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Landeszeitung Lüneburg: ,,China lässt sich nicht unter Druck setzen" -- Interview mit Prof. Thomas Heberer, China-Berater der EU-Kommission

Geschrieben am 07-08-2008

Lüneburg (ots) - Tibet-Aktivisten hängen Plakate an Laternen;
Athleten erwägen Proteste mit Armbändern; China zelebriert unbeirrt
im Zeichen der Ringe seine Rückkehr als Weltmacht: Zum Auftakt der
Spiele hat Zwist den olympischen Frieden verdrängt. Prof. Thomas
Heberer, China-Berater der EU-Kommission, rügt die negative
Sichtweise des Westens: "So wird der Wandel eines totalitären Staates
zu einem, der seinen Bürgern Rechte gewährt, und ein international
verlässlicher Partner ist, unterschlagen."

Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul brachten Südkorea eine
Demokratisierung. Berlin 1936 war dagegen eine Propagandabühne der
Nazis. Welche Spiele erleben wir ab heute?
Prof. Thomas Heberer: Beides trifft auf die Pekinger Spiele nicht zu.
Als die Spiele 1931 vergeben wurden, war der Nationalsozialismus noch
nicht absehbar. Der NS-Staat, der sich relativ rasch zu einem
totalitären System entwickelte, konnte die Spiele nutzen, um sich in
ein besseres Licht zu rücken. Die Spiele in Seoul hatten einen völlig
anderen Charakter. In Südkorea gab es -- acht Jahre nach dem
Gwanju-Massaker an Angehörigen der Demokratie-Bewegung --
Massenproteste und eine starke Zivilgesellschaft, die -- gegen die
Militärdiktatur gerichtet -- sich für eine Demokratisierung
einsetzte. Dazu übten die USA Druck auf die Militärregierung aus. Die
Situation in China ist völlig anders. Der totalitäre Staat unter Mao
wandelte sich zu einem zwar noch autoritären Staat, in dem Menschen
aber nicht mehr rechtlos sind und in dem ein Pluralisierungsprozess
läuft. Die stalinistische Planwirtschaft wurde in eine staatlich
kontrollierte Marktwirtschaft umgewandelt. Und im völligen Gegensatz
zu Hitler-Deutschland, das einen Krieg vorbereitete, beteiligt sich
China konstruktiv an der Welt-Innenpolitik. Weil im Gegensatz zu
Südkorea die Voraussetzungen fehlen, werden die Spiele in Peking aber
auch keinen Demokratisierungsprozess anschieben.

Außenpolitisch zeigte sich China im Vorfeld moderater, im Inneren
zog es die Zügel an. Wie stehen die Chinesen zu den Olympischen
Spielen?
Prof. Heberer: Die Zügel wurden nicht generell angezogen. Aber die
Proteste während des Fackellaufs gegen die Tibetpolitik haben Peking
ebenso geschockt wie der Anschlag in Xinjiang und die
Interpol-Warnung vor islamistischem Terror. Die Angst vor
Destabilisierung wuchs. Die Folge ist das, was amnesty unter
Einschränkung der Menschenrechte verbuchte. Verlaufen die Spiele
friedlich, werden sich die moderateren Kräfte wieder durchsetzen. Die
Mehrheit der Chinesen ist stolz auf die Spiele und erhofft sich Platz
eins in der Medaillenbilanz. Eine Minderheit ist indifferent bis
ablehnend, die Erdbebenopfer in Sichuan etwa oder Menschen, die für
Stadien- oder Hotelneubauten aus ihren Häusern vertrieben wurden.

Schlägt der Stolz des Normalbürgers in fremdenfeindlichen
Nationalismus um, wenn ein chinesischer Athlet als Dopingsünder
angeprangert wird?
Prof. Heberer: Das glaube ich nicht. Ich gehe ohnehin davon aus, dass
nur wenig Chinesen erwischt werden, weil die Zentrale aus Angst vor
Gesichtsverlust im Vorfeld einige -- offenbar nicht saubere --
Goldhoffnungen aus den Provinzen zurückgezogen hat. Athen wird sich
wohl nicht wiederholen, wo zwei prominente griechische Sportler
überführt worden sind.

Ganze Stadtviertel wurden umgesiedelt, Wanderarbeiter vertrieben.
Entzündet das olympische Feuer die soziale Lunte?
Prof. Heberer: Nein, weil solche Maßnahmen fast nur in Peking
durchgeführt wurden. Generell muss man sagen, dass die westliche Idee
der Spiele, die sehr viel mit Individualrechten zu tun hat, in China
überhaupt nicht verstanden wird. Zumal das Individuum traditionell in
China keine große Rolle spielt und immer dem Staat und der Nation
untergeordnet war. In China sieht man die Spiele als Gelegenheit, bei
der sich der Staat präsentieren kann.

China möchte wahrgenommen werden als ein Staat, der konstruktiv
Probleme löst. Ist dieses Ziel wegen Tibet und Xinjiang unerreichbar?
Prof. Heberer: Das Problem ist die Wahrnehmung Chinas im Westen
selbst. Solange der Aufstieg Chinas als Bedrohung gesehen wird, wird
sich keine realistischere, differenzierte Sichtweise durchsetzen. Die
Proteste im Westen gegen die Tibet-Politik haben einen
Schulterschluss bewirkt zwischen Chinesen, die im Ausland leben und
studieren einerseits und der Bevölkerung im Inland andererseits mit
der Partei- und Staatsführung. Die Legitimität der Führung wurde
durch diese Proteste -- und zusätzlich durch die relativ effiziente
Bewältigung des Erdbebens -- noch gestärkt. Sie musste sogar
nationalistische Kräfte in die Schranken weisen, die eine harte
Reaktion gefordert hatten.

Wird die Mystifizierung Tibets im Westen von China belächelt?
Prof. Heberer: Ich denke, die Chinesen verstehen die Tibet-Frage
nicht besonders gut. Das eint sie mit den meisten Tibet-Wortführern
im Westen. Die meisten Han-Chinesen sind sich einig, dass Tibet schon
immer Bestandteil Chinas war. Sie wollen nicht akzeptieren, dass die
Provinz trotz aller Investitionen immer noch ein Unruheherd ist. Die
soziale und ethnische Dimension des Konflikts blenden sie aus, etwa
die Zerstörung fast aller Klöster in der Kulturrevolution und die
Benachteiligung von Tibetern auf dem Arbeitsmarkt. Das soziale,
nicht-religiöse Konfliktpotenzial unter städtischen Jugendlichen wird
ignoriert. Und das ist gefährlich, weil diese nicht so friedfertig
sind wie etwa die Mönche.

Bisher reagierte der Westen skeptisch, wenn China die Gefahr
islamistischen Terrors beschwor. Zu Unrecht -- nach dem Blutbad in
Xinjiang?
Prof. Heberer: Nach Darstellung des chinesischen
Sicherheitsministeriums gibt es zwölf Organisationen, die eine
Unabhängigkeit Xinjiangs anstreben. Darunter sind Pantürken, die
einen großtürkischen Staat unter Einschluss Zentralasiens und eben
Ost-Turkestans, wie Xinjiang früher hieß, fordern. Dazu gibt es
gemäßigte islamische Kräfte sowie Islamisten, die einen Gottesstaat
anstreben. Das sind Bewegungen, die zum Teil im 19. Jahrhundert
wurzeln. Doch die meisten Uiguren wissen, dass sie angesichts der
Mehrheit der Han-Chinesen in ihrem Siedlungsgebiet keine Chance auf
einen eigenen Staat haben. Bewegungen, die einen solchen Staat
herbeibomben wollen, werden nicht von der Mehrheit ihres Volkes
getragen. Was sowohl Uiguren wie Tibeter mehrheitlich anstreben, ist
eine wirkliche Autonomie mit einklagbaren Minderheitenrechten. Und
obwohl Selbstverwaltung die Akzeptanz mit einem Verbleib im
chinesischen Staatsverband drastisch erhöhen würde, ist die
chinesische Führung dafür derzeit nicht zu gewinnen.

Beim Streit um Internetzensur prallte westliches
Freiheitsverständnis auf Chinas Konzept einer kontrollierten
Öffentlichkeit. Misslingt die Selbstzelebrierung als
Comeback-Weltmacht?
Prof. Heberer: Hier zeugt das Hin und Her von Erlassen und
Verordnungen sowohl zur Nutzung des Internets als auch zur Freigabe
des Tiannanmen-Platzes davon, dass es in der chinesischen Führung
unterschiedliche Positionen gibt. Hier stehen sich z.B. die
restriktive Staatssicherheit und das diplomatische Außenministerium
gegenüber. Intellektuelle wissen schon lange, dass China mehr
Öffentlichkeit braucht, die als Korrektiv funktionieren könnte. Das
Internet hat seit zehn Jahren zum Teil diese Rolle ausgefüllt:
Korruptionsfälle, Übergriffe auf Bürgerrechtler werden ebenso ins
Netz gestellt wie die Auseinandersetzungen von Bauern mit Behörden.

Soll angesichts des olympischen Prunks die deutsche
Entwicklungshilfe an Peking eingestellt werden, wie die CSU fordert?
Prof. Heberer: Entwicklungshilfe zur Armutsbekämpfung ist nicht mehr
notwendig. China verfügt über 1,8 Billionen Dollar Devisenreserven.
Zusammenarbeit ist aber weiter nötig, um know-how zu vermitteln. Ohne
Wissenstransfer etwa im Bereich des Umweltschutzes kann China seine
verheerenden ökologischen Probleme nicht in den Griff bekommen. Dazu
sollte Deutschland die Bildung einer Zivilgesellschaft in China
fördern, etwa die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen. Über
Entwicklungszusammenarbeit kann Deutschland Einfluss auf die
Entwicklung nehmen. Würde man etwa die Frage der Selbstverwaltung in
den Rechtsstaatsdialog aufnehmen, bestünde die Option, Chinas
Minderheitenkonflikte zu entschärfen. Es mangelt in China zugleich an
zivilisatorischer Kompetenz. Staat und Gesellschaft müssen lernen,
andere Meinungen zu akzeptieren und Konflikte friedlich zu lösen.

Selbst die KP sieht sich in der Tradition des Reiches der Mitte,
des zivilisatorischen Zentrums der Welt. Ist der Westen gut beraten,
Peking unter Druck zu setzen?
Prof. Heberer: China lässt sich in Fragen, die seine Souveränität
berühren, nicht unter Druck setzen. Das einzige, was der Westen
anbieten kann, ist ein Diskurs über solche Fragen. An Beispielen
gelöster Minderheitenkonflikte wie etwa Südtirol kann man Peking
verdeutlichen, dass man mehr Sicherheit gewinnt durch die Vergabe von
Rechten als durch deren Beschneidung.

Ist eine werteorientierte Außenpolitik gegenüber China klug, wie
sie jüngst Bundeskanzlerin Merkel formulierte?
Prof. Heberer: Dass man seine eigenen Werte vertritt, ist unbenommen.
Die eigenen Werte aber zur Grundlage der eigenen Außenpolitik zu
machen, wie es in einem Strategiepapier der Union vorgesehen ist, ist
unklug. So wird gefordert, dass sich Deutschland mit den Demokratien
in Asien -- Indien, Südkorea, Japan -- gegen das autoritäre
Gegenmodell China zusammenschließt. Allerding sieht China sich nicht
als autoritäres Gegenmodell, sondern als Zwischenstufe auf dem Weg
zur Demokratie. Hier ist Geduld gefordert. Demokratie kann nicht
verordnet werden, sondern entsteht in Jahrzehnten, wenn die Prozesse
der Liberalisierung, der Pluralisierung und der Verrechtlichung
weitergehen. Allerdings kann es -- etwa im Falle einer
Wirtschaftskrise -- auch entgegengesetzt laufen.

Im Westen löst China verstärkt Skepsis bis hin zur Angst aus. Wird
die Ausblendung der Erfolge den historischen Leistungen Chinas
gerecht?
Prof. Heberer: Nein, auf keinen Fall. Bei uns wird in erster Linie
Negatives herausgestrichen: Die Verteuerung von Benzin, Stahl, Butter
und Eiern -- alles seien Folgen des Aufstiegs Chinas. Dass
Deutschland 400000 zusätzliche Jobs durch den Handel mit China
gewonnen hat, wird übersehen. Sogar die Bush-Administration hat
erkannt, dass man ohne China die grundlegenden Probleme der Welt
nicht mehr lösen kann. Es kommt darauf an, China einzubinden, nicht
auszugrenzen. Wer nur auf die noch verhandenen Probleme eines
autoritären Staates blickt, in dem Menschen- und Bürgerrechte noch
nicht garantiert sind, erhält ein einseitiges Bild, weil er die
gewaltigen Fortschritte seit der Mao-Ära übersieht. Ich habe von 1977
bis 1981 in China gelebt. Damals unterschied sich China nicht
wesentlich von Nordkorea. Es gab kaum etwas zu essen. Kontakt zu
Chinesen war verboten. Die Menschen waren völlig rechtlos. Diese
Zeiten sind vorbei, auch wenn es in ländlichen Gebieten noch
Funktionärswillkür gibt. Aber in den Städten sind die Menschen
selbstbewusster geworden. Sie arbeiten an der materiellen
Verbesserung ihres Lebens und hoffen auf mehr Rechte in der Zukunft.
An der Ostküste setzen sich die Menschen gegen staatliche Willkür
bereits zur Wehr. Hier entwickelt sich ein Staatsbürgerbewusstsein,
das China von Grund auf ändern wird. Aber was alle eint, ist die
nationale Idee: Wir wollen ein starkes Land werden! Dieses Ziel
schließt die Absage an einen Regimewechsel, der Unruhe und einen
Stabilitätsverlust mit sich brächte, ein.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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