VDE stellt Positionspapier "Ambient Assisted Living" vor
Geschrieben am 15-07-2008 |
Frankfurt am Main (ots) -
- Intelligente Assistenzsysteme mit hohem Marktpotential - Smarte technische Assistenten schaffen Freiräume für Pflegebedürftige - Große Kosteneinsparpotenziale im ambulanten Bereich
Nach Einschätzung des VDE steht das Technologiefeld "Ambient Assisted Living" (AAL) vor einem rasanten Wachstum mit großen Potenzialen für Deutschland. Denn mit dem demographischen Wandel in den Industrieländern steigt die Nachfrage nach intelligenten integrierten Assistenzsystemen, die insbesondere alte und kranke Menschen in anstrengenden Situationen unterstützen. Zugleich verfügt Deutschland nach einer VDE-Studie weltweit über die höchste Innovationskraft in der Elektrotechnik, Medizintechnik und Automation. Dank der guten Position bei IT-Systemen, Mikrosystemtechnik und Robotik könnte Deutschland "Ambient Assisted Living" zum Exportschlager "Made in Germany" machen und Märkte für das "Internet der Dienste" schaffen. Darüber hinaus bergen intelligente Assistenzsysteme Potenziale in der häuslichen und ambulanten Pflege. Insbesondere im kostenintensiven Bereich Demenz eröffnet sich Betroffenen die Perspektive, länger in ihrer vertrauten Umgebung zu leben. Das sind wichtige Ergebnisse des neuen VDE-Positionspapiers "Intelligente Assistenzsysteme im Dienst für eine reife Gesellschaft" und einer Umfrage unter Fachexperten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Versorgung zu der Umsetzung von "Ambient Assisted Living" in Deutschland.
Den demographischen Wandel als Chance nutzen
Der demographische und soziale Wandel stellt die Industrieländer vor große Herausforderungen. So wird sich der Anteil der Über-65-Jährigen in Westdeutschland von 19 Prozent im Jahr 2005 auf voraussichtlich 29 Prozent, das heißt 22,1 Millionen Menschen, im Jahr 2030 erhöhen (Statistisches Bundesamt 2006). Mit dem Wandel steigt sowohl der Bedarf an medizinischer und pflegerischer Versorgung als auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Schätzungen gehen von einer Zunahme um circa 50 Prozent bis 2030 aus. Werden bislang noch etwa zwei Drittel aller Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, stehen künftig immer weniger Pflegende immer mehr Pflegebedürftigen gegenüber. In "Ambient Assisted Living" sehen die VDE-Experten eine große Chance, kostengünstige und effektive Lösungen im Gesundheits- und Pflegebereich zum Nutzen des Einzelnen und der Gesellschaft bereitzustellen. Ziel ist es, einer reiferen Bevölkerung durch den Einsatz von IKT-Produkten und Ferndienstleistungen inklusive Betreuungsdiensten so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen.
Zukunftsszenarien für Haushalt, soziale Netze und Gesundheit
Die größten Anwendungsbereiche für AAL-Assistenzsysteme sind Haushalt und Gesundheit. Bereits heute sind manche Haushaltsgeräte ergonomisch gestaltet, mit benutzerfreundlichen Features ausgestattet oder bereits vernetzt und zum Beispiel mit mobilen Anzeigegeräten zu steuern. Auch im "Smart Home" finden sich zukunftsweisende Module wie PAUL, der "persönliche Assistent für unterstütztes Leben" im Rahmen eines Kaiserslauterer Assisted-Living-Pilotprojekts. Er dient als "Steuerzentrale" für alle Komfort-, Sicherheits-, Kommunikations- und Unterhaltungsfunktionen vom Bedienen der Rollläden bis zum Internet.
Die zukünftige Entwicklungen werden nach dem VDE-Positionspapier stark von der Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien angetrieben, insbesondere von RFID (Radio Frequency Identification), Wireless LAN oder Power-Line, d.h. durch die Integration von Sprache und Gestik sowie durch die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Dabei können vernetzte Hausgeräte zum Beispiel per Handy mobil bedient, überwacht und gewartet werden. Komplexe Anwendungsszenarien sind "Communities" (Gruppen), die für weniger mobile Menschen im Internet der nächsten Generation die Integration in soziale Netze verbessern können. Erinnerungssysteme zur Medikamenteneinnahme, Sicherheits- und Notfallsysteme sowie Beratungs- und Informationsdienste sollen den Menschen mehr Selbstständigkeit, Komfort und Sicherheit geben. So sehen das laut einer VDE-Umfrage auch die Teilnehmer des 1. Deutschen AAL-Kongresses Ende Januar 2008. Nach ihrer Auffassung soll AAL den menschlichen Umgang ergänzen, aber nicht ersetzen. AAL-Assistenzsysteme richten sich an alle und bringen mehr Sicherheit und Autonomie.
Das zeigt sich auch im Gesundheitsbereich. Durch innovative Telemonitoring-Konzepte lassen sich Therapien für chronische Krankheiten besser steuern. Monitoring-Konzepte wie "Partnership for the Heart" erlauben den Patienten trotz ihrer Erkrankung unter anderem eine aktivere und sichere Freizeitgestaltung. Insbesondere in Gebieten mit unzureichender flächendeckender fachärztlicher Versorgung bieten Telemonitoring-Konzepte aussichtsreiche Alternativen.
Kosteneinsparung und mehr individuelle Freiräume für Betroffene
Anhand von Modulen zeigt das Positionspapier, wie AAL konkret aussehen kann. So können individualisierte Sensorsysteme in der barrierefreien Wohnung Stürze von gefährdeten Personen rund um die Uhr erkennen und eine Notfallkette in Gang setzen, die Hausarzt, Angehörige und das nahe gelegene Geriatriezentrum informiert. Auch im Bereich Demenz, der häufigsten Ursache für eine Heimunterbringung, sind intelligente Assistenzsysteme eine Chance für die Betroffenen, länger in ihrer vertrauten Umgebung zu leben. Mit technischen Assistenzsystemen wie "mitdenkende" Elektroprodukte, Telemedizin oder Steuerungs- und Warnsysteme, lassen sich die Kosten deutlich reduzieren. Denn im Vergleich zu den monatlichen Kosten einer Heimunterbringung sind die Kosten für eine mit AAL ausgestattete ambulanten Betreuung günstig.
"Ambient Assisted Living": Innovationstreiber und Standortchance
Voraussetzung dafür, dass AAL-Technologie unsichtbar, unaufdringlich und "smart" funktioniert, ist vor allem die Infrastrukturtechnologie Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Wie stark IKT bereits viele Lebensbereiche durchdringt, ist im Automobilbereich zu sehen, wo ein durchschnittlicher Mittelklassewagen durch circa 70 Prozessoren und Assistenzsysteme geregelt und gesteuert wird. Aber auch mikrosystemtechnische und möglichst energieautarke Systeme, Dienstleistungsroboter, die Standardisierung von Schnittstellen und Datenformaten sind wichtige Themen.
Deutschland nimmt in allen genannten Technologien international eine führende Wettbewerbsposition ein, insbesondere bei den IKT-Systemen, in der RFID-Technologie und in der Medizintechnik. Deshalb sehen die VDE-Experten neben Einsparpotenzialen "zu Hause" auch gute Exportchancen auf dem Weltmarkt. Wie groß das Potenzial allein für Dienstleistungen im Gesundheits- und Pflegebereich ist, lassen folgende Zahlen erahnen: circa 1 Milliarden Menschen weltweit sind heute übergewichtig, 600 Millionen Menschen leiden an chronischen Erkrankungen - Tendenz steigend. Auch die Zahl von Über-60-Jährigen wird sich von heute 600 Millionen bis zum Jahr 2025 auf 1,2 Milliarden verdoppeln.
Umdenken und Handeln ist gefragt
Ob das technisch Mögliche auch umgesetzt wird, hängt stark von der Akzeptanz der Assistenzsysteme ab. Die ist nicht überall so groß wie in den USA oder Japan, wo Haushaltsroboter im Pflegebereich schon im Einsatz sind. Doch VDE-Experten sind überzeugt, dass die ältere Generation von morgen neuer Technik aufgeschlossen gegenübersteht, da sie bereits mit IT groß geworden ist und durch die längere Berufstätigkeit im Umgang mit Technik geübt bleibt. Ängste der Nutzer sind auch nach der VDE-Umfrage unter AAL-Experten ein geringeres Problem als die fehlende Interoperabilität und Standardisierung sowie die mangelnde Akzeptanz der Sozialversicherungen, die oft eher den Investitionsbedarf als die Einsparpotenziale sehen.
Handlungsbedarf besteht aber auch jenseits der Innovationshürde geringer Technikakzeptanz. So sollten sich nach den VDE-Experten geförderte Projekte darauf konzentrieren, Menschen mit Assistenzbedarf unter Routinebedingungen zu helfen. Darüber hinaus müsse ein Netzwerk aufgebaut werden, das technische und nutzerbezogene Forschung, Industrie, Dienstleister und Endanwender verbindet. Des Weiteren schlägt der VDE eine Referate und Ministerien übergreifende koordinierende Stelle vor, um Förderungen auf Relevanz zu prüfen. Um nachhaltig wirksame technische Lösungen über Budget- und Sektorengrenzen hinaus zu ermöglichen, sollte nach dem VDE auch das häusliche Umfeld als Gesundheits- und Pflegestandort gefördert werden - zum Beispiel über die Sozialversicherungssysteme oder finanzielle Unterstützung für Um- und Einbauten. Weiter sind Investitionen in die breitbandige Internet-Infrastruktur gerade in un- oder unterversorgten Gebieten nötig. Neben der Standardisierung im Sinne eines "Design for All" müsse darüber hinaus geprüft werden, ob neue berufliche Qualifikationen notwendig werden. Und schließlich fordern die VDE-Experten die nachweisliche Einhaltung verbindlicher Qualitätskriterien für die geplanten Pflegestützpunkte einschließlich der Kenntnis über verfügbare technische Assistenzsysteme.
VDE sieht Deutschland auf gutem Weg
Obwohl noch Innovationshürden zu überwinden sind, sehen die VDE-Experten das Zukunftsprojekt "Ambient Assisted Living" auf einem guten Weg. Innerhalb des 7. Forschungsrahmenprogramms der EU wird die Technologie von 23 Ländern über sechs Jahre hinweg jährlich mit circa 35 Millionen Euro gefördert, wobei die EU die Gelder auf circa 57 Millionen Euro pro Jahr aufstockt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt in einem eigenen Förderprogramm ebenfalls einen erheblichen Beitrag bereit. Wenn die bestehenden Innovationsbarrieren überwunden werden, eröffnet die alternde Gesellschaft ungeachtet aller Bedrohungsszenarien aus VDE-Sicht eine große Chance für alle Beteiligten und Deutschland: im Hinblick auf die Kostenproblematik, die Betroffenen und neue Berufsqualifikationen ebenso wie für den Technik- und Dienstleistungsstandort.
Originaltext: VDE Verb. der Elektrotechnik Elektronik Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/9158 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_9158.rss2
Pressekontakt: Melanie Mora, Tel.: 069 6308461, melanie.mora@vde.com
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