herhalten muss",
mahnte die Professorin.
Dessen ungeachtet sei es wichtig, beispielsweise rassistische Bemerkungen als
solche offen zu benennen und zu kritisieren. Auch habe sich in den vergangenen
70 Jahren "gezeigt, dass eine klare Abgrenzung besser vor einem Rechtsdrift
schützt als der Versuch der politischen Einbindung". Insofern könne sie
nachvollziehen, wenn unter Verweis auf den Aufstieg der NSDAP in den
1930er-Jahren ein harter Kurs gegen die AfD und eine Ausgrenzung in den
Parlamenten gefordert werde. Trotzdem helfe das letztlich nicht weiter. "Man
muss akzeptieren, dass die AfD im Bundestag und außerhalb inzwischen eine
relevante politische Kraft ist. Die Frage muss lauten: Warum? Was verschafft ihr
diesen Zuspruch?" Nötig sei eine "ehrliche und tiefergehende Analyse der
aktuellen Situation, die nicht die (Ideal-)Vorstellung von unserer Gesellschaft,
sondern die Wirklichkeit in den Blick nimmt", meinte Schlotheuber. Beides stimme
derzeit nicht überein. Statt sich um eigene aktuelle Probleme wie das Veröden
von Kleinstädten oder den Umgang mit alten Menschen zu kümmern, würden "Putin
oder Trump zur Negativfolie" aufgebaut. "Diesen Widerspruch spüren die
Menschen", meinte Schlotheuber.
Auch grundsätzlich hält die Verbandsvorsitzende direkte historische Vergleiche
für schwierig und warnte vor Leichtfertigkeit. "Die Zeitumstände sind immer
einmalig und wiederholen sich nicht", gab sie zu bedenken. Daher würden
notwendigerweise Äpfel mit Birnen verglichen. Der Blick in die Geschichte könne
gleichwohl nützlich sein, "wenn er Ebenen aufdeckt, die wir bisher nicht
wahrgenommen haben. Mit der neuen Perspektive merken wir dann: Oh, da ist ja
etwas dran, so habe ich es noch nicht gesehen." Positionen der Gegenwart ließen
sich auf diese Weise demaskieren.
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Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207
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