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Weiche Lkw-Nase kann Leben retten

Geschrieben am 07-05-2008

Neumünster (ots) -

2. APROSYS-Workshop im DEKRA Crash-Test-Center in Neumünster

Unfallexperten erforschen besseren Schutz von Fußgängern und
Radfahrern bei Lkw-Unfällen

Mehr als 1.400 Fußgänger und Fahrradfahrer kommen jedes Jahr in
den EU-14-Staaten bei Lkw-Unfällen ums Leben. Viele von ihnen könnten
noch am Leben sein, wären Lkw an der Front mit energieschluckenden
Sicherheitsbügeln aus Schaumstoff, mit Pressluft gefüllten
Kunststoffrohren oder einer konvexen Nase ausgestattet. Solche
Schutzeinrichtungen entstehen derzeit in den Labors der
Unfallforscher des von der Europäischen Union geförderten Projekts
APROSYS (Integrated Project on Advanced Protection Systems,
www.aprosys.com). Bei einem Workshop im DEKRA Crash Test Center in
Neumünster stellten Experten aus ganz Europa den aktuellen Stand der
Arbeiten für einen erhöhten Schutz von Fußgängern und Radfahrern bei
Kollisionen mit Lkw vor.

"Mit unseren aktuellen Konzepten zur Optimierung der Lkw-Front für
einen verbesserten Schutz von Fußgängern und Fahrradfahrern legen wir
viel versprechende Ansätze vor, die mit geringem Kostenaufwand zu dem
im EU-Weißbuch formulierten Ziel beitragen können, die Zahl der
Getöteten in Straßenverkehr um 50 Prozent zu verringern", erklärte
Jürgen Gugler, Leiter des APROSYS-Teilprojektes 2.1. vom Institut für
Fahrzeugsicherheit an der TU Graz. Ziel des Projektes ist es,
Schutzeinrichtungen und Designverbesserungen für Lkw zu erforschen,
die einen erhöhten Schutz von Fußgängern und Radfahrern bei Unfällen
mit Trucks bieten. Bei Unfällen im Geschwindigkeitsbereich bis 15
km/h sollen Unfälle mit Überrollen schwacher Verkehrsteilnehmer durch
verbesserte Sicht des Lkw-Fahrers nach vorn und zur Seite vermieden
werden. Bei Unfällen mit 15 bis 40 km/h lautet die Aufgabe, den
Aufprall am Fahrzeug und auf der Fahrbahn durch eine höhere
Energieaufnahme und eine optimierte Form der Lkw-Front abzumildern.

Einen hohen Stellenwert für einen besseren Schutz von Fußgängern
und Radfahrern besitzt die Entwicklung eines Sicherheitsindexes, der
es möglich macht, den Sicherheitsstandard von Lkw in punkto
Partnerschutz zu vergleichen und zu bewerten. Walter Niewöhner und
Bernhard Schmitt aus der DEKRA Unfallforschung stellten einen ersten
Entwurf für einen Index vor, der die Sicht des Lkw-Fahrers aus dem
Lkw bewertet. Die Messziffer, ein von drei Teilen des
Sicherheitsindexes für Lkw, berücksichtigt das direkte Sichtfeld des
Fahrers durch die Scheiben und das indirekte Sichtfeld über Spiegel.
Diese Bereiche werden von Faktoren beeinflusst wie der Höhe der
Fensterunterkante, der Position der Augen des Fahrers sowie von
Sichthindernissen wie A- und B-Säulen und Spiegeln. Das
Bewertungsmodell definiert eine sehr wichtige innere und eine äußere
Zone um den Lkw. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beifahrerseite, da
hier für Fußgänger und Radfahrer nach wie vor eine erhöhte Gefahr
besteht, vom Lkw-Fahrer im toten Winkel übersehen zu werden.

Die Front herkömmlicher Lkw bietet zahlreiche Ansatzpunkte für
eine verbesserte passive Sicherheit. Zu den vom Institut für
Kraftfahrwesen (ika) an der RWTH Aachen vorgestellten neueren
Lkw-Designkonzepten gehören beispielsweise die schlanke Fahrerkabine
in der Mitte der Lkw-Front, die eine bessere Sicht des Fahrers nach
vorn und zu den Seiten ermöglicht. Seitlich weit heruntergezogene
Karosserieschürzen und Radabdeckungen könnten ein Unterfahren des
Lkw-Aufbaus durch Radfahrer verhindern. Besseren Schutz bieten
könnten auch energieabsorbierende Elemente an der Lkw-Front, hoch
angebrachte energieschluckende Spiegel und Scheibenwischer,
strukturierte A-Säulen, große Seitenfenster, seitliche
LED-Warnleuchten und dem Lenkeinschlag folgende Radabdeckungen. In
der Diskussion ist sogar ein Windschutzscheiben-Airbag, der sich beim
Aufprall eines Fußgängers an der Lkw-Front entfaltet. Als
effizienteste Konzepte für einen besseren Schutz von Fußgängern und
Fahrradfahrern bei Lkw-Unfällen favorisieren die Forscher von APROSYS
nach der Analyse der europäischen Unfalldaten jedoch

* die Verringerung der Steifigkeit der Lkw-Front (CRF)

* die Entwicklung eines verformbaren, adaptiven Frontgrills
(Polito)

* die Ablenkung durch eine stromlinienförmige Lkw-Front (ika).

Florian Feist von der Technischen Universität Graz, Roberto
Puppini vom Centro Ricerche FIAT und das Polytechnikum Turin stellten
beim Workshop in Neumünster verschiedene Varianten einer
energieabsorbierenden Lkw-Front vor, die aus Sicherheitsbügeln aus
nachgiebigen Schaumelementen oder mit Pressluft gefüllten
Kunststoffschläuchen aufgebaut sind. Umfangreiche Simulationen und
experimentelle Tests zeigten, dass bei Aufprallgeschwindigkeiten bis
zu 40 km/h das Verletzungsrisiko an Kopf und den unteren Extremitäten
um bis zu 70 Prozent verringert werden könnte. Die Studie macht zudem
deutlich, dass sich die Belastung und die Verletzungsrisiken beim
Erstanprall am Lkw bei geringem zusätzlichem Gewicht (20 bis 70
Kilogramm), niedrigen Materialkosten und wenig Mehrlänge (130 bis 200
Millimeter) beträchtlich reduziert werden können. Vorteil der beiden
Konzepte: Die der Sicherheit dienenden "Kuhfänger" sind kompakt,
leicht, kostengünstig und einfach nachrüstbar, ohne andere
Fahrzeugfunktionen wie Licht, Kühlung, Wartung, Reparatur und
Aerodynamik zu beeinträchtigen. Die Unfallforscher weisen jedoch
darauf hin, dass, im Unterschied zum Personenwagen,
Sicherheitsfeatures beim Lkw schwer zu verkaufen sind. Die Experten
schlagen vor, die bestehenden Vorschriften zu Gewicht und Länge von
Trucks zu erweitern, wenn das Fahrzeug mit Sicherheitselementen für
den Partnerschutz ausgestattet ist. Die Anschaffung solcher Trucks
mit Sicherheitsausstattung müsse zudem durch Steuervorteile,
gesetzliche Vorschriften und Anerkennungstests gefördert werden.

Große Hoffnungen setzen die Unfallforscher auch in eine neuartige
konvexe Lkw-Front. Die vom Institut für Kraftfahrwesen (ika) an der
RWTH Aachen entwickelte Komponente könnte das Überrollrisiko für
ungeschützter Verkehrsteilnehmer bei der Kollision mit Lkw erheblich
verringern. Aufgabe der neuen stromlinienförmigen Lkw-Nase ist es,
Fußgänger und Fahrradfahrer bei einem Unfall zur Seite abzulenken und
sie so vor dem Überrollen zu bewahren. Bei rund 200 Simulationen am
ika zeigte sich, dass die neue Lkw-Front die Überrollquote um 85
Prozent reduziert. Diese Lösung erwies sich bei Unfällen mit höherer
Geschwindigkeit als besonders effektiv. Die zusätzliche Knautschzone
verringert darüber hinaus die Anprallkräfte beim Erstanstoß,
verbessert den Partnerschutz bei Pkw/Lkw-Unfällen und hat zudem einen
positiven Einfluss auf die Aerodynamik.

Nach Erkenntnissen von José Manuel Barrios von Applus+IDIDA,
Spanien, ist es möglich, den Sicherheitsstandard eines Lkw durch
Kriterien zu beurteilen, die auch bei Pkw, zum Beispiel bei
Vorschriften und Verbrauchertests, angewandt werden. Der
praktikabelste Weg zur Einführung eines Testverfahrens für den
Fußgängerschutz an Lkw sei die Einführung einer einfachen und nicht
restriktiven Methode. Das Testverfahren müsse unter allen Umständen
Verbesserungen und Neuentwicklungen ermöglichen. Der Sicherheitsindex
habe zur Aufgabe, eine verständliche Vorstellung des
Sicherheitsniveaus zu geben und Vergleiche zu ermöglichen.

Axel Malczyk und Jenö Bende aus der Unfallforschung der
Versicherer im GDV (Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft) untersuchen bei Unfällen zwischen
Nutzfahrzeugen und ungeschützten Verkehrsteilnehmern die typischen
Merkmale von Verletzungen und wie sie in Realunfalldaten vorkommen.
Die hohe Zahl der dokumentierten Unfälle lässt Schlussfolgerungen zu,
allerdings ist nicht zu klären, ob die Zahlen repräsentativ sind. Den
Auswertungen zufolge wird bei Anstößen, die sich nur vor der ersten
Lkw-Achse ereignen, meist der Kopf verletzt. Beim Überrollen oder
Überfahren können dagegen alle Körperteile betroffen sein. Bei
Fußgängern ist in zwei Drittel der Fälle nur der Bereich vor der
ersten Lkw-Achse betroffen.

Unfallanalysen von Tanya Smith, TRL, Großbritannien, bestätigten
die Erkenntnis, dass Unfälle zwischen ungeschützten
Verkehrsteilnehmern und schweren Nutzfahrzeugen zwar relativ selten
sind, aber besonders schwerwiegende Unfallfolgen haben. In Österreich
und Großbritannien entfallen weniger als 1 Prozent aller Unfälle auf
diesen Unfalltypus, er führt aber zu mehr als 3 Prozent aller
Todesfälle im Straßenverkehr. Die meisten Unfälle zwischen Lkw und
Radfahrern ereignen sich beim Rechtsabbiegen eines Lkw und beim
Überholen und Einscheren des Lkw nach rechts. Für Fußgänger besteht
ein erhöhtes Unfallrisiko, wenn sie direkt vor einem Lkw die Straße
überqueren oder sich bei einer Panne direkt neben dem fließenden
Verkehr aufhalten. Unfallschwerpunkte sind die städtischen Bereiche.
Ersten Schätzungen zufolge könnten bis zu einem Drittel der bei
Lkw-Unfällen getöteten Fußgänger und Radfahrer durch verbesserte
passive Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden. Weitere
Verbesserungen sind durch zusätzliche aktive Maßnahmen möglich. Eine
Kombination von verbesserter aktiver und passiver Sicherheit, so eine
Auswertung für Österreich, könnten den Schweregrad von annähernd 25
Prozent der tödlichen und schweren Verletzungen verringern.

Originaltext: Dekra AG
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6647
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Pressekontakt:

DEKRA e.V. Presse & Information
Handwerkstraße 15
D-70565 Stuttgart

http://www.dekra.de

Norbert Kühnl
(07 11) 78 61 - 25 12
(07 11) 78 61 - 29 13
norbert.kuehnl@dekra.com


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