Blinde Flecken überwinden / Von Jana Wolf
Geschrieben am 18-09-2020 |
Regensburg (ots) - Es sind abscheuliche Einblicke in die rechtsextremen Chat- und Denkwelten einer Gruppe von Polizisten in Nordrhein-Westfalen: Hitler-Bilder, Nazi-Symbole, menschenverachtende Darstellungen und das fiktive Bild eines Flüchtlings in der Gaskammer. Diese Details aus den fünf Kommunikationskanälen der Beamten sind bislang an die Öffentlichkeit gedrungen und man möchte wohl gar nicht genauer wissen, welche rassistischen, neonazistischen Abgründe sich dort noch auftun. Die Mülheimer Fälle haben die Debatte über die Anfälligkeit von Polizeibeamten für extremistisches Gedankengut weiter befeuert, verständlicherweise. Viele unangenehme Fragen müssen jetzt schleunigst beantwortet werden. Einige Punkte aber stehen schon fest: Die bislang 30 suspendierten Polizisten dürfen nicht länger Beamte bleiben. Wer derartige Hetze teilt und verbreitet, der muss seine Uniform abgeben. Bei der nur vorläufigen Befreiung vom Dienst kann es nicht bleiben. Klar ist auch, dass es eine grundlegendere Aufklärung braucht. Mit der reflexhaften Abwehr eines vermeintlichen "Generalverdachts" gegen die Polizei darf die Aufarbeitung nicht länger verhindert werden. Wer den nordrhein-westfälischen Innenminister seit Bekanntwerden der Fälle gehört hat, dem wird sein Entsetzen nicht entgangen sein. Herbert Reul (CDU) räumte ein, das Ausmaß unterschätzt zu haben. Rechtsextremistische Vorfälle in Hagen, Hamm, Gelsenkirchen und jetzt in Mülheim hätten gezeigt, dass "vielleicht sogar auch die Dimension unterschätzt" worden sei, sagte der NRW-Minister. Das sind bemerkenswert offene Worte und sie weisen einen richtigen Weg: hin zu mehr Selbstkritik, Transparenz und der Bereitschaft, bisherige blinde Flecken zu überwinden. Bei einmaligen, harten Konsequenzen für die nun enttarnten Hetzer darf es nicht bleiben. Es braucht auch die Beharrlichkeit, mögliche weitere Verzweigungen aufzufinden und die Strukturen langfristig so zu verändern, dass extremistische Netze nicht jahrelang unentdeckt in den Sicherheitsbehörden bestehen und gedeihen können. Das politische Argument von bloßen Einzelfällen wird sonst immer brüchiger. Nun sind die allermeisten Polizisten anständige Menschen und wir können froh sein, dass wir sie haben. Die deutsche Polizeiausbildung hat im Ausland einen guten Ruf, auch weil sie Demokratiebildung umfasst. Die meisten Beamten haben diesen Beruf gewählt, gerade weil sie zur Verfassung stehen und diese verteidigen wollen. Umso mehr schämen sich viele für das extremistische Abdriften in Kollegenkreisen und sehen die eigene Glaubwürdigkeit unverschuldet beschädigt. Dieser Umstand löst beim Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Polizeivertretern und Behördenleitern schnell den Schutzinstinkt aus. Oft wird dann auf interne Selbstheilungskräfte der Sicherheitsbehörden gepocht. Doch rechtfertigende Worte allein reichen nicht mehr. Es braucht nun Aufarbeitung und Veränderungen in den Strukturen. Konkrete Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch: eine zügig durchgeführte Studie zu Extremismus in der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden, anonyme Meldeverfahren für interne Missstände und nicht nur den offiziellen Dienstweg, neutrale Ansprechpartner außerhalb der Behördenstrukturen, etwa einen Polizeibeauftragten. Es gibt keine vernünftigen Gründe, die gegen solche Maßnahmen sprechen. Warum also länger warten? Die Fälle in Mülheim sind auch deswegen so fatal, weil sie in der notwendigen Debatte zur Verhärtung der Fronten führen - auch im linken Lager. Wer sich nun in seinem Vorwurf des strukturellen Rassismus bestätigt sieht und weiter über die Polizei herzieht, trägt kein bisschen zur Besserung bei. Weder der pauschale Frontalangriff gegen die Polizei noch die alte Leier vom Generalverdacht bringen uns weiter. Wer Strukturen ernsthaft verändert will, sollte sich deswegen nicht reflexhaft hinter alt bekannten Floskeln verschanzen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de
Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/62544/4711000
OTS: Mittelbayerische Zeitung
Original-Content von: Mittelbayerische Zeitung, übermittelt durch news aktuell
Kontaktinformationen:
Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
http://www.bankkaufmann.com/topics.html
Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf
E-Mail: media(at)at-symbol.de
748704
weitere Artikel:
- Mitteldeutsche Zeitung zu Belarus Halle (ots) - Alexander Lukaschenko greift bei der belarussischen Freiheitsrevolte tief in die Klaviatur antiwestlicher Propaganda. Die Ketten von Nato-Panzern rasselten bereits vor den Toren des Landes, behauptet der Diktator. Polen und Litauen planten eine Invasion. Die Supermacht USA ziehe die Fäden. Nun kündigte Lukaschenko sogar an, die Westgrenzen zu schließen und mit Truppen zu verstärken. Das klang schon fast nach Krieg. Doch dann passierte zunächst einmal - nichts. Weißrusslands Präsident vermittelt zunehmend den Eindruck eines irrlichternden mehr...
- Mitteldeutsche Zeitung zur Neuverschuldung Halle (ots) - Fairerweise muss man zugegen, dass die Spielräume der Finanzpolitik extrem begrenzt sind. Corona hat riesige Löcher gerissen. Die Steuereinnahmen sind eingebrochen, die Ausgaben des Staates für Hilfs- und Unterstützungsprogramm explodiert. Hinzu kam das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket. Man muss nicht jedes einzelne Programm gut finden, in der Gesamtheit aber war es richtig, dass der Staat die Krise mit einer entschlossenen Ausgabenpolitik bekämpft hat. Deutschland wird dank dieser Politik besser aus der Krise kommen als mehr...
- zu Tarifrunde im Öffentlichen Dienst Stuttgart (ots) - Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist in diesen Zeiten ein Wert,der mit Geld kaum aufzuwiegen ist. Doch Gewerkschaftschef Frank Werneke droht nun vor der zweiten Verhandlungsrunde sogar unverhohlen mit Streiks in Kitas und Kliniken, um eine Forderung von 4,8 Prozent durchzusetzen. Sein Faustpfand sind die gebeutelten Eltern. Natürlich gibt es auch im öffentlichen Dienst große Belastungsunterschiede. Die Gesundheitsämter mussten unter Hochdruck Corona-Ketten durchbrechen, Pfleger unter Extrembedingungen arbeiten, Arbeitsagenturen mehr...
- Berlin ist nicht das Berghain / Kommentar von Philipp Siebert zum Verbot für die Bewirtung in einem Spätkauf in Mitte Berlin (ots) - Kurzform:
Niemand sollte gezwungen werden, täglich bis tief in die Nachtstunden das Gegröle von Betrunkenen aushalten zu müssen. Jeden Morgen auf dem Weg zum Bäcker oder zu Arbeit über menschliche Exkremente steigen zu müssen, ist kaum zumutbar. In totaler Verkennung der Bedürfnisse seiner Nachbarn stellte der Betreiber Bänke vor seinem Laden auf, wo sich vor allem junges Publikum bis spät in die Nacht hemmungslos betrinken konnte. Der Bezirk Mitte, der das untersagte, ist auf dem richtigen Weg. Und es ist erfreulich, dass er mehr...
- Finanzpaket für Krankenhäuser: Grundsätzliche Fragen bleiben offen / Kommentar von Bernhard Walker Freiburg (ots) - [...] Nicht zuletzt wegen der Zahlungen des Bundes floss in der Vergangenheit sehr viel mehr Geld in die Kliniken - es kam aber nicht immer an der richtigen Stelle an. Die Fehlentwicklung bei der Pflege wollen Bund und Länder nun zwar überwinden. Sie müssen aber weitergehen und grundsätzlich zwei Fragen klären: Wie sieht eine gute, patientengerechte, digital moderne Kliniklandschaft aus? Und was ist der Preis, den dafür die Versicherten über Beiträge und die Länder verlässlich an Investitionsmitteln bereitstellen? http://mehr.bz/6pubv mehr...
|
|
|
Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten
Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
durchschnittliche Punktzahl: 0 Stimmen: 0
|