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Landeszeitung Lüneburg: ,,Ohne Akzeptanz kein Atommüll-Endlager" -- Interview mit dem Schweizer Experten Dr. Hans Wanner vom ENSI

Geschrieben am 11-09-2009

Lüneburg (ots) - Energiepolitik ist eines der wichtigsten
Wahlkampfthemen. Berichte über angeblich geschönte Gutachten zum
Endlagerstandort Gorleben in den 1980er-Jahren durch die Regierung
Kohl haben den Streit um die Atomenergie angeheizt. Andere Länder
suchen ebenfalls nach Endlagern für hochradioaktiven Atommüll. ,,Ein
Tiefenlager lässt sich nur realisieren, wenn es genügend Akzeptanz
findet", sagt Dr. Hans Wanner, Leiter der Abteilung Entsorgung des
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, ENSI, im Gespräch mit
unserer Zeitung. In der Schweiz sei die Bürgerbeteiligung ein
unverzichtbares Element.

Herr Dr. Wanner, seit 2005 hat die Schweiz ein neues
Kernenergiegesetz. Was sind die Schwerpunkte dieses Gesetzes und wo
sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zum deutschen Atomgesetz?

Dr. Hans Wanner: Das neue Kernenergiegesetz stützt sich auf
neueste internationale Standards, im Bereich der Entsorgung auf die
der Joint Convention, die von der Schweiz im Jahr 2000 ratifiziert
wurde. Schwerpunkte in Bezug auf die Entsorgung sind das
Verursacherprinzip, die Pflicht zur Entsorgung in geologischen
Tiefenlagern im Inland und die Möglichkeit der Langzeitüberwachung
und der Rückholung der Abfälle. Die Standortsuche ist neu Sache des
Bundes. Zum deutschen Atomgesetz kann ich mich nicht äußern, da ich
die darin enthaltenen Bestimmungen nicht präsent habe.

Wie sieht die Beteiligung der Bevölkerung aus?

Wanner: Ein Tiefenlager lässt sich nur realisieren, wenn es
genügend Akzeptanz findet. Die Beteiligung der betroffenen Kantone
und Regionen ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil in allen drei
Etappen des Auswahlverfahrens. In der ers"ten Etappe bildet der Bund
frühzeitig einen Ausschuss der Kantone. Dieser besteht aus den
betroffenen Kantonen und Nachbarstaaten. In der zweiten und dritten
Etappe führen die Gemeinden der Standortregionen die regionale
Partizipation durch, in welcher Anwohner mitarbeiten können. Die
Standortregionen können grenzüberschreitend sein. Interessierte
Bürger können zudem in allen drei Etappen in den öffentlichen
Anhörungsverfahren Stellungnahmen abgeben. Am Schluss besteht die
Möglichkeit, auf nationaler Ebene das Referendum gegen den
Rahmenbewilligungsentscheid des Parlamentes zu ergreifen.

Wie weit fortgeschritten ist die Suche nach Endlager-Standorten?

Wanner: Wir befinden uns in der ersten von drei Etappen auf dem
Weg zur Standortwahl. Die Nagra (Nationale Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle) hat aufgrund sicherheitstechnischer
Kriterien 3 aus ihrer Sicht mögliche Standortregionen für ein
Tiefenlager für hochaktive Abfälle und 6 Standortregionen für ein
Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle vorgeschlagen.
Diese Vorschläge werden jetzt von der zuständigen Sicherheitsbehörde,
dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI), im Detail
überprüft. Weitere Expertengruppen und Kommissionen werden sich
ebenfalls zu den Vorschlägen äussern. Im Zentrum von Etappe 2 liegt
die Partizipation: Die Standortregionen haben die Möglichkeit, bei
der Konkretisierung der Lagerprojekte sowie den Untersuchungen der
sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten.
Zudem werden die Standorte sicherheitstechnisch verglichen, bevor die
Nagra pro Abfallkategorie mindestens zwei Standorte vorschlagen kann.
In Etappe 3 werden die verbleibenden Standorte vertieft untersucht.
Um einen gleichwertigen sicherheitstechnischen Kenntnisstand zu
erhalten, sind aus heutiger Sicht erdwissenschaftliche
Untersuchungen, inklusive Sondierbohrungen, notwendig. Vor der
Einreichung von Rahmenbewilligungsgesuchen müssen zudem die
Grundlagen für Kompensationsmassnahmen und für die Beobachtung der
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen
erarbeitet sowie die Frage der Abgeltungen geregelt werden. Das
Standortauswahlverfahren wird aus heutiger Sicht rund 10 Jahre in
Anspruch nehmen.

Was sind die sicherheitstechnischen Kriterien für die Suche nach
Standorten?

Wanner: Bei der Suche nach Standorten für geologische Tiefenlager
hat die Sicherheit stets oberste Priorität. Die
sicherheitstechnischen Kriterien für die Standortwahl betreffen die
Eigenschaften des Wirtgesteins wie räumliche Ausdehnung und
Wasserdurchlässigkeit, die Langzeitstabilität einschliesslich der
Berücksichtigung von Nutzungskonflikten, die Zuverlässigkeit der
geologischen Aussagen, wozu die Charakterisierbarkeit der Gesteine,
die Explorierbarkeit und die Prognostizierbarkeit von
Langzeitverän-derungen gehören, sowie die bautechnische Eignung.

Werden alle verfügbaren geologischen Informationen berücksichtigt?

Wanner: Ja, die Auswahl möglicher geologischer Standortgebiete in
Etappe 1 hatte aufgrund der heute bekannten Eigenschaften des
geologischen Untergrundes zu erfolgen. Dabei waren alle verfügbaren
geologischen Informationen zu berücksichtigen. Das ENSI überprüft
derzeit, ob dies der Fall war.

Als Standort für ein SMA- (schwach- mittelaktive Abfälle) Lager
war einst Wellenberg auserkoren. Warum wurde der Standort
fallengelassen?

Wanner: Aus sicherheitstechnischer Sicht wurde der Standort
Wellenberg sowohl durch die Nagra als auch durch die überprüfenden
Behörden als geeignet für ein SMA-Lager beurteilt. Die notwendige
kantonale Bewilligung für die Realisierung des Projekts wurde 1995
vom Stimmvolk abgelehnt. Als auch ein schrittweises Vorgehen 2002
beim kantonalen Stimmvolk keine Zustimmung fand, liessen die
Projektanten den Standort fallen. Im neuen Standortauswahlverfahren
ist der Wellenberg von der Nagra als eine der 6 aus
sicherheitstechnischer Sicht möglichen Standortregionen für ein
SMA-Lager erneut vorgeschlagen worden.

Für ein HAA- (hochaktive Abfälle) Lager gibt es Zweifel an der
Eignung kristalliner Standorte. Wie sieht es mit Opalinuston aus?

Wanner: Der 1985 von der Nagra eingereichte Entsorgungsnachweis
für HAA ging von einem Standort im kristallinen Grundgebirge aus. Die
Prüfbehörde kam in ihrem Gutachten zur Ansicht, dass die Suche nach
einem geeigneten Standort im kristallinen Grundgebirge der Schweiz
schwierig und ohne Garantie auf Erfolg sei. Sie forderte die Nagra
auf, ihre Arbeiten auf Sedimentgesteine auszudehnen. Die Nagra ist
dieser Forderung nachgekommen und reichte 2002, basierend auf dem
Wirtgestein Opalinuston, den Entsorgungsnachweis HAA ein. Dieser
wurde von den zuständigen Behörden positiv beurteilt. Auch eine
internationale Expertengruppe gab dazu ein positives Urteil ab. Der
Schweizer Bundesrat genehmigte 2006 den Entsorgungsnachweis HAA.

Im Sachplan geologisches Tiefenlager heißt es, dass Kantone, das
benachbarte Ausland und die Bevölkerung einbezogen werden. Heißt das,
dass Deutschland gefragt werden würde, wenn der ausgewählte Standort
für ein Endlager in Grenznähe liegen wird?

Wanner: Die an die Schweiz angrenzenden deutschen Bundesländer
haben im Auswahlverfahren die gleichen Mitwirkungsrechte wie die
Regionen in der Schweiz. In den späteren atomrechtlichen
Bewilligungsverfahren sind nach schweizerischem Verfahrensrecht den
angrenzenden deutschen Gemeinden und den dort lebenden Personen
dieselben Rechte eingeräumt wie den betroffenen Schweizer Bürgerinnen
und Bürgern. Die Bau- und Betriebsbewilligungen können vor
Bundesverwaltungsgericht und vor Bundesgericht angefochten werden.
Die Teilnahme an einer Volksabstimmung im Zusammenhang mit der
Rahmenbewilligung ist auf Personen beschränkt, die in der Schweiz
stimmberechtigt sind.

Wann rechnen Sie mit der Inbetriebnahme der Endlager?

Wanner: Die offizielle Terminplanung des Bundesamts für Energie
rechnet mit der Inbetriebnahme des SMA-Lagers frühestens 2030 und des
HAA-Lagers frühestens 2040.

In Deutschland legten sich Politiker gegen den Rat von Experten
auf Gorleben als HAA-Endlager fest. Die Bevölkerung wurde gar nicht
erst gefragt. Rechnen Sie mit einem endgültigen Aus für Gorleben?

Wanner: Als zuständige Aufsichtsbehörde der Schweiz kann sich das
ENSI nicht zu den politischen Vorgängen in Deutschland äußern.
Das Atommülllager im Salzstock Asse ist akut einsturzgefährdet.

Würde der Salzstock Gorleben die strengen Schweizer Kriterien
überhaupt erfüllen?

Wanner: Salz, Ton und Kris"tallin gelten weltweit als potenziell
mögliche Wirtgesteine für HAA-Lager. Ob der Salzstock in Gorleben die
Schweizer Kriterien erfüllt, müsste mittels eines detaillierten
Sicherheitsnachweises aufgezeigt werden.

Die Schweiz hat derzeit fünf Atomkraftwerke an vier Standorten.
Drei neue Werke Leichtwasserreaktoren -- sind geplant. Wann sollen
diese ans Netz gehen?

Wanner: Die Bewilligungsverfahren sind zeitaufwendig. Sie
beinhalten eine Rahmenbewilligung, die dem fakultativen Referendum
unterliegt. Das Schweizer Stimmvolk kann also bestimmen, ob es ein
neues Kernkraftwerk will oder nicht. Zurzeit läuft das
Rahmenbewilligungsverfahren für drei neue Kernkraftwerke. Danach
folgen die Bau- und die Betriebsbewilligung, die nach geltendem Recht
bis zur höchsten gerichtlichen Instanz angefochten werden können.
Heute wird damit gerechnet, dass ein neues KKW frühestens in rund 17
Jahren ans Netz gehen kann.

Im Kernkraftwerk Mühleberg gibt es Probleme mit Rissen im
Kernmantel. Mühleberg ist wie auch der deutsche Pannenreaktor Krümmel
ein Siedewasserreaktor. Ist dieser Typ zu störanfällig?

Wanner: Beim Kernmantel handelt es sich um ein zylinderförmiges
Strömungsleitblech im Innern des Reaktordruckbehälters. Es führt
keinen Druck und dient in den Siedewasserreaktoren der optimalen
Leitung des Kühlwassers. Siedewasser- und Druckwasserreaktoren
gehören zu den Leichtwasserreaktoren. Beide Typen sind in Bezug auf
die nukleare Sicherheit gleichwertig. Dies zeigt auch die
jahrzehntelange internationale Erfahrung.

Alle drei geplanten Werke sollen direkt neben bestehenden AKW
gebaut werden. Liegt das nur an der Infrastruktur oder wäre der
Widerstand der Bevölkerung an neuen Standorten zu groß gewesen?

Wanner: Diese Frage ist politischer Natur. Dazu können wir als
Sicherheitsbehörde nicht Stellung nehmen.

Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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