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Gefahr von rechts hält an Bundestagsvize Petra Pau (Die Linke) zieht Lehren aus der Aufarbeitung des Rechtsterrors des NSU und bezweifelt Nutzen des Combat 18-Verbots

Geschrieben am 27-01-2020

Lüneburg (ots) - Von Joachim Zießler

War der NSU die mörderische Ausnahme oder die Spitze des Eisbergs? Petra Pau:
Leider muss ich sagen, dass das Thema Rechtsterrorismus weder mit der
Selbstenttarnung der NSU vom Himmel gefallen noch durch sie beendet ist.
Rechtsterror begleitet die Bundesrepublik schon seit langem. Ich erinnere nur an
das Oktoberfest-Attentat, das sich dieses Jahr zum 40. Mal jährt und das noch
nicht vollständig aufgeklärt ist. Erschreckend ist, dass mir mutmaßliche Täter
und mutmaßliche Helfer beim Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke schon aus den Ermittlungsakten zur NSU-Mordserie bekannt sind. Ebenso ein
Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hessen.

Hatte das Versagen des Verfassungsschutzes bei den NSU-Rechtsterroristen System?
Wir waren uns schon beim ersten NSU-Untersuchungsausschuss von der CDU/CSU bis
zur Linken einig, dass es in allen Sicherheitsbehörden zumindest strukturelle
Probleme gab, die verhinderten, dass Polizeien, Geheimdienste und Justiz
erkennen konnten oder wollten, dass man es mit einer rassistisch motivierten
Mord- und Anschlagsserie zu tun hat. Wir Linken, Grüne und Teile der SPD nennen
das strukturellen Rassismus. Damit unterstelle ich nicht, dass der einzelne
Polizist oder Staatsanwalt ein Rassist ist. Aber bestimmte Traditionen in der
Behördenkultur verhinderten, dass gesehen wurde, was wirklich ist. Und so wurden
die Hinterbliebenen und Überlebenden der Terrortaten bis zum Schluss
kriminalisiert. So hatte der zuständige Staatsanwalt nach dem Mord an der
Polizistin Michèle Kiesewetter vor der Presse gesagt, man ermittele im
"Zigeunermilieu". Bundesweit wurden Sinti und Roma zum Mord in Heilbronn
befragt, nur weil Schausteller in der Nähe des Tatortes ihre Fahrgeschäfte
aufgebaut hatten. So wurde eine Minderheit erneut stigmatisiert und abrufbare
Vorurteile bekräftigt. Heute haben wir das Problem, dass Mitarbeiter der
Sicherheitsbehörden selbst solchen Ansichten anhängen. Ku-Klux-Clan-Anhänger in
der Einheit von Michèle Kiesewetter wurden bis heute nicht dienstrechtlich
belangt. Netzwerke in der Bundeswehr und bei der Polizei flogen auf wie
"Hannibal", "Nordkreuz" und "NSU 2.0", wo man sich auf den "Tag X" - die
Beseitigung der Demokratie - vorbereitet. Sind die rechtsextremen
"Prepper"-Gruppe "Nordkreuz" und das "Hannibal"-Netzwerk Ausdruck des
Rechtsrucks der gesamten Gesellschaft oder muss man von Infiltrierungsversuchen
ausgehen? Wir wissen es nicht. Im ersten NSU-Untersuchungsausschuss haben wir
bereits fraktionsübergreifend Einstellungsuntersuchungen gefordert, um
herauszufinden, ob man es mit dem Querschnitt der Gesellschaft zu tun hat oder -
wegen der hierarchischen Strukturen in Armee und Polizei - mit einer Ballung
problematischer Charaktere. Derzeit wissen wir nur, dass wir ein Problem haben,
nicht aber, welches Ausmaß dieses hat. Auch dies ist aber kein neues Phänomen.
Erinnert sei an den damaligen KSK-General Reinhard Günzel, der dem damaligen
CDU- und heutigen AfD-Mitglied Martin Hohmann 2003 nach einer antisemitisch
gefärbten Rede Beifall zollte.

Wie reagierten die deutschen Behördenvertreter im Untersuchungsausschuss auf den
Vorhalt, dass FBI-Profiler schon sehr früh von Tätern mit Fremdenhass ausgingen,
während hier gegen die türkische Mafia ermittelt wurde? Die Reaktion war
bezeichnend. Ich erinnere mich gut an eine handschriftliche Notiz eines
BKA-Mitarbeiters an dem Profiling der FBI-Kollegen, die nur hospitiert hatten:
"Was soll diese Kaffeesatzleserei?" Dann wurde ein zweites Gutachten beim LKA
Baden-Württemberg in Auftrag gegeben, das haarsträubend war. Dort hieß es: Die
Taten seien von einer solchen Brutalität, dass sie nicht von Menschen aus dem
europäischen Kulturkreis begangen worden sein könnten. Das ist
Wirklichkeitsverweigerung oder sogar institutioneller Rassismus.

Ein Name taucht immer wieder auf: Andreas Temme. Der hessische
Verfassungsschützer war beim Mord an einem Internet-Café-Betreiber in Kassel vor
Ort. Nun war er laut hessischem Innenministerium auch mit dem mutmaßlichen
Lübcke-Mörder Stephan Ernst "dienstlich befasst" gewesen. Ist dort ein
rechtsextremes Netzwerk erkennbar? Es sind Vorgänge wie diese, die mich zu der
Ansicht bringen, dass Verfassungsschutzämter nicht Teil der Lösung sind, sondern
Teil des Problems. Wann immer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes oder V-Leute
ins Spiel kamen, wurden die Ermittlungen mit angezogener Handbremse geführt.
Denn im Zweifelsfall steht der Quellenschutz immer vor der Aufklärung oder der
Verhinderung von Straftaten. Das Bundeskriminalamt hatte sich schon in den
80er-Jahren über diese Praxis beschwert. Andreas Temme hat in seinen Aussagen
vor beiden NSU-Untersuchungsausschüssen gelogen, als er behauptete, niemals
einen Auftrag bekommen zu haben, sich nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel
bei seinen V-Leuten umzuhören. Die Kollegen im hessischen
NSU-Untersuchungsausschuss fanden eine ausgedruckte E-Mail mit der
entsprechenden Weisung, die Temme sogar abgezeichnet hatte. Doch leider steht er
bis heute unter Schutz. Der heutige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier
hat etwa verhindert, dass Kriminalbeamte Temme direkt verhören konnten. Seine
Akten sind noch für Jahre gesperrt. Nach wie vor glaube ich nicht an
Verschwörungstheorien, aber wir haben offenbar ein massives Problem von
Demokratiefeinden in Behörden. So ist der "Lothar Lingen" genannte
Verfassungsschutzmitarbeiter, der wenige Tage nach der Selbstenttarnung des NSU
das Schreddern der Akten von sieben Thüringer V-Leuten angeordnet hatte, nicht
bestraft worden. Froh bin ich darüber, dass nun Thomas Haldenwang und als sein
Stellvertreter Sinan Selen an der Spitze des Verfassungsschutzes stehen, die den
Fokus konsequent auf den Rechtsterrorismus legen und schwarze Schafe innerhalb
der Behörde aussortieren.

Üppige Zahlungen an V-Leute flossen auch in den Aufbau des "Thüringer
Heimatschutzes", von dem sich später der NSU abspaltete. Haben Sie die Hoffnung,
dass die Phase des Staates im Staate endet? Das bleibt noch zu beweisen. Wichtig
ist aber, nicht zu vergessen, dass V-Leute gekaufte Täter sind, die nur dann in
der Hierarchie aufsteigen können, wenn sie Straftaten anstiften oder mitbegehen.
Ich erinnere nur an Ralf Marschner, der zehn Jahre V-Mann des
Verfassungsschutzes war und nach Zeugenaussagen sowohl Beate Zschäpe als auch
Uwe Mundlos in seiner Abrissfirma beschäftigt haben soll, als diese im
Nürnberger Raum mordeten. Künftig sollen zwar Straftäter in der Regel nicht mehr
als V-Leute beschäftigt werden, Ausnahmen sind aber immer noch möglich. Hier
sollte man sich eher an Thüringen orientieren, das alle V-Leute abgeschaltet
hat.

Sind Rechtsterroristen "einsame Wölfe" oder sogar international über das
Internet vernetzt? Schon im NSU-Kontext wurde deutlich, dass die Behörden nicht
auf der Höhe der Zeit waren, nicht wussten, wie sich die Täter organisierten
oder Botschaften mit ihrer Szene austauschten. So wurde immer auf das Fehlen von
Bekennerbriefen verwiesen, nicht ahnend, dass die Morde selbst die Botschaften
waren. Aber Versäumnisse gab es nicht nur bei der Polizei. Angehörige der Opfer
der Mordserie haben bereits 2006 unter dem Slogan demonstriert: "Kein zehntes
Opfer". Während sie also schon lange von einer rassistisch motivierten Mordserie
ausgingen, ließ man sich in der deuschen Mehrheitsgesellschaft noch lange nicht
alarmieren. Auch meine Fraktion hat nur eine einzige parlamentarische Anfrage zu
dieser Mordserie gestellt. Und nicht zuletzt müssen sich auch Medien infrage
stellen. Der unsägliche Begriff "Döner-Morde" geht auf ihr Konto. Heute ist das
Internet noch in einem sehr viel größeren Ausmaß Rekrutierungs-,
Radikalisierungs- und Propandawerkzeug von Rechtsterroristen. Das zeigen die
Morde von Utoya, München, Christchurch und Halle. Man plant in der
Öffentlichkeit, man streamt die Tat live, man inszeniert einen "Märtyrertod".

Wächst die Gefahr von Bluttaten, weil Träume der Szene von einer Machtübernahme
der AfD einen Dämpfer erhalten haben? Fest steht: Die AfD-Abgeordneten sind
demokratisch gewählt, das macht sie aber nicht zu Demokraten. Sie dulden in
ihren Reihen Antisemiten und Gewaltverherrlicher. Und sie legen mit jeder Rede,
die sie im Parlament halten, rhetorisch die Brandsätze, von denen sie hoffen,
dass sie außerhalb des Parlamentes von anderen aufgenommen werden. Alarmierend
dabei ist, dass in der Gesellschaft die gruppenbezogene Feindseligkeit ebenso
wächst wie die Akzeptanz von Gewalt. Und letzeres vor allem bei den über
60-Jährigen. Diese akzeptieren nicht nur die Gewalt, die von Pegida-Demos oder
Anschlägen der "Gruppe Freital" ausgeht. Ihre Akzeptanz schließt die
Wahlentscheidung für eine Partei mit ein, die den Boden bereitet. Das heißt, die
Gefahr wird nicht geringer.

Hat das Verbot der Gruppe "Combat 18" einen über die Signalwirkung
hinausgehenden Nutzen? Das Verbot war lange angekündigt. Man kann also davon
ausgehen, dass diese Nazis belastendes Beweismaterial vernichtet und sich neu
organisiert haben.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/65442/4503076
OTS: Landeszeitung Lüneburg

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell


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