Richtungsweisende Entscheidung des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19: Volkswagen haftet im Abgasskandal auf Schadensersatz / Alle Geschädigten des Dieselskandals sollten spätestens jetzt handeln
Geschrieben am 26-05-2020 |
Nürnberg (ots) - Es ist ein großer Sieg für alle Geschädigten des Dieselskandals. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte mit Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche gegen VW wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zustehen. "Die Rechtslage ist damit endlich grundsätzlich geklärt. Nachdem sich der BGH verbraucherfreundlich positioniert hat, sollten nicht nur Kunden von VW, sondern alle vom Dieselskandal betroffenen Autobesitzer ihre Ansprüche spätestens jetzt mit aller Konsequenz verfolgen", empfehlen Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert, Partner der im Verbraucherschutzrecht tätigen Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte aus Nürnberg.
Es ist geschafft. Der Volkswagen AG ist es dieses Mal nicht gelungen, eine Entscheidung des BGH in einem sogenannten "Dieselfall" zu verhindern. Dies dürfte auch dem Durchhaltevermögen des dortigen Klägers zu verdanken sein, der sämtliche Vergleichsangebote von VW abgelehnt hat. Bereits zuvor waren Verfahren vor dem BGH anhängig, die sodann jedoch durch die Parteien ohne einen ersichtlichen rechtlichen Grund beendet worden sind. Jetzt liegt die erste höchstrichterliche Entscheidung zum Abgasskandal vor. Der VI. Zivilsenat des BGH bestätigte in seinem Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, im Einklang mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte im gesamten Bundesgebiet, dass Volkswagen auf Schadensersatz haftet.
Der dortige Kläger hatte im Jahr 2014 einen gebrauchten VW Sharan 2.0 TDI gekauft, der mit einem Motor des Typs EA189 ausgestattet ist. Das Kraftfahrtbundesamt stellte fest, dass die Motorsteuerung eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält und gab der Volkswagen AG auf, diese zu beseitigen. Der Kläger ließ im Februar 2017 ein "Software-Update" aufspielen. Mit seiner Klage verlangte der Kläger von VW die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Übergabe des Kfz. Das OLG Koblenz hatte VW mit Urteil vom 12.06.2019, 5 U 1318/18, zu Schadensersatz verurteilt. Danach konnte der Kläger die Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Rückgabe des Kfz verlangen; er musste sich aber für die gefahrenen Kilometer einen Nutzungsvorteil anrechnen lassen. Sowohl die Volkswagen AG als auch der Kläger hatten gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Revision zum BGH eingelegt.
"Nach unserer Auffassung wurde bereits in dem ersten Verhandlungstermin am 05.05.2020 klar, dass der Bundesgerichtshof die Volkswagen AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verurteilen wird. Denn die Argumente des Volkswagen-Konzerns konnten den Vorsitzenden Richter Stephan Seiters schon in seinem ausführlichen, einleitenden Vortrag nicht überzeugen", erläutert Rechtsanwalt Göpfert.
Dies hat sich nunmehr bestätigt, wobei der BGH in seiner Entscheidung vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, insbesondere im Hinblick auf das "objektiv sittenwidrige Verhalten" von VW sehr deutliche Worte fand. Die Beklagte habe auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Ein solches Verhalten ist nach dem Rechtsempfinden der Bundesrichter "besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren". Daher habe das OLG Koblenz zu Recht eine Haftung aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB angenommen.
Ein kleiner Wermutstropfen bleibt für geschädigte Verbraucher. Der Kläger muss sich nach Auffassung des BGH die Nutzungsvorteile auf der Grundlage der gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. "Der Abzug einer sogenannten Nutzungsentschädigung ist mehr als fragwürdig, weil der Autohersteller hierdurch jedenfalls einen Teil der wirtschaftlichen Vorteile aus seinem sittenwidrigen Handeln einbehalten darf. Andererseits entspricht ein solcher Vorteilsausgleich zu Lasten des Geschädigten dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot", erläutert Rechtsanwalt Dr. Hoffmann. Das letzte Wort zur Frage der Nutzungsentschädigung wird voraussichtlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben.
Aber auch im deutschen Recht lässt sich das Dilemma nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte ohne weiteres über den Anspruch auf sogenannte Deliktszinsen gemäß § 849 BGB lösen. Beispielsweise in dem durch die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner erstrittenen Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 08.05.2019 zum Az.: 9 O 7966/18, wurde deren Mandanten antragsgemäß auch ein Verzinsungsanspruch in Höhe von 4 Prozent aus dem - vereinfacht gesagt - "Nettokaufpreis" zugesprochen, wobei die Verzinsungspflicht bereits mit dem Kaufzeitpunkt eintritt. Was zunächst wenig spektakulär klingt, führte im wirtschaftlichen Ergebnis dazu, dass der Kläger sage und schreibe rund 98 Prozent des Bruttokaufpreises zurückerhält. Damit ist der VW-Kunde in den letzten sieben Jahren praktisch kostenlos gefahren.
Ein solcher Zinsanspruch des Autokäufers, als unausweichliche Kompensation für den Nutzungsersatzanspruch des Herstellers, muss indessen auch explizit geltend gemacht werden. Falls Deliktszinsen nicht beantragt werden, können sie vom Gericht auch nicht zugesprochen werden. Ebenso verhielt es sich leider in dem Verfahren vor dem BGH zum Az.: VI ZR 252/19. Hier wurde ein entsprechender Antrag schlicht versäumt, so dass sich der Bundesgerichtshof zur Frage des Deliktszinses auch nicht äußern konnte. In diesem Punkt bleibt es also spannend.
Von dem aktuellen Urteil des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, profitieren nicht nur Geschädigte, die sich der VW-Musterfeststellungsklage angeschlossen haben, sondern auch all diejenigen, die bisher noch überhaupt keine rechtlichen Schritte unternommen haben. "Denn entgegen der durch den VW-Konzern vertretenen Meinung sind Schadensersatzansprüche auch für Besitzer der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit Dieselmotoren des Typs EA189 mit Nichten bereits mit Ablauf des 31.12.2019 verjährt. Vielmehr können diese nach unserer klaren Rechtsmeinung auch im Jahr 2020 noch erfolgversprechend durchgesetzt werden", stellt Rechtsanwalt Dr. Hoffmann heraus.
Darüber hinaus ist die Entscheidung des BGH nicht nur für Käufer von Dieselfahrzeugen mit EA189-Motoren relevant. Vielmehr haben die Feststellungen des Bundesgerichtshofs auch für die Haftung anderer Hersteller von Fahrzeugen mit verschiedensten Dieselmotoren richtungsweisende Bedeutung. Wenn - wie bei so vielen Modellen und Motoren - eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden ist, wird man eine Schadensersatzhaftung nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte kaum mehr verneinen können.
Alle Geschädigten des sogenannten Dieselskandals sollten daher spätestens jetzt handeln und ihre Ansprüche mit aller Konsequenz verfolgen. Gerade wenn Autobesitzer über eine Verkehrsrechtsschutzversicherung verfügen, die bereits vor dem Kauf abgeschlossen worden ist, besteht vielfach ohnehin kein Kostenrisiko.
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