Westdeutsche Zeitung: Bahn = Von Christoph Lumme
Geschrieben am 02-11-2007 |
Düsseldorf (ots) - Das sächsische Landesarbeitsgericht erlaubt es den Lokführern, künftig auch den Fern- und Güterverkehr lahmzulegen. Damit besitzt die Gewerkschaft GDL gegenüber dem Konzern eine effektive Waffe, um ihre Forderungen durchzusetzen. Doch das Urteil legt nicht nur fest, wie die Bahn und ihre Beschäftigten künftig miteinander umgehen. Es hat auch generell weitreichende Folgen für das Arbeitsrecht, weil es die Weichen für die Streik-Kultur in Deutschland neu stellt. Die Chemnitzer Richter unterstreichen, dass das Recht auf Streik im Grundgesetz verankert ist und deshalb über den Interessen der Wirtschaft steht. Sie unterstreichen aber auch, dass dieses Recht mehr wiegt als das Grundrecht der Bahnkunden auf Mobilität. Was sie ignorieren: Die Bahn ist kein "normales" Unternehmen der freien Wirtschaft, das lediglich über die Bezahlung ihrer Leistungsträger streitet. Wenn die Lokführer ihre Drohungen wahr machen, den Fern- und Güterverkehr lahmzulegen, bleiben nicht nur Millionen Pendler und Reisende auf der Strecke. Dann drohen der Volkswirtschaft - und damit uns allen - Milliardenschäden, weil ein zentrales Zahnrad im Getriebe der deutschen Wirtschaft still steht. So sehr die bisherigen Arbeitsniederlegungen im Berufsverkehr auch genervt haben: Sie blieben in ihren Auswirkungen begrenzt, da sie lediglich Störungen im reibungslosen Ablauf des Zugverkehrs verursachten. Das ist legitim, schließlich wären Streiks keine Streiks, würden sie nicht dem Arbeitgeber weh tun. Ein exzessiver Lokführer-Ausstand hingegen wird das Gemeinwohl in drastischer Weise beeinträchtigen. Wenn die Chemnitzer Arbeitsrichter der Gewerkschaft GDL dafür einen Freischein ausstellen, verletzen sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der das Streikrecht im Sinne des Grundgesetzes begrenzen muss. Sollten die Gerichte künftig diese Sicherung aus den Augen verlieren, dann ermöglichen sie damit Streikenden, nach Belieben die Republik lahmzulegen. Die britischen Massenausstände der späten siebziger Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, wie der Verlust der Verhältnismäßigkeit eine Volkswirtschaft an den Rand des Ruins bringen kann. Nun muss das Bundesverfassungsgericht dafür sorgen, eine solche Eskalation zu verhindern.
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