Forscher fordern Konsequenzen aus Pestizidskandal
Geschrieben am 30-06-2020 |
Berlin (ots) - Schwedische WissenschaftlerInnen erheben schwere Vorwürfe gegen den Chemiekonzern Dow Chemical/Corteva und Pestizid-Zulassungsbehörden. "Der Hersteller des Insektizids Chlorpyrifos hat die Ergebnisse eines Tierversuchs 1998 irreführend dargestellt, und die Behörden korrigierten das erst 2019", sagte Chemiker Axel Mie von der schwedischen Medizinuniversität Karolinska-Institut der Tageszeitung "taz" (Dienstagausgabe). "Die Ergebniszusammenfassung verschwieg, dass die Kleinhirne von Jungratten kleiner waren, selbst wenn ihre Mütter während der Trächtigkeit nur sehr geringen Chlorpyrifos-Mengen ausgesetzt waren", ergänzte Christina Rudén, Ökotoxikologie-Professorin an der Universität Stockholm.
Deshalb ließ die Europäische Union das seit Jahrzehnten erlaubte Mittel 2005 erneut zu, obwohl die Daten auf mögliche Schäden an den Gehirnen menschlicher Embryos hindeuteten. Die Forscher fordern nun von der EU, Hinweisen auf mögliche Manipulationen nachzugehen.
Zwar hat die EU den Stoff Anfang 2020 verboten. Denn Forscher um Mie hatten die Rohdaten des Rattenversuchs ausgewertet und 2018 in einem Fachartikel auf die fehlerhafte Auswertung hinwiesen. Doch das EU-weite Verbot kam erst 22 Jahre nachdem die Rattenstudie Hinweise auf die Gefahr geliefert hatte. In Deutschland durfte Chlorpyrifos schon seit 2015 nicht mehr gespritzt werden - anders als etwa in Spanien und Polen. Aber laut Bundesamt für Verbraucherschutz wurde das Pestizid beispielsweise 2018 in 23 Prozent der untersuchten Grapefruits, 21 Prozent der analysierten Bananen und 20 Prozent der Orangenproben gefunden. Der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit zufolge war Chlorpyrifos eines der 2018 am häufigsten gefundenen Pestizide in Nahrungsmitteln.
"Studien deuten auf einen niedrigeren Intelligenzquotienten bei Kindern infolge von Chlorpyrifosexposition hin", schreiben Mie und Rudén. "In Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht, müsste die EU-Kommission schon der Frage nachgehen, wie es zu der offensichtlich fehlerhaften Analyse durch das Unternehmen kommen konnte." Untersucht werden muss den Wissenschaftlern zufolge auch, warum die Ämter die Fehler nicht behoben.
Spanien prüfte Chlorpyrifos ab 1999 im Auftrag der EU. Wie immer bei solchen Verfahren in Europa, den USA oder Kanada stützten sich die spanischen Regierungsexperten vor allem auf Studien, die Hersteller des Pestizids in Auftrag gegeben und für die Behörden zusammengefasst hatten. Doch die Experten wiesen im amtlichen Bericht über die Risiken des Pestizids nicht auf die Gefahren für Embryos hin. Offenbar verließen sich die Behörden bei der Studie mit den Ratten nur auf die Zusammenfassung von Dow Chemical. Die erwähnte mit keinem Wort, dass die Kleinhirne der Jungen von Ratten flacher waren, auch wenn deren Müttern während der Trächtigkeit Chlorpyrifos nur in geringen Dosen eingeflößt wurde.
Wissenschaftler von Dow verteidigten die Studie 2019 mit dem Argument, dass die Kleinhirne von bestimmten Rattenjungen kleiner gewesen seien, weil die Hirne bei der Lagerung vor der Untersuchung in einer Fixierlösung geschrumpft seien. Allerdings stand in der Studie laut Mie eindeutig, dass alle Hirne der fraglichen Altersgruppe gleichzeitig untersucht worden seien.
Selbst auf mehrmalige Nachfrage der taz, ob die Behörden dem Verdacht der Manipulation nachgehen, antwortete die EU-Kommission nur ausweichend. Das zuständige spanische Gesundheitsministerium schrieb der taz, das bei der Ausarbeitung der Analyse von Chlorpyrifos "zu keinem Zeitpunkt" die Daten der Studie manipuliert worden seien. "Die Ergebnisse der Studien wurden auf Grundlage des damaligen Forschungsstandes ausgewertet."
Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober ließ mitteilen, dass er sich "selbstverständlich für eine Aufklärung des Vorwurfes der Manipulation im Rahmen der Zulassung von Chlorpyrifos ausspricht". Deutschlands Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) dagegen verwies nur auf die EU-Kommission.
Mie und Rudén schlagen vor, dass nicht mehr die Industrie die Studien für die Zulassung finanziert. Stattdessen müssten die Unternehmen eine Behörde bezahlen, damit sie die Studien in Auftrag gibt. "Dadurch lässt sich einem Interessenkonflikt im Testlabor vorbeugen - der Auftraggeber hätte dann kein wirtschaftliches Interesse an einem bestimmten Resultat", erklärte Rudén.
Das sieht auch der in Spanien zuständige Gesundheitsminister Salvador Illa von der sozialistischen Partei PSOE so: "Unserer Meinung nach wäre es ideal, wenn die Europäische Union die Studien für die Zulassung von Wirkstoffen durchführen könnte und die Antragsteller die Kosten dieser Studien einer europäischen Behörde zahlen würden", teilte das Ministerium der taz mit.
jma/mkr
Bitte geben Sie - falls möglich - den Link zum Originalartikel an:
https://taz.de/Aufklaerung-von-Pestizidskandal-gefordert/!5683409/
Pressekontakt:
taz - die tageszeitung
taz Redaktion Wirtschaft & Umwelt
Telefon: +49-30-25902-227
Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/42630/4638687
OTS: taz - die tageszeitung
Original-Content von: taz - die tageszeitung, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
738991
weitere Artikel:
- Reformbedarf im System der Alterssicherung / Prof. Lars Feld kritisiert Grundrente hart Berlin (ots) - "Die Einführung der Grundrente löst nicht das Problem der Altersarmut". Das ist das klare Fazit des Direktors des Walter Eucken Instituts , Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld , in einem Gutachten zum Reformbedarf im System der Alterssicherung für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) . Außerdem führe die unzureichende Prüfung der Einkommens- und Vermögenssituation eines Haushalts dazu, dass Personen Grundrente erhalten, die nicht von Altersarmut betroffen sind. Die Aufstockung einer somit höheren Anzahl an Renten stelle mehr...
- TUI: Erfolgreicher Neustart für den Balearen-Urlaub Hannover (ots) -
- Pilotprojekt mit den Balearischen Inseln erfolgreich abgeschlossen - Sehr gutes Gästefeedback für Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen - Insgesamt reisten im Juni mit TUI rund 4.200 Gäste auf die Balearen
Der Neustart ist geglückt: In Kooperation mit der Balearischen und spanischen Regierung setzte TUI in den vergangenen Wochen ein Pilotprojekt um, um die neuen Sicherheits- und Hygieneregeln in der Praxis anzuwenden und die Akzeptanz bei Urlaubern zu ermitteln. Erste Befragungen zeigen, dass die Gäste die neuen Maßnahmen und mehr...
- PRIMARK gibt Mehrwertsteuer-Senkung vollständig an Kunden weiter (FOTO) Essen (ots) - Primark, der internationale Modehändler mit Sitz in Dublin, wird in seinen 32 deutschen Stores die geplante Mehrwertsteuersenkung vollständig an seine Kunden weitergeben. Von Juli bis Ende Dezember 2020 soll in Deutschland ein reduzierter Mehrwertsteuersatz gelten. Dadurch sinkt der Umsatzsteuersatz für Textilien um 3 Prozentpunkte von 19 auf 16 Prozent.
"Die Bundesregierung möchte durch die befristete Mehrwertsteuer-Senkung das Konsumklima in Deutschland stärken", sagte Wolfgang Krogmann, Geschäftsführer von Primark in Deutschland. mehr...
- Bunter Barcode wird ISO-Standard / Fraunhofer bringt in die Normung: Weltweit einheitliche Regeln für Datenaustausch und Praxiseinsatz (FOTO) Darmstadt (ots) - JAB Code, der bunte Barcode des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie SIT, ist auf dem Weg zum internationalen ISO-Standard. JAB Code - Just Another Barcode - soll bis 2022 zu einem ISO-Standard geführt werden. Durch die weltweit einheitlichen Regeln für Datenformate und deren Nutzung in der Praxis erhalten sowohl Gerätehersteller als auch Anwender-Unternehmen Planungssicherheit für innovative Entwicklungen - eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Verbreitung des JAB Code in der Industrie. Der Vorteil mehr...
- Wechsel in der Geschäftsführung der Bildagentur laif: Peter Bitzer übergibt den Staffelstab an Silke Frigge (FOTO) Köln (ots) - Ab dem 1. August 2020 übernimmt Silke Frigge (50) die Geschäftsführung der Bildagentur laif. Sie wird die Nachfolge von Peter Bitzer (65) antreten, der sich nach mehr als 30 erfolgreichen Jahren zum 30. September 2020 in seinen wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.
Bis dahin werden beide die Agentur gemeinsam leiten, um so einen reibungslosen Übergang zu garantieren und die Agentur für die Zukunft auszurichten.
"Ich möchte mich bei allen meinen Mitarbeiter*innen, Fotograf*innen, Geschäftspartnern und Kund*innen für eine tolle mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Wirtschaftsnews
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
DBV löst Berechtigungsscheine von knapp 344 Mio. EUR ein
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|