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Berliner Morgenpost: Kommentar - Das Fernsehen ist die Schule der Nation Christoph Stölzl über den Rauswurf von Elke Heidenreich

Geschrieben am 23-10-2008

Berlin (ots) - Wenn das keine Soap ist, würdig jedes
Nachmittagsprogramms bei den privaten Sendern! Man beleidigt sich,
bricht die Spielregeln, keilt auch mal nach, damit es schön weh tut.
Wenn Kulturleute gemein sein wollen, dann greifen sie just zu den
gleichen Waffen wie ganz normale Zeitgenossen: "Dumm", "verblödet"
sei das, was die Kollegen an Sendungen fabrizieren. Und auch der
schmerzhafteste aller Stiche darf nicht fehlen: Superentertainer sind
in Wahrheit "müde alte Männer", so reich gelockt ihr Haar auch sei.
Zynische Insider raunen, alles rühre nur vom Futterneid. Wir, die wir
unser Leben vor und nicht hinter dem Bildschirm verbringen, hätten
nun vielleicht den Wunsch gehabt, bei soviel aufgehäuftem Zorn breche
jetzt die große Stunde der Streitkultur an, wo die Fetzen so lange
fliegen, bis die Luft gereinigt ist.
Aber wer das hoffte, kennt die gut geölten Räderwerke des deutschen
Arbeitsrechts nicht. Ganz als sei das ZDF nicht eine
Hochleistungsfabrik von Gedanken, Meinungen und Überzeugungen,
sondern eine x-beliebige Firma, wird die "Zusammenarbeit mit
sofortiger Wirkung" mit einer Frau wie Elke Heidenreich beendet, weil
eine "gedeihliche und sinnvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich"
ist.
Was im Nebel der Allerweltsformeln untergeht, ist die überaus
dringliche Grundsatzfrage nach dem Selbstverständnis der öffentlich
rechtlichen Fernsehanstalten. Sie sind ein Teil des demokratischen
Staates und werden durch Zwangsgebühren finanziert, die man genauso
gut Fernsehsteuern nennen könnte. Die Öffentlich-Rechtlichen wären
deshalb gut beraten, wenn sie ihren Ort an der Seite der
informierenden, pädagogischen und kulturellen Institutionen des
Landes suchen würden - so wie dies in der Frühzeit der Bundesrepublik
durchaus der Fall war. Seine Legitimität begründet das
öffentlich-rechtliche Fernsehen aber stillschweigend aus der
Einschaltquote, und diese entscheidet auch über die Attraktivität für
die Werbewirtschaft.
Forderungen nach einer "Kulturquote" im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen und nach den besten Sendezeiten für Kulturprogramme haben
die Verantwortlichen immer als "romantisch" abgetan: Der Geschmack
des Publikums begründe das Programm. Wendete man das Prinzip auf die
Kulturnation Deutschland an, dann müssten wir Opern und
Philharmonien, Museen und Forschungsinstitute reihenweise schließen,
weil sie auf dem "Markt" der Unterhaltungen nur über jämmerliche
"Einschaltquoten" verfügen. Das Fernsehen entscheidet wie keine
andere Agentur der öffentlichen Meinung über Sichtbarkeit oder
Unsichtbarkeit von Werten, es ist die wahre Schule der Nation. Es
verfehlt seinen demokratischen Beruf, wenn es nicht Verantwortung
ergreift für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die
Weitergabe kultureller Errungenschaften ist kein "Damenprogramm der
Industriegesellschaft", sondern vitales Überlebensmittel in einer
globalen Konkurrenzgesellschaft.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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