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LVZ: Die Leipziger Volkszeitung zu Milbradt -

Geschrieben am 14-04-2008

Leipzig (ots) - Von Bernd Hilder. Sächsischer Koalitionskrieg -
Ausgerechnet vor dem Porträt seines Vorgängers und heftigen Kritikers
Kurt Biedenkopf warf Georg Milbradt das Handtuch. Das hat Symbolwert
und provoziert Erinnerungen: Auch Biedenkopf konnte sich den
Zeitpunkt seines Rücktritts als Ministerpräsident nicht mehr wirklich
selbst aussuchen, trat entnervt zurück nach einigen eigentlich nicht
gewaltigen Affären und Skandälchen, demoliert und demoralisiert vom
politischen Gegner und Heckenschützen in der eigenen Partei, der CDU.
Manchmal wiederholt sich Geschichte doch: Wieder ist es der mit
großem Abstand politisch wirkungsvollste sächsische Sozialdemokrat,
der Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der einen CDU-Ministerpräsidenten
solange attackiert, bis dem die eigene Partei nicht mehr zutraut, die
nächste Wahl zu gewinnen. Das wird Milbradt und Biedenkopf, ansonsten
in Temperament und Rhetorik grundverschieden, in den sächsischen
Geschichtsbüchern verbinden.
Milbradt und Biedenkopf durchlitten beide einen für Publikum, Partei
und sie selbst quälenden Abgang auf Raten. Die lange
erfolgsverwöhnte, aber wenig geschlossene CDU in Sachsen wird es auch
deswegen schwer haben, in absehbarer Zeit wieder eine absolute
Mehrheit zu erringen. Neben verblüffenden Parallelen gibt es einen
eklatanten Unterschied zwischen dem Sturz von Biedenkopf und
Milbradt: Als Nolle Biedenkopf maßgeblich zu Fall brachte, war er
Oppositionspolitiker, heute gehört er zur Regierungskoalition. Nicht
die Opposition hat Milbradt Schachmatt gesetzt, sondern der eigene
Koalitionspartner. Möglich war das allerdings nur, weil sich Milbradt
durch haarsträubende Kommunikationsmängel immer tiefer in Affären
verstrickte, für die man durch Rücktritt die politische Verantwortung
übernehmen kann, aber keinesfalls muss, wenn das Krisenmanagement
funktioniert. Die SPD ist der eindeutige Gewinner im sächsischen
Koalitionskrieg, dessen Ende noch nicht ausgemacht ist. Warum sollte
die SPD jetzt ihr taktisches Doppelspiel des Bekennens zur Koalition
bei gleichzeitigen Nadelstichen gegen den großen Regierungspartner
beenden? Nur weil die CDU auf ihr Verlangen hin den
Ministerpräsidenten austauscht? Dass die Kanzlerin und CDU-Chefin
Merkel die Sachsen-Union dazu drängt, aus Sorge um die eigene Macht
und Regierung, in der zerrütteten Koaliton zu bleiben, nahm Milbradt
die Chance, ohne SPD-Minister bis zur Wahl ein Minderheitskabinett zu
bilden - und wird auch den Spielraum von Stanislaw Tillich als
Mil-bradts Nachfolger gegenüber der SPD einengen.
Trotz des Notverkaufs der sächsischen Landesbank wird Milbradt
mustergültige Staatsfinanzen mit vergleichsweise sehr geringer
Verschuldung als politisches Erbe hinterlassen. Viele
Wirtschaftsansiedlungen sind mit seinem Namen verbunden. Davon
profitieren zukünftige Generationen. Er erweist seiner Partei einen
letzen Dienst, weil er anders als Biedenkopf eine geordnete
Machtübergabe ermöglicht. Aber Milbradt gelang es nie, die sächsische
CDU zu befrieden, die ihm den Verlust der absoluten Mehrheit nicht
verzeiht. Milbradt band wichtige Funktionäre nicht ein. Seine Gegner
wurden nicht müde, ein Intrigantenstadl zu inszenieren, er antwortete
mit Sturheit, die als politischer Autismus interpretiert werden
konnte. Die sächsische CDU bekommt nun ein völlig neues Machtzentrum.
In der Krise macht sie nicht den Fehler der bayerischen CSU, auf eine
uneffektive Doppelspitze zu setzen: Tillich wird auch
Parteivorsitzender - und damit die klare Nummer eins. Er tritt
präsidialer und jovialer auf als Milbradt, muss aber schnell
Handlungsstärke demonstrieren, weil er fürchten muss, wie Milbradt
von der SPD vorgeführt zu werden: Nolle wartet schon. Gestärkt wird
aber auch die Rolle von Steffen Flath, der als neuer Fraktionschef
die parlamentarische Schlagkraft der Union verbessern soll - gegen
die Opposition und den Koalitionspartner. Viel Zeit zum Zeichen
setzen haben Tillich und Flath nicht: Die Kommunalwahlen stehen als
erster Stimmungstest vor der Tür.

Originaltext: Leipziger Volkszeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6351
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Pressekontakt:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion

Telefon: 0341/218 11558


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