Deutsche Bischofskonferenz und Zentralrat der Juden diskutieren über Papst Pius XII. und die Shoah
Geschrieben am 17-02-2020 |
Bonn (ots) - Welche Erwartungen sind an die Öffnung der vatikanischen Archive
aus der Zeit Papst Pius XII. (1939-1958) zu richten, die ab dem 2. März 2020 in
Rom vorgesehen ist? Dieser Frage ging heute (17. Februar 2020) eine
Podiumsdiskussion der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralrats der Juden
unter dem Leitwort "Neues über Pius XII. und die Shoah?" im Haus am Dom in
Frankfurt am Main nach.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster,
betonte, dass bis heute viele Fragen zum Wirken von Papst Pius XII. offen seien
und einen dunklen Schatten auf das jüdisch-christliche Verhältnis werfen. "Wie
erklärt sich das große Schweigen der katholischen Kirche zum Massenmord an den
Juden während der Shoah? Welche Rolle spielte der Papst bei der Rettung der
römischen Juden? Und inwieweit unterstützte das kirchliche Oberhaupt NS-Täter
nach dem Krieg bei ihrer Flucht über die sogenannten Rattenlinien?", fragte
Schuster. Durch die Öffnung der vatikanischen Archive erhoffe er sich mehr
Klarheit: "Die katholische Kirche sollte neue Erkenntnisse zum Anlass nehmen,
sich deutlich zu ihrer Verantwortung zu bekennen", so seine Forderung.
Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt), Vorsitzender der Unterkommission für die
religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, hob hervor,
dass er froh sei, wenn die Archive Pius XII. geöffnet würden, um mehr über sein
Pontifikat zu erfahren. "Pius XII. war fast 20 Jahre lang (1939-1958) Papst. In
dieser Zeit ist sehr viel Archivmaterial angefallen, nicht nur im Apostolischen
Palast. Auch die Korrespondenzen mit den Nuntiaturen und die Akten der
Kongregationen können wichtiges Material enthalten zur Frage des Umgangs des
Heiligen Stuhls mit dem NS-Regime, besonders bezüglich der Verfolgung und
unvorstellbaren Ermordung der Juden, aber auch zur Frage, ob und wie 1945
Vertretern des NS-Regimes zur Flucht verholfen wurde und wie der Vatikan sein
Verhältnis zum Staat Israel gestaltete", so Bischof Neymeyr. Er hoffe, dass nach
der Sichtung des Archivmaterials genügend Zeit und finanzielle Mittel zur
Aufarbeitung zur Verfügung stünden, "um die Geschichte korrekt schreiben zu
können. Ein Grundsatz der Geschichtsforschung heißt: Man muss die Menschen immer
aus ihrer Zeit heraus verstehen und darf sie nicht im Nachhinein beurteilen,
wenn man weiß, wie die Dinge sich entwickelt haben", so Bischof Neymeyr.
Wesentlich an der Aufarbeitung der Archivbestände in Rom beteiligt ist Prof. Dr.
Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Universität Münster. "Überblickt man die
bisherigen Forschungen, wird deutlich, dass die Konzentration auf das Verhalten
des Papstes während der Shoah dazu geführt hat, dass weitere brisante Fragen
nicht ausreichend bearbeitet wurden. Zu nennen sind etwa die sogenannte
'Rattenlinie', die Situation in Palästina und die Gründung des Staates Israel,
womit die Frage nach grundsätzlichen theologischen Reflexionen zum Verhältnis
von Christentum und Judentum eng zusammenhängt", so Prof. Wolf. "Ich warne
jedoch vor vorschnellen Urteilen und sensationellen Meldungen. Allen Skeptikern,
die von der Öffnung der Archive Pius' XII. nichts Neues erwarten, rufe ich in
Erinnerung, wieviel Neues die Apertura der Bestände Pius' XI. allen Unkenrufen
zum Trotz gebracht hat."
Prof. Dr. Johannes Heil, Universitätsprofessor an der Hochschule für Jüdische
Studien in Heidelberg, hob die widersprüchlichen Urteile über Pius XII. hervor
und stellte dessen Verhalten in die Tradition päpstlicher Judenpolitik. "Die
Öffnung der vatikanischen Archive ist ein großer Fortschritt. Die Erträge werden
keine Diskussion beenden, aber auf eine fundiertere Basis stellen."
Deutlich wurde bei der Veranstaltung, dass mit der Öffnung der Archive ein
weiterer Meilenstein in der historischen Forschung in Rom möglich gemacht wird.
Die Deutsche Bischofskonferenz wolle, so Bischof Neymeyr, die Arbeit der
Historiker und deren Ergebnisse aufmerksam auswerten.
Übereinstimmend betonten Dr. Schuster und Bischof Neymeyr, dass die heutige
Podiumsdiskussion auch ein Zeichen für die veränderten Beziehungen zwischen
Kirche und Judentum sei. Es sei zu hoffen, dass die katholisch-jüdische
Zusammenarbeit sich auch in der historischen Erforschung der vatikanischen
Archive fortsetze.
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