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WAZ: Horst Schlämmer und die Politik - Letzte Ausfahrt Wunderland. Leitartikel von Jens Dirksen

Geschrieben am 06-08-2009

Essen (ots) - Das ist Postmoderne: Die Ironie der Geschichte
besteht heute allzuoft darin, dass es sich in Wahrheit um bitteren
Ernst handelt. Ausgerechnet Christdemokraten drehen krumme
Spendendinger. Ausgerechnet Sozialdemokraten machen Unternehmen die
größten Steuergeschenke. Ausgerechnet Grüne propagieren
Kriegseinsätze.

Da wird es immer schwieriger, Satire und Politik zu
unterscheiden. Der "Borat"-Komiker Sacha Baron Cohen bekommt
Drohungen von den Al-Aksa-Brigaden. Und wenn Hape Kerkeling den
Kanzlerkandidatendarsteller spielt, strömen gestandene
Hauptstadt-Journalisten zur Pressekonferenz, um sich von Horst
"Schätzelein" Schlämmer strubbelig quatschen zu lassen; zwei
Nachrichtensender übertragen alles live, wie im echten
Politikbetrieb.

Verwechselungen von Wirklichkeit und Fiktion hat es immer
gegeben. Als Goethes "Werther" erschienen war, ging eine
Selbstmordwelle durchs Land. Später schrieben Menschen, die in
unauflösbare Kriminalfälle verwickelt waren, massenhaft an Sherlock
Holmes. Und die Zahl derer, die sich von Professor Brinkmann aus der
Schwarzwaldklinik operieren lassen wollten, ist Legion. Oft drückt
sich in derlei Wirklichkeitsverlust eine Sehnsucht aus, ein Mangel
der realen Welt, der geradezu ohnmächtig erfahren wird. Letzte
Ausfahrt Wunderland.
So wirft Horst Schlämmer ein Licht auf die Politik: Der Mann ist ja
nicht trotz seiner Schnappatmung und des Schnäuzers so beliebt,
sondern gerade weil er daraus keinen Hehl macht. Weil er, komisch
genug, ehrlich scheint. Anders als aalglatte Politiker, die wirken,
als gingen sie alle zum selben Gestentrainer, zum selben Frisör.
Wirtschaftsminister zu Guttenberg zeigt, dass es schon reicht, anders
als die anderen und authentisch zu wirken, um beliebter zu werden als
alle. Aus dem unechten Mund von Horst Schlämmer aber dringt,
ironisch, Wahres. Dinge, die fast jeder weiß, und die sich einfach
nicht ändern wollen, nicht mal durch öffentliches Aussprechen. So
steckt in der Schlämmermania auch ein Stück Ohnmacht, die in Gefühl
umgeschlagen ist.

Und doch: So sehr sich die Menschen nach Politikern sehnen, die
zur Wahrheit stehen - wer es tut, riskiert abgestraft zu werden. Von
Angela Merkel werden wir vor der Wahl also kaum zu hören bekommen,
was danach auf uns wartet. Vor vier Jahren, als sie das getan hat,
wäre sie beinahe daran gescheitert. Das ist die wahre Ironie.

Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/55903
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_55903.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de


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