(Registrieren)

Das liberale Dilemma / Die FDP hat ihre Wurzeln verkümmern lassen und damit eine Leerstelle im politischen Spektrum hinterlassen / Leitartiekl von Heinz Gläser zur Lage der FPD

Geschrieben am 17-04-2020

Regensburg (ots) - Es war still geworden um Burkhard Hirsch. Am 11. März ist der frühere Innenminister von Nordrhein-Westfalen im Alter von 89 Jahren verstorben. Nachrufe würdigen ihn als Ikone des liberalen Rechtsstaats, als leidenschaftlichen Kämpfer für Grund- und Freiheitsrechte. Hirsch war ein Relikt jener Zeit, in der die FDP programmatisch breiter aufgestellt war als heute - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Gemeinsam mit dem mittlerweile hochbetagten ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum war er ein Protagonist der sozialliberalen Ära, die 1982 mit dem Regierungswechsel in Bonn endete. Was ein Burkhard Hirsch zur aktuellen Situation zu sagen hätte, wäre spannend. Gewiss, sie schreit nach raschen und unbequemen Lösungen, diktiert ein konsequentes Handeln des Staates auf allen Ebenen. Noch beugt sich die Gesellschaft den Sachzwängen, toleriert die gravierenden und in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Einschränkungen der Grundrechte, denen sie in der Corona-Krise unterworfen ist. Noch erscheint all das alternativlos, um das Wort zu benutzen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Finanzkrise prägte. Gleichzeitig regt sich Skepsis. Was derzeit auf administrativer Ebene geschieht, mag bisweilen dem Übereifer oder gar der Panik im Umgang mit einer existenziellen Bedrohung geschuldet sein. Aber es legt zweifelsohne die Axt an die Errungenschaften des Rechtsstaats. Die Menschen spendieren den Institutionen gleichsam einen Vertrauensvorschuss, dass ihre Freiheitsrechte nicht auf Dauer angetastet bleiben. Und es gibt gute Gründe dafür, in diesem epochalen Stresstest auf die Stärke und Stabilität der Demokratie in diesem Land zu bauen. Trotzdem: Wann, wenn nicht jetzt sollten die liberalen Kräfte mahnend ihre Stimme erheben? Es mag derzeit nicht sonderlich populär sein, auf Grundrechte zu pochen. Notwendig wäre es. Und es wäre nach ihrem ursprünglichen Selbstverständnis an den Freien Demokraten, die unveräußerlichen Rechte und Freiheiten des Individuums zu betonen. Doch die FDP hat nach dem Schwenk von 1982, der die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt beendete und die Ära Helmut Kohl einläutete, ihre rechtsstaatlichen Wurzeln peu à peu verkümmern lassen. Einstige Vordenker wie Hirsch und Baum gerieten angesichts der Dominanz des wirtschaftsliberalen Dogmas ins Abseits. Den Tiefpunkt dieser Entwicklung hin zur programmatischen Verengung markierte Mitte der Neunziger das Etikett "Partei der Besserverdienenden". Es mag der FDP streng genommen zu Unrecht angeheftet worden sein, da die Aussage des damaligen Generalsekretärs Werner Hoyer ("Wir sind die Partei der Besserverdiener, weil wir wollen, dass alle besser verdienen") verkürzt zitiert wurde. Indes: Im Kern deckte sich diese Beschreibung mit der unverhohlenen Klientelpolitik der Partei. Die FDP hat damit eine Leerstelle im politischen Spektrum der Republik hinterlassen. Die Grünen schickten sich an, diese zu füllen. Allerdings sind dirigistische Reflexe zu sehr in der DNA dieser Partei verankert, als dass sie glaubhaft einen modernen Liberalismus definieren könnte. Das hat jüngst erst wieder die hektische Klimadebatte erwiesen, in der sie einer Verbotskultur huldigte. Die FDP ist derweil doppelt in Bedrängnis, weil ihr Markenkern für die sich anbahnende gigantische wirtschaftliche Krise nicht taugt. Der starke Staat tritt ökonomisch an die Stelle des freien Spiels der Kräfte. Das liberale Credo ist - zumindest vorübergehend - obsolet. Und doch erwächst aus diesem Dilemma eine Chance für die Freien Demokraten. Die Grundrechte stehen auch jetzt nicht zur Disposition. Der Rechtsstaat ist mehr denn je auf starke Fürsprecher angewiesen. Die FDP sollte sich endlich wieder auf ihre eigentliche Rolle und Funktion besinnen.

Pressekontakt:

Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/62544/4574034
OTS: Mittelbayerische Zeitung

Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

729573

weitere Artikel:
  • Lungenembolien könnten hohe Covid-19-Sterberate verursachen Berlin (ots) - Die hohe Sterberate bei Covid- 19-Erkrankten könnte nach Erkenntnissen von Medizinern durch Lungenembolien verursacht sein. Bislang galt die "Schocklunge" als Haupt-Todesursache von Covid-19-Patienten, also das akute Atemnotsyndrom, ausgelöst durch eine Überreaktion des Immunsystems. Doch inzwischen gibt es Hinweise, dass verstopfte Lungengefäße eine Ursache plötzlicher Todesfälle sein könnten. Wenn man schwer erkrankten Patienten frühzeitig Blutverdünnungsmittel geben würde, könne man möglicherweise "die schwere Gerinnungsstörung, mehr...

  • Neubau der Leverkusener Rheinbrücke gefährdet Land NRW droht dem Generalunternehmer mit Kündigung - Tüv Rheinland bemängelt Qualität der Stahlbauteile aus China - Baukonzern weist Vorwürfe zurück Köln (ots) - Köln. Der Neubau der Leverkusener Rheinbrücke steht auf der Kippe. Das Land Nordrhein-Westfalenerwägt, dem Generalunternehmer Porr AG zu kündigen. Der österreichische Baukonzern, der die Ausschreibung für den 363 Millionen Euro teuren Neubau gewonnen hatte, soll nach einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstagausgabe) bei den in China gefertigten Stahlbauteilen nicht die für Deutschland üblichen Qualitätsnormen erfüllt haben. Dabei geht es nicht um die Qualität des Stahls, sondern um dessen Verarbeitung in China. Nach Protokollen mehr...

  • Kommentar / Schwarz-Gelb verspielt Vertrauen = Von Georg Winters Düsseldorf (ots) - Am Donnerstag hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Brustton der Überzeugung erklärt, größere Geschäfte in Nordrhein-Westfalen dürften ab Montag auch dann nicht öffnen, wenn sie ihre Ladenflächen auf 800 Quadratmeter verkleinerten. Nur 24 Stunden später kündigt Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) an, man wolle in den nächsten beiden Wochen genau das prüfen. Geht's noch? Entweder fehlt es den Ministern der Regierungsparteien an der Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren, oder am Willen dazu. Beides wäre mehr...

  • Kommentar / NRW lässt Lehrer und Schüler im Stich = Von Martina Stöcker Düsseldorf (ots) - Am 23. April kommen die ersten Schüler zurück in die Schule. Doch vieles ist unklar, das NRW-Schulministerium hat die Verwirrung bei Schülern, Lehrern und Eltern selbst verschuldet. Konkrete Ideen für den Unterricht gab es von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nicht. Mit Handhygiene und Abstand soll die Corona-Schule laufen. Es kursieren Ideen, für Gruppen Vormittags- und Nachmittagsunterricht anzubieten sowie versetzte Pausen. Jetzt bastelt jede Schulleitung an Konzepten. Und Eltern wissen nicht, wann sie die Kinder betreuen mehr...

  • Gottesdienste in Corona-Zeiten: Leben mit der Unsicherheit / Kommentar von Sebastian Kaiser Freiburg (ots) - Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, sie einzuschränken, darf für eine Demokratie kein Dauerzustand sein. Daher ist es nachvollziehbar, dass Schritte erörtert werden, um Gottesdienste, Trauerfeiern und Seelsorge möglich zu machen. Dennoch fragt man sich: Religiöse Versammlungen in Zeiten von Corona - kann das gut gehen? Sind es nicht ältere Menschen, die das Gros der Gottesdienstteilnehmer stellen? Für all diese Fragen aber gibt es keine eindeutigen Antworten. Jede Lockerung, ist mit einem gewissen Risiko verbunden. http://www.mehr.bz/khs90p mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht