Mediengipfel in Lech: Das "Raubtier" Kapitalismus muss gezähmt werden
Geschrieben am 28-11-2009 |
Innsbruck (ots) - Einen spannenden Schlagabtausch lieferten sich führende Journalisten nationaler und internationaler Medien am Rüfikopf auf rund 2.340 Metern hoch über Lech - am zweiten Abend des Mediengipfels am Arlberg diskutieren Auslandskorrespondenten "Über das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen - die Auswirkungen der Zeitenwende auf die Politik Europas und Österreichs!"
Unter der Leitung von Susanne Glass, Präsidentin des Verbandes der Auslandspresse in Österreich und ARD-Korrespondentin für Österreich und Südosteuropa, diskutierten die amerikanische Korrespondentin Melinda Crane, Gabrielle Grenz (AFP), Europa-Korrespondent Thomas Mayer (Der Standard), ORF-Informationsdirektor Elmar Oberhauser, der USA-Korrespondent des ORF Hanno Settele und der türkische Schriftsteller Serafettin Yildiz.
In seinem einführenden Prolog analysierte Settele die aktuelle Situation in den USA. Auch wenn es keine Alternative zum kapitalistischen System gäbe, die Krise, die durch dieses System ausgelöst wurde, wäre noch lange nicht vorbei, so Settele. Der Auslöser der Krise sei eine völlig entfesselte, unkontrollierte Hochfinanz gewesen, die Risiken genommen habe, die sie am Ende aber nicht verantworten musste. Die Größe von Systemteilnehmern habe dazu geführt, dass sie Teil des Systems geworden sind. "Damit mussten diese Marktteilnehmer in Wahrheit die Risiken ihres Handelns nicht mehr tragen, denn jeder wusste, dass ein Untergehen das ganze System in Gefahr bringen würde!" Settele betrachtete diese Tatsache als Wurzel allen Übels, als Systembruch, der die Krise in dieser Dimension ausgelöst habe. Tatsächlich aber habe dieser Schock zu keinem Umdenken geführt, das amerikanische Finanzsystem sei weiterhin über weite Strecken ungeregelt. In den USA herrsche nach wie vor das Dogma, dass der Staat schlecht sei. "Daher wird es für Obama sehr schwer nachhaltig in die Regeln der Wall Street einzugreifen." Aktuell gäbe es sogar jetzt noch mehr dieser übergroßen Marktteilnehmer, deren Scheitern wieder das ganze System in Frage stellen würde. Settele lieferte in der Einleitung zur Diskussion auch Hinweise, wie das Finanzsystem geregelt werden könnte: Die Banken bräuchten höhere Eigenkapitalquoten, staatliche Garantien müssten in ihrer Höhe aber auch zeitlich limitiert werden, gewisse Finanzgeschäfte sollten überhaupt verboten werden, man müsste sich auf klare Regelungen für Ratingagenturen einigen und zudem die Sinnhaftigkeit der quartalsmäßigen Bilanzierung hinterfragen.
Melinda Crane bestätigte, dass der Glanz Obamas in den USA längst verblasst sei. Das System des angelsächsischen Kapitalismus sei auf rasche Gewinne fixiert gewesen. "Das muss ein Ende habe. Das System darf nicht mehr sich selbst überlassen sein." In den vergangenen Jahren habe es eine Umverteilung nach oben gegeben, es brauche dringend soziale Korrekturen, das Raubtier Kapitalismus müsse gezähmt werden. Crane zeigte sich aber ebenfalls skeptisch, dass Regulierungen im umfassenden Stil gelingen. Obama werde an der Frage der Arbeitslosigkeit gemessen, doch ein Jobaufschwung sei nicht in Sicht.
Mayer stellte der europäischen Politik ein recht gutes Zeugnis aus. Im Gegensatz zu den USA, wo sich zwei politische Lager polarisierend gegenüberstünden, funktioniere das europäische Krisenmanagement. "Unsere Nationalstaaten sehen, dass sie an Grenzen stoßen, jetzt muss man verstärkt zusammenarbeiten." Mit dem Lissabon Vertrag würde dieser Integrationsprozess verstärkt. "Die europäische Wirtschaftspolitik ist vom Wissen um die schicksalhafte Verbundenheit geprägt." In diesem Sinn ortet Mayer Positives in der Krise, da Europa immer enger zusammenrücke.
Grenz warnte hingegen vor den Schuldenbergen, die die Staaten anhäufen müssten, um gegen die Krise zu steuern. Grenz zitierte die französische Staatsverschuldung, die mittlerweile bei rund 80% liege. "Wie soll dieser Schuldenberg zurückgezahlt werden, wenn zeitgleich etwa die Jugendarbeitslosigkeit steigt?"
Oberhauser wiederum betonte die moralische Dimension der globalen Wirtschaftskrise. Tatsächlich wäre das System von Teilnehmern ausgebeutet worden, die mehr als zweifelhafte Interessen gehabt hätten. "Wenn Gauner am Werk sind, dann kommt jedes System langfristig unter Druck." Gegenwärtig ortet Oberhauser insbesondere Ratlosigkeit, auch unter den Experten. "Eigentlich kann keiner sagen, wie es weitergeht." Und auch die Abhängigkeit Europas von den USA sei nach wie vor in vollem Umfang gegeben. "Europa hat es nicht einmal geschafft, eine eigene Ratingagentur auf die Beine zu stellen." Die Krise hätte theoretisch die Möglichkeit geboten, Riegel vorzuschieben, bis jetzt sei im Bereich von notwendigen Regulierungen aber wenig geschehen.
Yildiz analysierte, dass die Wirtschaftskrise zwar auch die Türkei gestreift habe, allerdings die Wirtschaftskraft seiner Heimat steige. Auch aufgrund der geopolitischen Situation, auch als "Energiekorridor" könne die Welt nicht mehr an der Türkei vorbei schauen. Mit Blick auf die Auswüchse des angelsächsischen Kapitalismus warnte Yildiz vor dem Wunsch nach grenzenlosem Wachstum. "Wir leben in einem System, das in Teilbereichen versagt hat. Deshalb sind sozialpolitische Korrekturen unausweichlich!"
Ein erfreuliches Fazit zogen die Initiatoren des Mediengipfels - Gerhard Walter, GF von Lech Zürs Tourismus, und Stefan Kröll sowie Thomas Weninger, GF von pro.media kommunikation - am Ende des zweitägigen Symposiums: "Der Mediengipfel am Arlberg hat sich als spannende Plattform führender nationaler und internationaler Medien etabliert. Die unterschiedlichen internationalen Blickwinkel fördern den reizvollen Diskurs, der einerseits medialen Niederschlag findet und andererseits ein nachhaltiges und sehr wichtiges Netzwerk entstehen lässt!"
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