Vermittler auf Konfrontationskurs
Geschrieben am 12-03-2020 |
Marburg (ots) - Bundeskabinett beschließt:
Aufsicht über Finanzanlagenvermittler liegt zukünftig bei der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
- Auswertung der Stellungnahmen der Verbände -
Komprimierte Zusammenfassung der Stellungnahmen bietet Orientierung
Zu dem im Dezember 2019 veröffentlichten Referentenentwurf zur Übertragung der
Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die BaFin (zwischenzeitlich als
Kabinettsentwurf am 11. März 2020 beschlossen) wurden insgesamt 23
Stellungnahmen auf der Website des Bundesfinanzministeriums zur Einsicht
veröffentlicht. Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung
(DIVA) hat es sich zur Aufgabe gemacht, im Rahmen des DIVA-Monitors (Ausgabe
1/2020) die Stellungnahmen von elf wichtigen Verbänden auszuwerten und dabei die
Eingaben nach Einzelthemen zu strukturieren. Damit soll eine komprimierte
Zusammenfassung der wichtigsten Argumente der Verbände für bzw. gegen eine
BaFin-Aufsicht zur Verfügung gestellt werden, die eine fundierte Bewertung des
Referentenentwurfes möglich macht. Bei der Auswahl der einbezogenen
Stellungnahmen (s.u.) wurde darauf geachtet, Verbände der vom Referentenentwurf
unmittelbar betroffenen Vermittler (AfW, BDV, BDVM, BVK und VOTUM), der bislang
in die Aufsicht einbezogenen Industrie- und Handelskammern (DIHK) und
Wirtschaftsprüfer (WPK), die Verbände der Produktanbieter (BVI und GDV) sowie
der Verbraucher (vzbv) und der Kreditinstitute als Wettbewerber der
Finanzanlagenvermittler (DSGV, BVR, BdB) einzubeziehen.
- Referentenentwurf geht über den Koalitionsvertrag hinaus
- Branche lehnt das Vorhaben mehrheitlich ab
- Kritik am bestehenden Aufsichtssystem überwiegend als unberechtigt
bewertet
- Zersplitterung der Aufsicht nimmt nicht ab, sondern zu
- Wirtschaftliche Belastung der Vermittler vervielfacht sich
- Niveau des Verbraucherschutzes nimmt ab
- Regelungen zu Vertriebsgesellschaften erzeugen viel Bürokratie
- Die Branche fordert praxisgerechte Alternativen zur BaFin-Aufsicht
Referentenentwurf geht über den Koalitionsvertrag hinaus
Es wird darauf hingewiesen, dass der Koalitionsvertrag eine schrittweise
Übertragung der Aufsicht hin zur BaFin vorsieht (BDV). Im Entwurf wird dagegen
eine vollständige Übertragung in einem Schritt vorgenommen, so das DIVA. Auch
wird moniert, dass mit der Finanzanlagenvermittlerverordnung die Beratung gerade
erst vollständig neu geregelt und inhaltlich an die für Banken geltenden
Regelungen des WpHG angeglichen wurde. Gefordert wird, zunächst diese neuen
Regelungen in der Praxis zu etablieren, sie dann zu evaluieren und erst danach
über notwendige Verschärfungen der Aufsicht zu befinden (BDV, BVK, DIHK, VOTUM).
Der AfW argumentiert, dass die Regelungen der FinVermV seinerzeit vom BMWi als
alternativlos dargestellt wurden, im Widerspruch dazu jetzt nach Auffassung des
BMF die BaFin-Aufsicht alternativlos sei.
Branche lehnt das Vorhaben mehrheitlich ab
Die überwiegende Zahl der Verbände (Vermittlerverbände, BVI, GDV und DIHK) lehnt
eine BaFin-Aufsicht grundsätzlich ab oder beurteilt sie zumindest mit deutlicher
Skepsis. Lediglich der vzbv und die Verbände der Kreditinstitute begrüßen den
Gesetzentwurf. Für Letztere sei das nachvollziehbar, so das DIVA, da sowohl
Kreditinstitute als auch die Verbraucherzentralen mit ihren Beratungsstellen
Wettbewerber der Finanzanlagenvermittler seien und insoweit allein deshalb ein
Interesse an einer Verschärfung der Aufsicht bestehen könnte.
Kritik am bestehenden Aufsichtssystem überwiegend als unberechtigt bewertet
Betont wird, dass Vermittler deutlich weniger Risiken als Banken ausgesetzt und
darüber hinaus fast immer Kleinunternehmen sind (BDV, BVK). Unterschiedliche
Aufsichtssysteme seien deshalb nicht nur sinnvoll, sondern sogar notwendig (BDV,
DIHK, VOTUM). Der DIHK erwähnt die für Vermittler völlig überzogenen
Bußgeldregelungen des WpHG. vzbv und die Verbände der Kreditinstitute fordern
hingegen eine noch weitergehende Angleichung zwischen Wertpapierdienstleistern
und Vermittlern wie zum Beispiel bei den Regelungen zu Zuwendungen und
Interessenskonflikten.
Hervorgehoben wird in fast allen Stellungnahmen, dass Missstände in der
Finanzanlagenvermittlung, die eine BaFin-Aufsicht rechtfertigen könnten, nicht
nachgewiesen wurden. Allein dies wird von den Gegnern einer BaFin-Aufsicht als
starkes Indiz für eine im bestehenden System funktionierende Aufsicht gesehen.
Auch wird moniert, dass suggeriert wird, für die Aufsicht seien nur die Kammern
bzw. Gewerbeämter zuständig. Dies wäre jedoch eine stark verkürzte
Argumentation, denn auch die Wirtschaftsprüfer und die Produktanbieter
überwachen die Vermittler (BDV).
Der vzbv thematisiert im Gegensatz dazu Interessenskonflikte, die sich daraus
ergeben, dass die Industrie- und Handelskammern gleichermaßen Aufsichtsinstanz
wie Interessenvertreter der gewerblichen Berufe (hier: Finanzanlagenvermittler)
seien.
Zersplitterung der Aufsicht nimmt nicht ab, sondern zu
Die Notwendigkeit einer Übertragung der Aufsicht wird im Referentenentwurf mit
der Zersplitterung im derzeitigen System begründet. Die meisten Verbände weisen
darauf hin, dass Finanzanlagenvermittler fast immer auch Versicherungen und
oftmals auch Immobiliendarlehen vermitteln. Die Zersplitterung der Aufsicht
würde demnach sogar zunehmen, wenn neben den IHKn und Gewerbeämtern
(Versicherungen und Immobiliendarlehen) zukünftig auch die BaFin (Finanzanlagen)
aktiv wird (BDV, BVI, BVK, DIHK, VOTUM). Auch wird darauf hingewiesen, dass die
für die Vermittler geltenden Vorschriften zur Kundenberatung (FinVermV) nahezu
identisch seien mit den Regelungen des WpHG und insoweit ein Aufsichtsgefälle
nicht gegeben sei (BDV, BVK).
Wirtschaftliche Belastung der Vermittler vervielfacht sich
Mit Ausnahme des vzbv und der Verbände der Kreditinstitute kritisieren alle
anderen Verbände die zusätzlichen Kosten einer Aufsichtsverlagerung. Der
Erfüllungsaufwand der Wirtschaft (einmalig und laufend) sei viel zu niedrig und
die Kosteneinsparungen seien viel zu hoch angesetzt. Besondere Kritik wird an
den deutlich höheren Kosten für die Zulassung sowie der hohen BaFin-Umlage
geübt, die von den Vermittlern zu tragen wären. Es wird davon ausgegangen, dass
diese Kostenbelastungen zu einer erheblichen Marktbereinigung führen und den
Markteintritt erschweren würden (BDV, BVK, DIHK, VOTUM). Bemängelt wird die zum
Teil fehlende Nachvollziehbarkeit und Zurechenbarkeit der angegebenen Kosten und
Kosteneinsparungen (AfW, BDV, BVI, DIHK, VOTUM).
Niveau des Verbraucherschutzes nimmt ab
Mehrere Verbände betonen in ihren Stellungnahmen, dass eine Aufsicht vor Ort
durch IHKn und Gewerbeämter sowie durch die Prüfberichte der Wirtschaftsprüfer
eine weitaus intensivere und qualitativ hochwertigere Aufsicht sei als eine
zentrale Aufsicht in Form eines automatisierten jährlichen Prüfberichtes (BDV,
DIHK, GDV, VOTUM, WPK). Eine Aufsichtsverlagerung würde also den
Verbraucherschutz eher schwächen. Gleiches resultiere aus der Intransparenz
durch zukünftig zwei (DIHK und BaFin) statt einem DIHK-Vermittlerregister (BVK,
DIHK). Eine Schwächung des Verbraucherschutzes wird auch in der "Enthaftung"
angebundener Vermittler bei Vertriebsgesellschaften gesehen (BDV).
Der vzbv will den Verbraucherschutz erhöhen, indem die im Referentenentwurf
genannten Mindestversicherungssummen für eine obligatorische
Berufshaftpflichtversicherung drastisch angehoben werden.
Regelungen zur Vertriebsgesellschaft erzeugen viel Bürokratie
Insbesondere der BDV betont in seiner Stellungnahme eine ganze Reihe von
"Problemen", die mit dem neuen Konstrukt der Vertriebsgesellschaft verbunden
seien. So schwäche die Verschiebung der Haftung vom Vermittler zur
Vertriebsgesellschaft den Verbraucherschutz. Es wäre mit ganz erheblichen Kosten
zu rechnen, u.a. auch durch die Forderung nach überzogenen Compliance- und
Risikomanagementsystemen. Die jährliche Prüfung der Vertriebsgesellschaft durch
die BaFin sei unverhältnismäßig, zumal auch für die Selbstauskunft ein
jährlicher Rhythmus vorgesehen ist (AfW). Auch die unscharfe Begriffsbestimmung
der Vertriebsgesellschaft und die fehlende Abgrenzung zu Kleinunternehmen wird
kritisiert (DIHK, GDV). Von Seiten des DIVA wird ergänzt, dass mit einer
Bestellung eines externen Prüfers durch die BaFin die Vertriebsgesellschaft
sogar schlechter gestellt würde als Kreditinstitute.
Die Branche fordert praxisgerechte Alternativen zur BaFin-Aufsicht
Die Auswertung der Stellungnahmen zu möglichen Alternativen zu einer
BaFin-Aufsicht führt zu einem vergleichsweise einheitlichen Bild: Gefordert
wird, die ggf. bestehende Zersplitterung zu beseitigen, indem zukünftig
durchgängig in allen Bundesländern die IHKn für Zulassung und Aufsicht zuständig
sind (AfW, BDV, BDVM, BVK, BVI, DIHK, GDV, VOTUM). Zumindest die Prüfung der
Vermittler solle nicht auf eine neue Behörde übertragen werden, sondern in der
Zuständigkeit der erfahrenen Prüfberufe verbleiben (WPK, DIHK, BDV, VOTUM). Der
BDVM schlägt vor, Leitkammern zu definieren, die im Schulterschluss mit der
BaFin ein einheitliches Aufsichtsniveau gewährleisten sollen. VOTUM plädiert für
einen Fachbeirat von DIHK und BaFin. Der vzbv und die Verbände der
Kreditinstitute sprechen der IHK-Organisation die Befähigung zu einer Aufsicht
auf einheitlichem Niveau ab. Außerdem wird gefordert, dass eine
Aufsichtsinstitution auch über Kenntnisse zu den zu vermittelnden Produkten
verfügen sollte, was bei der BaFin gegeben sei (vzbv).
Einbezogene Stellungnahmen (in alphabetischer Reihenfolge):
AfW AfW - Bundesverband Finanzdienstleistung e.V.
BDV Bundesverband Deutscher Vermögensberater e. V.
BDVM Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e.V.
BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V.
BVK Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V.
DIHK Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.
DSGV+BVR+BdB Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V.
+ Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
+ Bundesverband der deutschen Banken e.V.
GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.
vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in
Europa e. V.
WPK Wirtschaftsprüferkammer KöR
Die vollständige Stellungnahme des DIVA - "DIVA-Monitor 01/2020" - ist auf der
Website des Forschungsinstituts oder direkt beim wissenschaftlichen Direktor des
Instituts (michael.heuser@diva.de) abrufbar.
Verantwortlich für diese Pressemitteilung:
Prof. Dr. Michael Heuser
Wissenschaftlicher Direktor des DIVA
Tel. 06421 59078-11
Fax 06421 59078-21
michael.heuser@diva.de | http://www.diva.de
Zum DIVA
Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) ist das
Forschungsinstitut des Bundesverbandes Deutscher Vermögensberater (BDV). Als
"An-Institut" der renommierten Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) mit
Hauptsitz in Paderborn wird es als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung mit
hohen Standards geführt. Sitz des DIVA ist Marburg.
In Studien und Forschungsprojekten widmet sich das DIVA Themen der finanziellen
Absicherung und Geldanlage von Bürgern und Unternehmen in Deutschland wie auch
Fragen der Regulierung des Finanzmarktes und der Ausgestaltung der sozialen
Sicherungssysteme. In wissenschaftlich abgesicherten Um¬fragen ermittelt das
DIVA Sichtweisen, Meinungen und Stimmungen der Bevölkerung. Dabei macht sich das
DIVA Wissen und Kontakte der 12.000 BDV-Mitglieder mit über 8 Millionen
Kundinnen und Kunden und monatlich mehr als 1 Million Kundenkontakten zunutze.
Repräsentative Stichproben dieser Gruppe bilden die Basis seiner Umfragen und
empirischen Forschungsprojekte. In ausführlichen Stellungnahmen, seinen
"DIVA-Monitoren", bezieht das Institut öffentlich Position.
Kontakt zum DIVA
Wissenschaftlicher Direktor des DIVA ist Prof. Dr. Michael Heuser,
geschäftsführender Direktor Dr. Helge Lach.
Verantwortlich für diesen DIVA-Monitor und genereller Ansprechpartner für die
inhaltliche Arbeit des DIVA ist der wissenschaftliche Direktor des DIVA, Prof.
Dr. Michael Heuser: michael.heuser@diva.de .
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