Studie von Save the Children: Heimarbeit fördert Bildung
Geschrieben am 22-01-2020 |
Berlin (ots) - Am 24.1.2010 ist der internationale Tag der Bildung. Er erinnert
an die Globale Nachhaltigkeitsagenda 2030, in der sich die Weltgemeinschaft dazu
verpflichtet hat, bis zum Jahr 2030 eine hochwertige, inklusive und
chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und lebenslang zur Verfügung zu
stellen. Gerade in Schwellen- und Niedriglohnländern, wo Armut und schwache
Infrastrukturen vorherrschen, ist dies eine Herausforderung. Heimarbeit, die
oftmals mit Kinderarbeit gleichgesetzt wird, ist hier häufig an der
Tagesordnung: Laut Schätzungen der International Labour Organization (ILO)
tragen weltweit rund 300 Millionen Heimarbeiter zur globalen Wirtschaftsleistung
bei. Dass Heimarbeit aber auch Bildung fördert ist ein überraschendes Ergebnis
der Studie "Zum Wohle des Kindes? Heimarbeit in Textillieferketten" im Auftrag
von Save the Children.
Eine nähere Betrachtung der Verhältnisse in puncto Heimarbeit aus
Kinderrechtsperspektive gab es bisher nicht. Die Studie zur Heimarbeit von Save
the Children legt erstmals die Fakten offen. Was bedeutet Heimarbeit für Kinder
und ihre Familien, ihr Wohlergehen und ihre Rechte? Weshalb entscheiden sich
manche Menschen für Heimarbeit, unter welchen Bedingungen verrichten sie diese
Arbeit und wie wirkt sich das auf Kinder aus? Bei der Erörterung dieser Fragen
wurde die Organisation unter anderem von der NGO Nest, der Ethical Trading
Initiative und Unternehmen wie IKEA Purchasing & Logistics South East Asia und
Zalando (vormals zLabels) unterstützt.
Die Studie untersucht die Situation in China, Bangladesch, Indien, Indonesien,
Myanmar, Malaysia und Vietnam. Demnach bezieht immerhin ein Anteil von 19
Prozent der Heimarbeiter die eigenen Kinder in die Arbeit ein. Dabei handelt es
sich meist um leichte Arbeiten. Aus der Perspektive des Kinderrechts legt die
Studie nahe, dass Heimarbeit ernsthafte Risiken birgt, denen begegnet werden
muss, aber auch echte Chancen und Perspektiven schaffen kann. So gaben 92
Prozent der Heimarbeiter an, auf diese Weise mehr Zeit für den Haushalt und die
Kinder zur Verfügung zu haben. Zudem gehen 90 Prozent der Kinder von
Heimarbeitern zur Schule. Prekär sieht die Situation jedoch in Familien aus, die
von dem Einkommen der Kinder abhängig sind. Dies ist vornehmlich in Gegenden mit
schwierigen Lebensbedingungen wie dicht besiedelten städtischen Gemeinden und
Slums der Fall, in denen familiäre Grundbedürfnisse hinsichtlich Wasser- und
Sanitärversorgung, Privatsphäre und ausreichender Ernährung nicht befriedigt
werden können.
Erhöhte Chancen für Schulbesuch versus Ausbeutung von Kindern durch Heimarbeit
Laut der Studie lassen Heimarbeiter ihren Nachwuchs seltener zu Hause allein
(10,5 Prozent) als beispielsweise Fabrikarbeiter (23,9 Prozent). Da Heimarbeit
meistens in Haushalten mit niedrigem Grundeinkommen stattfindet und in Gegenden
oder Gemeinden, wo es kaum oder keine Angebote zur Kinderbetreuung gibt, kann
sie auch zur finanziellen Entlastung der Familien führen, wenn der zweite
Elternteil das Haus für die Arbeit nicht verlassen kann.
Eltern, insbesondere Mütter, haben dank der Heimarbeit mehr Zeit, sich um die
Kinderbetreuung und deren Bildung zu kümmern. Das führt dazu, dass Kinder von
Familien weiter regelmäßig zur Schule gehen können, auch am Nachmittag betreut
werden und Unterstützung bei den Hausaufgaben bekommen. In Bangladesch
beispielsweise gehen 96,7 Prozent der 12- bis 13-jährigen Mädchen und Jungen aus
Haushalten, in denen Heimarbeit stattfindet, zur Schule. Diese Zahl liegt
deutlich über den nationalen Schülerzahlen, die bei 62,7 Prozent liegen.
Insgesamt liegt die Schulbesuchsquote in den befragten Ländern beeindruckend
hoch: Rund 91 Prozent der Kinder unter 15 Jahren besuchen noch die Schule. Die
Schulabbruchsquote in den untersuchten Ländern bei Kindern unter 17 Jahren liegt
lediglich bei 9,4 Prozent.
Eine Herausforderung für die Heimarbeiter in manchen Ländern sind allerdings die
hohen Bildungskosten, die selbst für das Erlangen eines Basiswissens entstehen.
Sie gehören zu den monatlichen Grundausgaben. Trotzdem legen Heimarbeiter Wert
auf die Schulbildung ihrer Kinder, was ein Blick auf die Ausgaben der Familie
verdeutlicht: rund 38 Prozent des Einkommens wird für Schulgebühren und sonstige
Schulkosten ausgegeben. Zum Vergleich: 36 Prozent des Einkommens entfällt auf
Nahrung, 9,7 Prozent auf Gesundheitskosten wie Arztbesuche und Medikamente.
Analog dazu sind die Erwartungen an den Bildungsabschluss der Kinder hoch: Die
Mehrheit von 61 Prozent der Eltern erhoffen sich einen Hochschulabschluss
(College, Fachhochschule oder höher) für ihre Kinder.
Entsprechend viel Zeit wird auch auf den Bildungsbereich verwendet, schaut man
sich die Arbeitsstunden pro Tag von arbeitenden Kindern an, die zur Schule
gehen. Bei den 12- bis 17-jährigen entfallen durchschnittlich rund 8 Stunden pro
Tag auf die Zeit in der Schule mit Erledigung der Hausaufgaben. Vier Stunden pro
Tag fallen im Schnitt für die Arbeit an. Zwei Stunden täglich bleiben für die
Freizeit übrig. Bei Kindern zwischen 12 und 14 oder 15 Jahren, die mehr als 14
Stunden wöchentlich neben der Schule arbeiten, sollte genauer hingeschaut
werden. Nach Vorgaben des ILO-Übereinkommens Nr. 138, welches die Anzahl an
zulässigen Arbeitsstunden je Altersgruppe definiert, grenzt dies oftmals an
Kinderarbeit, gerade wenn das gesetzlich zulässige Mindestalter noch nicht
erreicht ist. Es ist nicht empfehlenswert, Kinder mehr als 10 Stunden täglich
mit einer Kombination aus Arbeit und Schule zu belasten. Fakt ist, dass Spielen,
sportliche Aktivitäten und Zeit für sich selbst oder zur Erholung für die
gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen enorm wichtig sind. Bei zwei
Stunden Freizeit täglich kommt dies allerdings zu kurz und kann die physische
und psychische Gesundheit stark beeinträchtigen.
Anders sieht die Situation in Familien aus, die von dem Einkommen der Kinder
abhängig sind. Sie sowie Kinder, die in anderen häuslichen Betrieben als dem
ihrer Eltern arbeiten, sind in der Regel zwischen 10 und 13 Stunden pro Tag
beschäftigt und einem deutlich höheren Ausbeutungsrisiko ausgesetzt. Sie sind
oftmals gar nicht oder nur wenig abgesichert und bekommen, wenn überhaupt, nur
einen sehr geringen Lohn oder nur kostenlose Verpflegung und Unterkunft. Die
Zeit zur Erholung oder für sich selbst ist bei diesen Kindern entweder stark
eingeschränkt oder nicht vorhanden, die Bildung kommt viel zu kurz. In diesen
Fällen handelt es sich nach ILO-Konventionen um Kinderarbeit. Auffällig ist,
dass derartige Fälle ausschließlich in Kontexten festgestellt wurden, in denen
keine Regulierung durch internationale Standards vorherrscht.
Höhere Transparenz durch etablierte Compliance Programme und NGOs
Heimarbeiter stellen in zentralen Branchen wie zum Beispiel Textil- und
Bekleidungs-, Leder-, Teppich- und Elektroindustrie einen wesentlichen Teil der
Arbeitskräfte und sind in vielen Teilen der Welt eine wichtige
Beschäftigungsquelle, so die International Labour Organization (ILO).
Insbesondere wirtschaftlich und sozial benachteiligte Frauen sowie arme Familien
profitieren von der Heimarbeit. Zu der Frage, inwiefern Kinder an der Heimarbeit
beteiligt sind und wie sich dies auf das Kindeswohl auswirkt, gab es bisher
keine validen Angaben.
Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Heimarbeiter, die in globale
Lieferketten eingebunden sind, vor allem in Bezug auf Arbeitsbedingungen,
Gesundheit, Sicherheit und Ausbeutung häufig bessergestellt sind als
Heimarbeiter ohne Anschluss an globale Lieferketten. Grund hierfür sind die
höhere Transparenz sowie etablierte Compliance-Programme globaler Unternehmen.
Auch in Regionen, in denen NGOs tätig sind, geht es Heimarbeitern besser.
Verbot von Heimarbeit verschlimmert oftmals Situation
Rund 52 Prozent der in der Studie befragten Arbeiter stellen Produkte für
internationale Unternehmen bzw. Zwischenhändler her. Ein Großteil (67,6 Prozent)
ist sich dessen aber nicht bewusst. Auch internationale Unternehmen haben
oftmals keinen vollständigen Überblick über ihre Lieferketten und können nicht
nachverfolgen, ob Heimarbeiter an der Lieferkette beteiligt sind oder nicht.
Kenntnis darüber erhalten sie häufig nur durch Zufall. Die Folge ist, das
Unternehmen Heimarbeiter entweder komplett aus der Lieferkette ausschließen, was
zum Verlust der dringend benötigten Einkommensquelle für die Familie führt. Oder
dass Verhaltenskodizes, die beispielsweise für Werkstätten gelten, eins zu eins
auf Heimarbeiter übertragen werden. Eine formale Umsetzung und entsprechende
Kontrolle von Standards sind in diesem Umfeld allerdings nicht möglich.
"Obwohl die ILO schätzt, dass ca. 300 Mio. häusliche Arbeiter zur globalen
Wirtschaftsschöpfung beitragen, ist die vorliegende umfangreiche Datensammlung
die erste länderübergreifende Analyse der Auswirkungen von Heimarbeit auf die
Kinder, in deren Heimen diese Arbeit stattfindet. Bisher hat sich niemand damit
aus Kinderrechtsperspektive beschäftigt", erklärt Susanna Krüger,
Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland. "Heimarbeit wird häufig mit
Kinderarbeit assoziiert, deshalb verbieten Unternehmen sie lieber gleich ganz,
bevor sie einen Imageschaden erleiden, wenn Kinderarbeit in ihren Lieferketten
entdeckt wird. Unsere Untersuchungen zeigen, dass ein generelles Verbot die
Heimarbeiter lediglich zwingt, sich zu verstecken. Das aber macht sie schutzlos
vor Ausbeutung. Wir empfehlen daher Unternehmen sich dem Thema Heimarbeit
anzunehmen und gemäß unserem Aktionsplan umzusetzen. Einige Unternehmen gehen
hier bereits mit gutem Beispiel voran."
So arbeiten beispielsweise in Südostasien Heimarbeiter in der IKEA-Lieferkette
mit Einrichtungsgegenständen aus Naturfasern. Für das Unternehmen war die
Beteiligung an der Studie von Save the Children die Gelegenheit, mehr
Informationen zu der Situation der Heimarbeiter zu sammeln und daraus
entsprechenden Handlungsbedarf zu identifizieren.
"Wir sind bestrebt, die Bedingungen für die Menschen, die in der
IKEA-Lieferkette arbeiten, kontinuierlich zu verbessern", sagt Kanwarpreet
Singh, Sustainability Compliance Manager für IKEA in Südostasien. "Durch den
Zugang zu menschenwürdiger und sinnvoller Arbeit können wir unseren Beitrag zur
Schaffung einer fairen und gleichberechtigten Gesellschaft leisten und
gleichzeitig zu einer Wertschöpfungskette für IKEA beitragen, in der sich die
Menschen respektiert fühlen, motiviert sind, ihre beste Arbeit zu leisten, und
in der Lage sind, ein besseres Leben für sich zu schaffen. Die Unterstützung
dieser Studie hat uns weitere Ideen geliefert, wie wir einen positiven Einfluss
auf Menschen, Gesellschaft und den Planeten ermöglichen."
Auch Dr. Uwe Mazura, Geschäftsführer des Gesamtverbands textil + mode, dem
Branchenverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, ist von dem positiven
Beitrag der Studie überzeugt:
"Die Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie arbeiten nach weltweit
höchsten Umwelt- und Sozialstandards. Dabei sind uns der Schutz von Kindern und
ihre Rechte besonders wichtig. Einen überaus wertvollen Beitrag leistet die neue
Studie von Save the Children. Hier wurde erstmalig in großem Umfang Heimarbeit
in globalen Lieferketten unter die Lupe genommen. Wenn Eltern zuhause arbeiten,
hat dies laut Studie durchaus positive Auswirkungen auf die Kinder, ihre
Erziehung und ihre Bildungschancen. Hier wollen wir auch künftig
zusammenarbeiten, da wir Save the Children als kompetenten und verlässlichen
Partner für unsere mittelständische Textilindustrie schätzen."
"Aktionsplan Heimarbeit" von Save the Children sorgt für mehr Transparenz
Im Ergebnis belegt die Studie, dass an globale Lieferketten angebundene
Heimarbeiter in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Sicherheit und Schutz
vor Ausbeutung häufig bessergestellt sind. Verantwortlich dafür sind die höhere
Transparenz sowie etablierte Compliance-Programme globaler Unternehmen. Auch
Heimarbeitern, die in Regionen arbeiten, in denen NGOs aktiv sind, geht es
häufig besser. Um die Rahmenbedingungen für Heimarbeiter insgesamt stärker zu
verbessern und das Wohl des Kindes sicherzustellen hat Save the Children einen
"Aktionsplan Heimarbeit" erstellt. Dieser gibt Unternehmen und Zulieferern
Empfehlungen, wie das Wohl des Kindes in Heimarbeit sichergestellt werden kann.
Die Intention von Save the Children mit diesem Aktionsplan ist, Unternehmen dazu
zu bewegen, sich mit etablierten NGOs vor Ort um mehr Transparenz in ihren
Lieferketten zu bemühen, damit die Kinder auch in diesen Umständen zu ihren
international verbrieften Rechten kommen.
Über die Studie
Die Studie wurde vom Center for Child Rights & Corporate Social Responsibility
(CCR CSR), einem Tochterunternehmen von Save the Children, durchgeführt. Die
Non-Profit Beratungsfirma mit Hauptsitz in Hongkong wurde vor 10 Jahren von Save
the Children Schweden gegründet und berät Unternehmen bei der Umsetzung von
Kinderrechten in ihren Lieferketten. Unterstützt wurde die Organisation dabei
unter anderem von IKEA Purchasing & Logistics South East Asia, Zalando (vormals
zLabels), der Ethical Trading Initiative und der NGO NEST, die Kontakte zu
Heimarbeitern zur Verfügung gestellt haben. Im Rahmen der Studie wurden 601
Interviews mit Heimarbeitern in China, Bangladesch, Indien, Indonesien, Myanmar,
Malaysia und Vietnam durchgeführt. 542 Interviews wurden mit Erwachsenen und 37
mit Kindern unter 18 Jahren durchgeführt. Von den 601 Interviews konnten 579
Interviews für eine aggregierte Analyse genutzt werden. 87 Prozent der befragten
Heimarbeiter waren Frauen. Insgesamt haben alle Heimarbeiter zusammen 952 Kinder
unter 18 Jahren. Zusätzlich wurden weitere 50 Kinder von Heimarbeitern befragt,
die bei den Interviews anwesend waren.
Nähere Informationen zu den Ergebnissen der Studie, wie zum Beispiel zu Rechts-,
Hygiene- und Sicherheitsstandards, erhalten Sie in der Zusammenfassung unter
folgendem Link: https://cloud.savethechildren.de/index.php/s/ztbQpQBrXyEmSTf
Infografiken aus der Studie zur kostenfreien Veröffentlichung im Zusammenhang
mit der Studie und unter Angabe von ©Save the Children als Quelle erhalten Sie
unter folgendem Link:
https://cloud.savethechildren.de/index.php/s/k8dJiHswk7Q5ika
Bildmaterial zur kostenfreien Veröffentlichung im Zusammenhang mit der Studie
und unter Angabe von ©Save the Children als Quelle erhalten Sie unter folgendem
Link:
https://www.contenthubsavethechildren.org/Share/6m6jf58ug3306i37j33lf226405564j3
Über Save the Children
Im Nachkriegsjahr 1919 gründete die britische Sozialreformerin und
Kinderrechtlerin Eglantyne Jebb Save the Children, um Kinder in Deutschland und
Österreich vor dem Hungertod zu retten. Heute ist die inzwischen größte
unabhängige Kinderrechtsorganisation der Welt in über 120 Ländern im Einsatz.
Save the Children ist da für Kinder in Kriegen, Konflikten und Katastrophen -
seit 100 Jahren und darüber hinaus. Diese Kinder zu schützen, zu stärken und zu
fördern ist das zentrale Anliegen der Organisation. Die Schwerpunkte der Arbeit
liegen in den Bereichen Schule und Bildung, Schutz vor Ausbeutung und Gewalt
sowie Überleben und Gesundheit. Save the Children setzt sich ein für eine Welt,
die die Rechte der Kinder achtet. Eine Welt, in der alle Kinder gesund und
sicher leben und frei und selbstbestimmt aufwachsen können.
Pressekontakt:
Save the Children Deutschland e.V.
Pressestelle - Claudia Kepp
Tel.: +49 (30) 27 59 59 79 - 280
Mail: Claudia.kepp@savethechildren.de
Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/106106/4498781
OTS: Save the Children Deutschland e.V.
Original-Content von: Save the Children Deutschland e.V., übermittelt durch news aktuell
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