Landeszeitung Lüneburg: ,,Nachwirkungen der Krise werden noch lange zu spüren sein" -- Interview mit dem Wirtschaftsweisen, RWI-Präsident Prof. Dr. Christoph M. Schmidt
Geschrieben am 23-12-2009 |
Lüneburg (ots) - Erst droht dem Emirat Dubai der Bankrott, dann wird das ganze Ausmaß der Verschuldung Griechenlands bekannt -- und schon gerät auch Spaniens hohes Defizit in die Schlagzeilen. Diese Fälle belegen, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ,,noch nicht vorbei ist", sagt der Wirtschaftsweise Prof. Christoph M. Schmidt im Gespräch mit unserer Zeitung. Mitschuld am Desaster Griechenlands hat seiner Ansicht nach auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der ,,notorisch schwach ist im Erzwingen von Disziplin". Grundsätzlich waren und sind implizite Garantien etwa eines Staates bedenklich. Der Anreiz übermäßige Risiken einzugehen, ist derzeit so groß wie vor Beginn der Krise.
In Kürze wird in Dubai der größte Wolkenkratzer der Welt eingeweiht. Zugleich steht Dubai vor dem Bankrott, hat 80 Milliarden Dollar Schulden angehäuft, 50 Milliarden werden bis 2013 fällig. Könnte die ganze Region in den Abwärtssog des Emirats gerissen werden?
Prof. Christoph M. Schmidt: Das ist eher unwahrscheinlich. Abu Dhabi war bislang zur Stelle, wenn es darum ging, Dubai unter die Arme zu greifen. Und das dürfte auch jetzt wieder der Fall sein. Die Krise in Dubai ist aber ein Zeichen dafür, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise noch nicht vorbei ist, die Nachwirkungen noch lange zu spüren sein werden. Im konkreten Fall bedeutet das: Das Emirat hat nicht so solide gewirtschaftet und in gewisser Weise mit seinen Aktivitäten auf Sand gebaut. In Boomzeiten wurde es nicht ertappt, sondern erst jetzt. Aus der Krise haben wir gelernt, dass implizite Garantien von übergeordneten Stellen schlechtes Verhalten hervorrufen. So sind viele Banken in der Boomphase exzessive Risiken eingegangen -- wohlwissend, dass in einer möglichen Schieflage der Staat einspringt. Im Fall Dubai ist es Abu Dhabi.
Wer bankrotte Staaten sucht, muss nicht in die Wüste fahren. Griechenland ist fast aussichtslos verschuldet. Kann sich das Land noch allein aus der Schuldenfalle befreien?
Prof. Schmidt: Das ist eine gute Frage. Klar ist, dass es eine sehr schwere Aufgabe für Griechenland wird. Man hatte sich offenbar jahrelang nicht an Vereinbarungen gehalten. Jahrelang war klar, dass Griechenland exzessive Defizite hat, die Maastricht-Kriterien mehrfach gerissen wurden. Dennoch gab es keine Konsequenzen, wurden nie Sanktionen verhängt. Dass jetzt erste, ernsthafte Schritte angekündigt worden sind, um das unsolide Wirtschaften zu beenden, ist eine gute Nachricht. Ob es aber am Ende reichen wird, lässt sich derzeit nicht voraussagen.
Mehrere Rating-Agenturen haben die Kreditwürdigkeit Griechenlands drastisch zurückgestuft
Prof. Schmidt: Daran sieht man, dass Marktdisziplinierung im Endeffekt ein gutes Werkzeug ist, um Aufmerksamkeit bei den Betroffenen zu erzeugen. Jahrelang geschah nichts, erst mit der Herabstufung wurde reagiert.
Die Marktdisziplinierung funktioniert, aber die EU-Kontrollmechanismen versagen?
Prof. Schmidt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist notorisch schwach im Erzwingen von Disziplin. Dabei sollte der Pakt ein Instrument zur Disziplinierung sein. Und er wurde insbesondere von Deutschland sehr vorangetrieben. Es ist noch nicht lange her, da waren es Deutschland und Frankreich, die -- als sie selbst gegen die Maastricht-Kriterien verstoßen hatten -- sagten, die Kriterien seien ökonomisch nicht so sinnvoll, Flexibilisierung sei erforderlich. Damit wurde der Pakt aus ökonomischer Sicht aufgeweicht und geschwächt. Zudem greifen die Sanktionsverfahren überhaupt nicht. Es dauert viel zu lange, bis ein Verfahren in Gang kommt. Wenn ein Land dann unter die Drei-Prozent-Grenze kommt, wird das Verfahren direkt wieder ausgesetzt. Damit kann man keine Disziplin erzwingen. Wir haben im Ratsgutachten einen Konsolidierungspakt gefordert. So sollten sich die übrigen Euro-Länder nicht zurücklehnen, wenn in Deutschland konsolidiert wird. Denn nur Deutschland muss aufgrund der Schuldenbremse konsolidieren, die übrigen Länder haben nichts Vergleichbares. Das heißt, wir müssen die Partnerländer mit ins Boot holen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt reicht dazu nicht aus.
Wo sehen Sie überhaupt Einsparmöglichkeiten der Regierung? Schließlich stehen 2011 rund 30 Milliarden Euro zur Disposition, die eingespart werden müssen. Finanzminister Schäuble schweigt dazu noch.
Prof. Schmidt: Das war ein sehr wichtiger Punkt in unserem Ratsgutachten. Zwar fand es unsere Zustimmung, dass die neue Bundesregierung Bildung, Innovation und Wachstum als Leitmotiv genannt hatte. Problematisch war hingegen die Ankündigung von Steuerentlas"tungen für die Bürger, ohne zu sagen, wo das Geld herkommen soll. Der Bund muss aufgrund der Schuldenbremse 2011 mit dem Sparen beginnen und es immer weiter verschärfen. Allein 2016 muss er nahezu 40 Milliarden Euro einsparen. Das kann man nur auf zwei grundsätzlich verschiedene Arten realisieren: Mehr einnehmen oder weniger ausgeben. Mehr Einnahmen bedeuten Steuererhöhungen. Dies wäre für das Wachstum kontraproduktiv. Der Staat sollte also auf der Ausgabenseite ansetzen. Aber wie bekommt man diese große Summe zusammen? Das geht nur, wenn man Subventionen abbaut, Steuervergünstigungen stark beschneidet oder bei den Personal- und Sachausgaben spart. Also im Öffentlichen Dienst etwa Stellen abbaut und hart verhandelt, was aber schwer wird: Gerade haben die Gewerkschaften fünf Prozent mehr Lohn im Öffentlichen Dienst gefordert.
Noch einmal kurz zurück zu Griechenland: Wer sollte, wer kann, wer darf denn überhaupt helfen?
Prof. Schmidt: Die Vereinbarungen, die wir in Europa haben, sehen vor, dass einem Staat in einer solchen Klemme nicht geholfen wird. Im Endeffekt wird es wohl schwer sein, einfach daneben zu stehen und Griechenland fallen zu lassen. Man wird wohl doch den einen oder anderen Weg an den Regelungen vorbei finden, um im Notfall einzugreifen. Und man kann es sich einfach nicht leisten, große Verwerfungen zu riskieren. Es gibt aber auch einige Ökonomen, die meinen, man sollte Griechenland ruhig in den Staatsbankrott gehen lassen. Griechenland wäre schließlich nicht so groß, als dass es die anderen nicht verkraften könnten. Zudem würde es die Währungsunion eher stärken, da die Nicht-Eingreifs-Klausel glaubhaft wäre.
Hat Deutschland nicht ein vitales Interesse daran, dass Griechenland nicht pleite geht, weil deutsche Firmen noch auf rund 20 Milliarden Euro aus Griechenland warten?
Prof. Schmidt: Das ist einer der Gründe, warum es für die Politik so schwer ist: Betroffene werden ihre Stimme erheben. Und je besser deren Interessen organisiert sind, umso schwerer wird es, dem öffentlichen Druck einer Hilfsaktion zu widerstehen. Ich gehe davon aus, dass man Griechenland zwingt, weitere Schritte hin zu einer fiskalischen Solidität einzuleiten. Und wenn es Spitz auf Knopf stünde, gehe ich davon aus, dass Griechenland nicht fallen gelassen wird.
Auch mit Spaniens Finanzen steht es schlecht. Wie stark beschädigen die Krisen das Ansehen des Euro?
Prof. Schmidt: Bislang ist der Euro stabil. Aber in dem Augenblick, in dem Griechenland, Spanien und Irland Schwierigkeiten hätten, wäre es problematisch. Insofern haben wir ein vitales Interesse daran, dass es nicht zu einer solchen Situation kommt. Deutschland ist sicherlich noch mehr in der Pflicht als andere, dass die Gemeinschaft nicht auseinander bricht. Und das wird uns gewiss noch einiges kosten.
Ihr Institut widmet sich unter anderem der Analyse von Ursache und Wirkung wirtschaftspolitischer Eingriffe ins Marktgeschehen. Waren die Eingriffe der Bundesregierung in den Bankensektor erfolgreich genug?
Prof. Schmidt: Im Großen und Ganzen war es beeindru"ckend, wie schnell Schutzschirme für den Bankensektor aufgespannt worden sind. Es war eine richtige und unverzichtbare Maßnahme, den Finanzsektor zu stützen. Dennoch gibt es Kritik: Die Rekapitalisierung der Banken ist eine rein freiwillige Maßnahme geblieben. Der Bankensektor ist aber ein Wirtschaftszweig, in dem die Unternehmen nicht nur für sich selbst Risiken eingehen, sondern das ganze System gefährden können. Der Staat sollte daher im Einzelfall Unternehmen zwingen können, sich mehr Eigenkapital zu besorgen. Dies war zum Beispiel in den USA der Fall. Konnte sich eine Bank Kapital nicht auf dem Markt besorgen, stieg der Staat bei der Bank ein. Natürlich kann es nicht darum gehen, auf Dauer eine staatliche Bank herzustellen. Und es wird schwierig, aus dieser Situation wieder herauszukommen. In Deutschland gibt es zum Beispiel immer noch Landesbanken, obwohl sie im Prinzip kein Geschäftsmodell haben. Stattdessen wurden -- obwohl Politiker in den Aufsichtsräten saßen und sitzen -- riskante Kreditersatzgeschäfte getätigt. Damit haben die Landesbanken einen Teil der Krise mitverursacht.
Wieviele der sieben Landesbanken sollten denn übrigbleiben: Zwei, eine oder keine?
Prof. Schmidt: Ich habe schon große Schwierigkeiten, mir vorzustellen, warum es zwei geben muss. Möglicherweise muss es nicht einmal eine geben, denn die Sparkassen haben ja ohnehin eine Zentrale.
Sie haben die Rekapitalisierung von Banken angesprochen. Die EZB hat schon mehrfach hunderte Milliarden Euro in den Markt gepumpt. Trotzdem sprechen viele von einer Kredtiklemme. Investieren die Banken das Geld lieber wieder in spekulative Geschäfte, als es Unternehmen zu leihen?
Prof. Schmidt: Die Banken sind einerseits in einer Situation, in der wir von ihnen eine vorsichtigere Kreditvergabe verlangen, damit es eben nicht wieder zu einer großen Krise kommt. Andererseits beklagen Unternehmen eine zu restriktive Kreditvergabe. Aus dieser Gemengelage eine Kreditklemme herauszulesen, ist schwierig. Wir gehen davon aus, dass es in den vergangenen Monaten keine Klemme gegeben hat, das Risiko aber noch nicht gebannt ist. Insofern ist es positiv, dass die Banken derzeit ihr Eigenkapital stärken. Allerdings ist auch die implizite Garantie des Staates immer noch da. Nach dem Aus von Lehman Brothers war klar: Der Staat wird in der Krise einspringen. Früher hat man gesagt: Wenn ihr solche Risiken eingeht, dass ihr in die Schieflage kommt, helfen wir euch möglicherweise, möglicherweise aber auch nicht. Weil ihr das vorher nicht wissen könnt, habt ihr einen Anreiz, vielleicht doch nicht so große Risiken einzugehen. Dies ist nach dem Fall Lehman vollkommen unglaubwürdig geworden. Natürlich wird der Staat einspringen, denn kein Staat kann sich einen zweiten Fall Lehman leisten. Insofern ist der Anreiz für Bankmanager, übermäßige Risiken einzugehen, derzeit ebenso groß wie vor der Krise. Deshalb brauchen wir bessere Regulierungen als bisher. Das Interview führte Werner Kolbe
Originaltext: Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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