WAZ: Klima-Gipfel in Brüssel und Posen - Kanzlerin verpasst den Zug der Zeit - Leitartikel von Jürgen Polzin
Geschrieben am 12-12-2008 |
Essen (ots) - Ja, ja und noch einmal ja: Klimaschutz kostet Geld, Arbeitsplätze und Investitionen. Ist es deswegen tabu, am Vorabend der wohl größten Wirtschaftskrise in der Nachkriegszeit für einen strengen Emissionshandel einzutreten? Ist es naiv anzumerken, dass die Finanzmisere und das CO2-Problem ein und dieselbe Wurzel haben: nämlich das Wirtschaften auf Kosten anderer? Ist also Klimaschutz eine Option, die man wählt, wenn man es mag und die man verschiebt, wenn es gerade ungünstig ist?
Nein, ist es nicht. Die Bundeskanzlerin rettet Arbeitsplätze, wenn sie Abstriche beim Klimaschutz fordert. Gleichzeitig gefährdet sie durch ihr Festhalten an veralteten Strukturen die Jobs in den Zukunftsmärkten. Jenen Märkten, in denen Deutschland der Welt vorgemacht hat, dass Ökonomie und Ökologie sich eben nicht einander ausschließen. Saubere Energietechnologien, effizientes Wirtschaften mit Rohstoffen: made in Germany. Die USA bereuen bitter, dass sie auf diesen Marktplätzen ihre technologische Vorherrschaft kampflos abgegeben haben. Sie investieren Milliarden, um den Rückstand zum alten, neuen Europa wettzumachen: in neue Kohlekraftwerke, in die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, in Biotreibstoffe der zweiten Generation. Deutschland muss wieder fürchten, dass das Leben jene bestraft, die zu spät kommen.
Falsch betriebener Klimaschutz knebelt Branchen wie etwa die Stahlindustrie, bis sie dort produzieren, wo es keine Umweltauflagen gibt. Doch wenn diese Regeln weltweit gelten, wenn der Kohlenstoffmarkt funktioniert und wenn endlich Chancengleichheit herrscht unter den Hochöfen, die ihre Emissionen schon jetzt so weit zurückgefahren haben, dass mehr Klimaschutz unmöglich scheint, dann wird Deutschland einen riesigen Startvorteil haben, weil es früher als andere auf Umwelttechnologien gesetzt hat. Und deswegen brauchen wir ein neues, weltweites Klimaschutzabkommen.
Das aber gelingt nicht, wenn Kanzlerin Angela Merkel mit Subventionen das Ges-trige retten will. Den Brüsseler Streit um den Emissionshandel, der mit Zugeständnissen an die Industrie endet, müssen die jungen Bürger bezahlen. Schlimmer aber ist, dass im Schatten des Geschachers die Botschaft des UN-Klimagipfels in Posen völlig unterging. "Solidarität" hieß sie. Es waren die Schwellen- und Entwicklungsländer, die dort Initiativen ergriffen, eigene Klimaziele vorstellten. Sie sind es, die verändern wollen. Anders als die Industrieländer haben sie erkannt, dass sie längst keine andere Wahl mehr haben.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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