WESTFALEN-BLATT (Bielefeld): Kommentar zur Gendersprache

Bielefeld (ots) - Fast 30 Jahre ist es her, da wurden in einem Germanistik-Seminar an meiner UniversitÃ¤t "lila Karten" verteilt. Die hoben die Studentinnen in die HÃ¶he, wenn der Dozent mal wieder sein zumeist weibliches Auditorium nur mit der mÃ¤nnlichen Anrede begrÃ¼ÃŸte: "Liebe Studenten". Sprache prÃ¤gt das Bewusstsein und mit Sprache lÃ¤sst sich Politik machen. Das war damals in den 90ern schon den Freiburger Studentinnen klar. Genauso wie die Einsicht, dass Menschen nun mal nicht neutral sind, sondern MÃ¤nner und Frauen. "Der Arzt, der seine Tochter operiert" kann rein grammatikalisch auch die Mutter der Patientin sein, weil eine Berufsbezeichnung nicht auf das biologische Geschlecht verweist. Aber wer stellt sich hier tatsÃ¤chlich eine Frau im weiÃŸen Kittel vor?

Das Anliegen von Alice Schwarzer und Co., Frauen sichtbar zu machen und ihnen zu gleichen Rechten zu verhelfen, ist spÃ¼rbar vorangekommen. Mehr Frauen in FÃ¼hrungspositionen sind dafÃ¼r ein Gradmesser, mehr MÃ¤nner, die Elternzeit nehmen, ein anderer. Welchen Anteil daran die Sprache hat, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall bilden die heutigen Sprech- und HÃ¶rgewohnheiten das ab, was zwar nicht sprachlich richtiger ist, aber als gerechter empfunden wird. "Liebe BÃ¼rgerinnen und BÃ¼rger, liebe WÃ¤hlerinnen und WÃ¤hler" - wehe dem Politiker, der der weiblichen HÃ¤lfte der BevÃ¶lkerung keine Beachtung schenkt. Egal, ob nur als politisch korrekte Floskel oder ernst gemeint.

Doch was als Suche nach einer gerechteren Sprechweise begonnen hat, ist leider eine regelrechte Ideologie geworden: Das Geschlecht (englisch "gender") ist dabei so wichtig geworden, dass es den Verfechtern nicht mehr ausreicht, von Frauen und MÃ¤nnern zu sprechen. Denn damit wÃ¼rde man ja diejenigen ausschlieÃŸen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zugehÃ¶rig fÃ¼hlen.

Der Gesetzgeber trÃ¤gt diesem Umstand, der oft mit groÃŸem persÃ¶nlichen Leid verbunden ist, mit der Kennzeichnung "divers" auf dem Personalausweis Rechnung. Eine gute LÃ¶sung. Doch muss deshalb die Sprache nachziehen - oder vielmehr: zum Gendern geprÃ¼gelt werden? Das Deutsche kennt nun mal nur BÃ¼rgerinnen und BÃ¼rger, aber keine Transgender-BÃ¼rger. Da muss schon nachgeholfen werden mit dem groÃŸen Binnen-I, dem Unterstrich oder Gender-Sternchen. Und das passiert in deutschen Amtsstuben bereits sehr grÃ¼ndlich.

Das sogenannte Gendern hat viele BehÃ¶rdentexte oder Briefe aus dem Rathaus unleserlicher gemacht. Zumeist ohne groÃŸes Aufsehen wurden diese - Entschuldigung! - Verrenkungen von der Kommunalpolitik als Teil der Gleichstellungsarbeit missverstanden und durchgewunken. Wer legt sich schon wegen ein paar Formularen mit der Gleichstellungsbeauftragten an? Dabei wird bei diesem Gendern nicht zu einem bewussteren Sprachgebrauch angeregt, sondern die deutsche Sprache kÃ¼nstlich und massiv "von oben" verÃ¤ndert. Die "lila Karte" war da harmlos. Der ganze Irrsinn der sprachlichen Umerziehung macht inzwischen auch vor dem gesprochenen Wort nicht halt, wie jÃ¼ngst bei "Anne Will" zu bestaunen war. Als die Moderatorin wiederholt von "Steuerzahler-Innen" sprach, hÃ¤tte man ihr am liebsten zugerufen: "Ja gibt es denn auch Steuerzahler-AuÃŸen?" Viele Zuschauer und auch Zuschauerinnen haben dieses pseudo-korrekte Gehabe als stÃ¶rend empfunden. Zum GlÃ¼ck. Es ist ja auch kein richtiges Deutsch.

Die deutsche Sprache ist lebendig, weil sie sich im Gebrauch wandelt. Wer ihr "am grÃ¼nen Tisch" sozusagen mit Unterstrichen und Sternchen zu Leibe rÃ¼ckt, schadet ihr. Das hat schon die misslungene Rechtschreibreform von 1998 gezeigt.

Wir sollten es einfach aushalten lernen, dass sich mit unseren alltagssprachlichen Mitteln nicht jede Minderheit umarmen lÃ¤sst. Damit unser Deutsch die schÃ¶ne und kluge Sprache der Dichterinnen und Denker bleibt.

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