Berliner Morgenpost: Die Taktiker haben Hochkonjunktur - Kommentar zum Konjunkturprogramm
Geschrieben am 12-02-2009 |
Berlin (ots) - Natürlich wirkt es in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Krieg bizarr, wie die Parteien um die Bundesratszustimmung zum Konjunkturpaket der großen Koalition feilschen. Wenn das schwarz-grün regierte Hamburg mit SPD-Fraktionschef Peter Struck um Cent-Beträge bei der Besteuerung von großen Diesel-Autos schachert, wenn die Bundes-CDU dabei erst mehr und dann wieder weniger Kfz-Steuern verlangt, wenn die FDP auf Chancen zu Steuersenkungen lauert, sich aber auf Konkretes nicht festlegt - dann kann man sich schon fragen, ob den Taktikern der Ernst der Lage bewusst ist. Doch sollte man sich mit solchem Moralisieren nicht lange aufhalten. Denn das Problem ist hier nicht, dass die Parteien taktieren - das gehört zu ihrem Geschäft -, sondern dass es ihnen dieses Mal so leicht gemacht wird und dass ihnen derzeit auch gar nichts anderes übrig bleibt. Leicht gemacht wird ihnen das Gezerre durch das Konjunkturpaket selbst. Von den beiden inhaltlich weit ausgefaserten Volksparteien so gepackt, dass das Paket für jeden etwas enthält, lässt es eine klare wirtschaftspolitische Linie vermissen und ist zum Sammelsurium geworden. Es wirkt beliebig, und Union wie SPD könnten sich darin auch anderes vorstellen, die Union viel mehr Steuersenkungen, die SPD viel mehr staatliche Investitionsprogramme. Wenn dann die Oppositionsparteien FDP und Grüne genau jene Forderungen vorbringen, stoßen sie bei den Regierungsparteien auf offene Ohren. Entlastungen im Sinne der Liberalen? Darüber lässt sich mit der Union allemal reden. Klimaschutz im Sinne der Grünen? Das kommt der SPD ganz gelegen. Weil die große Koalition von Bundeskanzlerin Angela Merkel weniger geführt als moderiert wird, konnte sie mit dem Konjunkturpaket einen formlosen Schwamm schaffen, der geradezu darauf wartet, dass jeder mit der Forderungsspritze herbeiläuft und ein paar Liter der eigenen Vorlieben hineinpumpt. Eine deutliche, für manche auch abweisende Kontur hingegen hätte die Opposition gezwungen, entweder von Anfang an strikt Nein oder beherzt Ja zu sagen. Solche Entschiedenheit aber - das gilt für Union und SPD genauso wie für FDP und Grüne - hätte zur Voraussetzung, dass sich die Parteien trauen würden, offen als Wahlkämpfer aufzutreten. Als Parteien also, die den Mut haben, in scharfen Konfrontationen ihre Programmatik nach vorn zu stellen und dafür auch das Scheitern eines Gesetzes zu riskieren. Aber es ist halt nicht irgendein Gesetz. Die Wirtschaftskrise ist so gravierend, dass man nicht einfach mal ein 50-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket platzen lassen kann. Was also bleibt? Genau, taktisches Gezerre. Na gut, dieses eine Mal noch. Möge also das Konjunkturpaket in der nächsten Woche durch den Bundesrat gewürgt werden. Danach aber sollte Schluss sein und endlich das beginnen, worauf alle warten und längst eingestellt sind: der offene Wahlkampf, in dem man einander getrost auch mal ein halbes Jahr lang blockieren kann. Ein bisschen Blockieren ist leichter zu ertragen als endloses Taktieren.
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