Politikwissenschaftler Münkler sieht gravierende demokratische Defizite im Osten
Geschrieben am 15-02-2020 |
Osnabrück (ots) - Münkler sieht gravierende demokratische Defizite im Osten
Wissenschaftler weist DDR Mitschuld für "fehlende Imprägnierung" gegen völkische
Ideen zu
Osnabrück. Die Vorgänge in Thüringen belegen für Herfried Münkler einen
bedenklichen Abstand zwischen Ost- und Westdeutschland in Fragen der politischen
Kultur. "Im Osten fehlen 40 Jahre Bürgerlichkeit", sagte der Wissenschaftler in
einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Der lange Prozess der
Entstehung der mit sich selbst beschäftigten Bundesrepublik, das Abarbeiten der
Erfahrungen aus der Schlussphase der Weimarer Republik und des Lernens aus dem
Scheitern einer Demokratie geht den Menschen in den neuen Bundesländern ab",
sagte Münkler weiter. Den Menschen im Osten fehle daher eine "innere
Imprägnierung gegen Fremdenfeindlichkeit und völkische und nationale Ideen" - im
Gegensatz zu den Menschen in Westdeutschland.
Nach Einschätzung Münklers rächt sich jetzt, dass "man im Prozess des
Zusammenwachsens von Ost und West fast ausschließlich auf die wirtschaftlichen
Faktoren gesetzt hat". Der ökonomische Erfolg sei gegeben. "Dabei ist aber zu
wenig bedacht worden, dass 40 Jahre Diktatur den Leuten ebenso in den Knochen
stecken wie das Fehlen einer wirklichen Aufarbeitung der NS-Zeit. Die Aneignung
dessen, was eine Demokratie ist, fehlt eben."
Der Politikwissenschaftler forderte in diesem Zusammenhang, sich neu mit der
deutschen Geschichte zu beschäftigen. Das Ende der Weimarer Republik zeige, wie
gefährlich es sei, wenn die soziale Mitte zerfalle.
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Thüringen: Münkler wirft CDU "unfassbare Naivität" vor
Politologe zieht Parallelen zu Weimar
Osnabrück. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat der CDU im Umgang mit
der AfD eine "unfassbare Naivität" bescheinigt. In einem Interview mit der
"Neuen Osnabrücker Zeitung" hielt der Erfolgsautor es für naheliegend,
angesichts der Vorgänge in Thüringen an den Aufstieg der Nationalsozialisten in
den 1930er-Jahren zu denken. "Das Vorbild für den Versuch der AfD, in die Mitte
einzudringen und Koalitionen mit Teilen der Mitte zu schließen, ist wohl die
Endphase von Weimar", sagte der Berliner Professor für politische
Ideengeschichte. Er denke insbesondere an das Bündnis der NSDAP mit den
konservativen Eliten 1934, führte Münkler weiter aus. "Zuvor lieferte der ,Tag
von Potsdam' das Bild, das im Gedächtnis geblieben ist - mit Adolf Hitler und
dem greisen Generalfeldmarschall von Hindenburg mit der Pickelhaube auf dem
Kopf. Hitler neigte vor ihm den Kopf. Das erinnert, zumindest vom Bild her, an
den Augenblick, in dem Björn Höcke Thomas Kemmerich zur Wahl zum
Ministerpräsidenten gratulierte. Der gesenkte Kopf lieferte den Anschein einer
Gefolgschaft, die sich sehr bald als trügerisch erweisen sollte", kommentierte
Münkler die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten.
Die Vorgänge hätten gezeigt, dass es in der CDU Leute gebe, "die mit dem
Gedanken sympathisieren, zusammen mit der AfD Mehrheiten zu bilden oder
mindestens zu kooperieren". Die Neigung zur Annäherung an die AfD wertete er als
Anzeichen für den Verfall bürgerlicher Werte. ",So etwas macht man nicht': Das
ist ein zutiefst bürgerlicher Satz. Aber dieser Satz hat seine bedingungslose
Gültigkeit verloren. Stattdessen wird taktiert und probiert", sagte Münkler.
Sich von Leuten wie Höcke unterstützen zu lassen, bedeute, sich in ein "Obligo
des Zurückzahlens" zu begeben. Mancher thüringische Politiker glaube offenbar,
etwas nehmen zu können, ohne auch geben zu müssen. "Schon das zeigt eine
Entfernung vom Denken in bürgerlichen Werten", sagte der Bestseller-Autor ("Der
Große Krieg", "Die neuen Deutschen", "Die Deutschen und ihre Mythen").
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Münkler: CDU braucht einen Charismatiker an der Spitze
Sebastian Kurz als Vorbild empfohlen
Osnabrück. Wer soll die CDU führen? Der prominente Politologe Herfried Münkler
rät der Partei, eine charismatische Führungspersönlichkeit zu suchen. "Wir
befinden uns in einer Phase, in der politisch programmatische Parteien nicht
mehr agieren können, jedenfalls nicht als Volksparteien. Wer als Volkspartei
agieren will, braucht einen Charismatiker an der Spitze", sagte der Erfolgsautor
in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Eine solche Person sei
Angela Merkel nie gewesen. "Helmut Kohl war das in dem Augenblick, in dem er der
,Kanzler der Einheit' wurde", fügte Münkler hinzu. Aktuell aber "haben wir ein
dramatisches Defizit". Münkler verwies auf Beispiele erfolgreicher Politiker im
Ausland. "Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie der österreichische
Bundeskanzler Sebastian Kurz und der französische Präsident Emmanuel Macron da
ganz anders auftreten." Nur mit einer solchen Persönlichkeit könne es gelingen,
die unterschiedlichen politischen Flügel der CDU zusammenzuhalten, sagte der
Professor für politische Ideengeschichte der Berliner Humboldt-Universität.
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