RWI-Streitschrift zur Kohle: Politik statt Wissenschaft
Geschrieben am 09-06-2006 |
Essen (ots) -
Das zu Pfingsten vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsforschungsinstitut (RWI) vorgelegte Thesenpapier "Kohlesubventionen um jeden Preis? Eine Streitschrift zu den Argumentationslinien des Gesamtverbandes des deutschen Steinkohlenbergbaus" ist ein erstaunliches Dokument.
Zunächst fragt man sich, wer oder was das RWI eigentlich aufgerufen hat, eine "Streitschrift" zu diesem Thema zu verfassen. Die Presse spricht von einem "Gutachten", das vom NRW-Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben worden sei (Rheinische Post, 6. Juni 2006). Die Autoren der Studie beantworten diese Frage nicht. Stattdessen preisen sie sich mehrfach als Anwalt des Allgemeinwohls. Staatsausgaben zugunsten des Steinkohlenbergbaus sind danach "massive Mittelverschwendung". Ein interessantes Werturteil aus der Sicht eines Instituts, das selbst zu 80 % von öffentlichen Mitteln lebt. Liest man die Schrift genauer, fallen nahtlose Übereinstimmungen mit bestimmten politischen Positionen in NRW auf. Die Autoren haben sicher gut daran getan, ihr Werk nicht als "Gutachten" zu bezeichnen. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt dieser ungewöhnlich bösartige Frontalangriff gegen die Reputation eines Branchenverbandes nicht. Es handelt sich somit um eine Privatfehde der Autoren, die sich auf das Gebiet der Politik verirrt haben.
Mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit und Objektivität versucht das RWI, die stichhaltigen Argumente des GVSt abzuqualifizieren und zu diskreditieren. Bei genauerer Betrachtung kann von Widerlegungen jedoch keine Rede sein. In keinem Fall wird eine Unrichtigkeit der vom GVSt präsentierten Fakten nachgewiesen.
Wichtige Aspekte werden einfach ausgeblendet, dafür wird in unsachgemäße und willkürliche Vergleiche ausgewichen. Fundierten Analysen werden immer wieder undifferenzierte Behauptungen und Glaubenslehren entgegengestellt, die mit den Realitäten wenig zu tun haben. Offenkundig haben die Autoren wenig Ahnung von Energiepolitik und den Kohlemärkten.
Einige wenige Beispiele:
Dem zentralen GVSt-Argument der Rohstoff- und Energie-Versorgungssicherheit wird mit der These widersprochen, dass "Versorgungssicherheit in liberalisierten Märkten keine Aufgabe des Staates" sei. Diese Einschätzung aber kann nur als völlig welt- und politikfremd bezeichnet werden - purer Elfenbeinturm, abgehoben von der Wirklichkeit. Denn warum gibt es dann seit geraumer Zeit und völlig unabhängig von den Steinkohlefragen eine breite öffentliche Debatte, wie den Herausforderungen für die Versorgungssicherheit energie-, außen- und sogar sicherheitspolitisch begegnet werden kann: Vom nationalen Energiegipfel der Kanzlerin über das jüngste Grünbuch der EU-Kommission zur Energiepolitik und die Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer Energiepolitik für Europa bis zu Konferenzen der NATO und der Tagesordnung der G8?
Jüngst noch hat Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede zum 20. Geburtstag des Bundesumweltministeriums dazu u.a. folgendes als klare politische - und damit staatliche - Aufgabenstellung definiert: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass - egal, welches Energiekonzept wir verfolgen - die Abhängigkeit der Europäischen Union von Energielieferanten und Rohstoffen außerhalb der Europäischen Union zunehmen wird. Diese Zunahme der Abhängigkeiten müssen wir ins Kalkül ziehen. Ich bin der Meinung, wir müssen alles daran setzen, uns so unabhängig wie möglich zu machen, und wir müssen damit gleichzeitig den Bogen von der Umwelt- und Ressourcenpolitik bis hin zur Außenpolitik schlagen.... Wenn wir uns anschauen, welche Länder es sind, in denen die größten Energieressourcen zur Verfügung stehen, dann ist man sehr schnell bei den Konfliktherden dieser Erde."
Die "Experten" des RWI vertreten hier also offenkundig eine völlig naive Außenseiterposition, ganz so, als ob gerade die vielfach von staatlichen Einflüssen bestimmten internationalen Märkte für Energie und Rohstoffe den rein akademischen Modellvorstellungen freier und vollkommener Märkte genügten.
Weil man sich dieser weltfremden These aber wohl selbst nicht so ganz sicher ist, wird zusätzlich behauptet, speziell der Weltmarkt für Kohle biete hohe Versorgungssicherheit. Das ist relativ zu den Risiken des internationalen Öl- und Gasmarktes zwar nicht ganz falsch, aber auch der Weltmarkt für Kohle ist keineswegs risikofrei. Die Preisexplosionen und Engpässe auf dem internationalen Kokskohle- und Koksmarkt in 2004/5, die vom RWI in ihrem Umfang und ihrer Tragweite bewusst heruntergespielt werden, oder aktuelle Prognosen zu Engpässen auf dem internationalen Kraftwerkskohlenmarkt in naher Zukunft sprechen eine ganz andere Sprache. Sie passen jedoch nicht ins Bild des RWI, das auch eine 100%-ige Abhängigkeit von Kohleimporten für gänzlich unproblematisch hält. Im Gegensatz zur gesamten Fachwelt betrachtet es die gegenwärtigen Verknappungstrends auf den internationalen Rohstoffmärkten lediglich als einen "Schweinezyklus". Die strukturellen Veränderungen sowie politische und Marktmachtfaktoren blendet es komplett aus. Die Autoren unterscheiden sich damit von anderen, objektiveren Wissenschaftlern, wie beispielsweise gerade die aktuelle Denkschrift "Die Energieversorgung sichern" der NRW-Akademie der Wissenschaften zeigt, in der auch auf jederzeit mögliche Anspannungen im internationalen Kohlesektor hingewiesen wird.
Dass die Vorkommen an Steinkohlen die größte nationale Energierohstoffreserve sind, wird vom RWI mit dem definitorischen Trick bestritten, es handele sich zwar um "Ressourcen", aber nicht um Reserven, die wirtschaftlich gewinnbar sind. Das ändert indes weder etwas am Umfang der Lagerstätten noch an ihrer technischen Gewinnbarkeit.
Als Reserve dienen sie allemal. Inwieweit diese Reserve bzw. der Zugang zu ihr erhalten wird, hängt vor allem von den energie- und kohlepolitischen Entscheidungen ab, nicht von den Definitionen der Kohlegegner. Klar ist hingegen, dass die Vorräte nur zur Verfügung stehen, so lange es einen aktiven und lebenden Steinkohlen-Bergbau gibt. Ein Wiederaufschluss aufgegebener Lagerstätten scheidet als Option dagegen aus. Auch diesen Sachverhalt blendet das RWI bewusst aus.
Das Pamphlet ist zudem bei vielen Fakten ungenau oder unwissend. Es behauptet z.B., in der EU werde der Steinkohlenbergbau außer in Deutschland nur in Großbritannien, Spanien und Frankreich unterstützt. Die staatlichen Maßnahmen zugunsten des Steinkohlenbergbaus in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn oder Slowenien scheinen ihm unbekannt zu sein - oder hat es die EU-Erweiterung noch nicht zur Kenntnis genommen? Sachliche und methodische Fehler und Schwächen lassen sich auch an etlichen anderen Stellen nachweisen.
Völlig haltlos ist etwa die Gegenüberstellung von wachsender Staatsverschuldung in Deutschland und Steinkohlesubventionen, die im Bund und in NRW ohnehin nur rd. 1% der öffentlichen Haushaltsmittel ausmachen. Es ist zwar richtig, dass zurzeit die Hälfte des Etats des Düsseldorfer Wirtschaftsministeriums Kohlehilfen sind. Aber wenn diese wegfielen, wäre kein Problem gelöst. Nur der Wirtschaftsetat wäre um die Hälfte kleiner. Diese Polemik blendet den in den letzten Jahren erfolgten beispiellosen Subventionsabbau im Steinkohlenbergbau einfach aus. Die Staatsverschuldung ist indessen seit dem Beginn der Subventionskürzung bei der Kohle stärker angestiegen als vorher. Die Kohle trägt also nicht zur Staatsverschuldung bei.
Geradezu zynisch ist die These, durch die Kohlesubventionen könnten sich zehntausende Menschen keiner echten Wertschöpfung widmen und dies hemme das Wachstum in NRW - dies vor dem Hintergrund von einer Million Arbeitslosen allein in NRW und ähnlichen Wachstumsschwächen in den meisten Nichtkohleländern. Die tatsächliche Alternative für viele Bergleute ist heute nicht höhere Wertschöpfung in anderen Bereichen, sondern Arbeitslosigkeit und damit eine Produktivität von null. Selbst wenn die qualifizierten Arbeitnehmer des Bergbaus Arbeitsplätze in der übrigen Wirtschaft finden würden, bleibt die Frage, ob damit nur eine Verdrängung anderer Arbeitssuchender stattfände. Per Saldo bliebe nur der Wegfall der Arbeitsplätze im Bergbau. Tatsächlich findet Wertschöpfung auch im und durch den Bergbau statt, einschließlich des volkswirtschaftlichen Wertes besserer inländischer Versorgungssicherheit und einer internationalen Spitzenposition in der Bergbautechnologie.
Die deutsche Steinkohle produziert Güter - Kohle, Koks und damit zusammenhängender Maschinen- und Anlagenbau - für die es einen echten Bedarf am Markt gibt; hinzu kommt ihr Beitrag zur Stabilisierung der Beschäftigung und zu öffentlichen Gütern wie Energiesicherheit. Der GVSt weist in legitimer Weise darauf hin. Welchen Bedarf erfüllt eigentlich das RWI?
Die Vorstellung, es sei alleine der Öffentlichkeitsarbeit und Lobby des Gesamtverbandes zu verdanken, dass es noch immer einen Steinkohlenbergbau bei uns gibt, ist zu schön, um wahr zu sein. Sie ist wie viele Aussagen der Streitschrift schlicht weltfremd und polemisch.
Originaltext: GVST GV d. deut. Steinkohlebergbaus Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=54802 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_54802.rss2
Pressekontakt:
Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus Andreas-Peter Sitte Rellinghauser Str. 1 45128 Essen Tel.: 0201/177-4320 Fax: 0201/177-4271 E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de
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