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Berliner Morgenpost: Kommentar: Der Reichstag muss sicher sein - und offen für alle

Geschrieben am 01-09-2009

Berlin (ots) - Die Umweltaktivisten von Greenpeace haben einmal
mehr einen Volltreffer gelandet. Mit dem Missbrauch des Reichstags
als Werbekulisse für ihre energiepolitischen Ziele haben sie die
erstrebte öffentliche Aufmerksamkeit erreicht. Für ihren
Einfallsreichtum, ihre perfekte Organisation und ihr kühnes Agieren
gebühren den Greenpeace-Aktivisten nicht erst mit dem Reichstag-Coup
Respekt und Anerkennung. Es kommt eben nicht von ungefähr, dass
Greenpeace nicht nur die weltweit bekannteste Umweltorganisation ist,
sondern auch eine mit hohem Ansehen. Dabei wird gern ausgeblendet,
dass die selbst ernannten Retter unserer Welt längst zu einem
globalen Unternehmen mit großem Etat geworden sind. Der speist sich
fast ausschließlich aus Spenden. Die wiederum sprudeln nach jeder
spektakulären Aktion - wie jetzt am Reichstag - kräftiger.
Das ist die eine, die respektable Seite.
Dann aber hört der Spaß auf. Wie ist es möglich, dass eine Handvoll
Atomkraftgegner Helme, Hämmer, eiserne Haken, meterweise Seile und
das drei Meter breite und fünfzehn Meter lange Transparent in das
Reichstagsgebäude schmuggeln konnten? Vorbei an allen
Sicherheitskontrollen. Die sind ziemlich scharf, wie jeder Besucher
des Parlamentsbereichs oder der Aussichtsterrasse samt Kuppel selbst
erfährt. Erst geht es durch ein Röntgen-Tor, dann wird jede Tasche
durchleuchtet, und schließlich ist noch eine Security-Schleuse zu
durchschreiten. Dazu kommt ein Sicherheitspersonal, an dem zumindest
zahlenmäßig nicht gespart wird. Wie an all dem vorbei erst das
notwendige Gerät unbemerkt vorbeigeschleust, dann auch noch die
Abseilaktion vorbereitet und realisiert werden konnte - das ist
skandalös. Zumal es nicht der erste vergleichbare Zwischenfall ist.
Vor zwei Jahren hatten sich Demonstranten vor der Reichstagsfassade
abgeseilt, um gegen die Wirtschaft zu protestieren.
Die Greenpeace-Aktion legt erneut offen, dass der Deutsche Bundestag
ein gewaltiges Sicherheitsproblem hat. Es muss so schnell wie möglich
untersucht und gelöst werden. Dabei liegt nach Art und Umfang der
Aktion eine äußerst beunruhigende Vermutung nah: Die
Fassadenkletterer könnten Helfershelfer innerhalb des
parlamentarischen Betriebs gehabt haben. Und wenn es Umweltaktivisten
möglich ist, alle Sperren im Reichstag zu umgehen, dann können das
nicht minder professionelle Terroristen auch. Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble wird von der SPD und der Opposition wegen seiner
wiederholten Warnungen vor der Gefahr von Terroranschlägen scharf
gescholten. Dass seine Mahnungen keineswegs völlig aus der Luft
gegriffen sind, hat sich gestern am Reichstag leider bestätigt.
Dennoch: Ein freies Parlament darf nicht zu einem
Hochsicherheitstrakt verkommen. Die Bürger müssen Zugang zum Haus des
Volkes haben - spektakuläre Aktionen wie die gestrige stellen dies
infrage. Greenpeace mag sich über den Erfolg freuen. Den Bürgern
dagegen dürften die Aktivisten ein weiteres Stück Parlamentsnähe
nehmen. Das ist eigensüchtig. Und gegenüber den bislang jährlich drei
Millionen Besuchern des Reichstags verantwortungslos.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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