Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 22. Januar 2009 die Debatte um eine mögliche Aufnahme von entlassenen Guantánamo-Häftlingen in Deutschland:
Geschrieben am 21-01-2009 |
Bremen (ots) - Das Kurnaz-Syndrom von Joerg Helge Wagner Offenbar ist es dem Mann ernst: Barack Obama will den Schandfleck Guantánamo schließen; quasi als erste Amtshandlung pfiff der neue US-Präsident die Ankläger bei den höchst fragwürdigen Militär-Sondergerichten für 120 Tage zurück. Gut so! Der "Neue" an der Spitze der letzten Supermacht wird weltweit damit punkten, dass er sein symbolträchtigstes Wahlversprechen umgehend einlöst. Nun soll das Prozess-System generell und in Einzelfällen geprüft werden. Das ist zwingend notwendig, da in unterschiedlichen Instanzen mindestens sieben zum Teil widersprüchliche US-Gerichtsurteile zu Guantánamo existieren. Bei allem Elan bohrt Obama also ein dickes Brett. In Deutschland aber wird so getan, als könne der neue US-Präsident qua Amt und per Federstrich die Erblast seines Vorgängers tilgen. Kann er eben nicht. Deshalb stehen hier auch nicht in den nächsten 14 Tagen 17 Uiguren, ein Syrer, ein Russe oder zehn sonstige Unglückliche auf dem Flughafen, die nun zwar frei, aber wegen drohender Folter in ihren Herkunftsländern auch heimatlos sind. Folgerichtig hat die neue US-Regierung ihre Verbündeten noch mit keiner Silbe darum gebeten, solche Menschen aufzunehmen. Sie sieht sich offenbar erst einmal selbst in der Pflicht, und auch das ist gut so. Das eilfertige Angebot von Bundesaußenminister Steinmeier muss da irritieren - nicht zuletzt, weil genau dieser Mann als maßgeblicher Politiker jahrelang gebremst hat, als es um die Wiederaufnahme des türkisch-bremischen Guantánamo-Häftlings Kurnaz ging. Der Sinneswandel scheint nicht ganz frei von persönlichen Schuldgefühlen zu sein - das kann man ehrenwert finden, aber ein Minister hat die ganze Nation zu vertreten. Da hat Kollege Schäuble einfach die besseren Argumente: Es ist weder Deutschlands Pflicht noch in seinem Interesse, etwa ein Dutzend uigurische Muslime aufzunehmen, die zwar nicht am 11. September beteiligt waren, sondern "nur" in Afghanistan den bewaffneten Unabhängigkeitskampf gegen Peking geübt haben. Grünen-Chefin Roth findet solche Überlegungen "zynisch und eiskalt", beweist damit aber nur mangelnde Regierungsreife.
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