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Berliner Morgenpost: Drohkulissen gegen den Bahn-Konzern - Leitartikel

Geschrieben am 07-01-2010

Berlin (ots) - Gestern hat die Politik versucht, den frustrierten
Fahrgästen auf den eisigen Bahnsteigen Wege aus dem S-Bahn-Chaos
aufzuzeigen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der den
Eigentümer vertritt, stellte sich hinter die Bahn und wiederholte die
Beschwichtigungen der Manager: So schnell wie möglich werde die Bahn
Mängel an den Waggons beheben. Väterlich mahnte er, die S-Bahn möge
doch ihre Kunden besser informieren. Auf den Bayern können Berlins
S-Bahn-Kunden also nicht bauen.
Fast zeitgleich zeichnete Berlins Verkehrssenatorin Ingeborg
Junge-Reyer (SPD) ihre Drohkulisse gegen die Bahn auf: Der Betrieb
auf einem Drittel des Netzes werde ausgeschrieben. Oder direkt der
landeseigenen BVG übertragen. Oder der Senat kauft gleich die ganze
S-Bahn GmbH vom Bahn-Konzern. Viele Fahrgäste hätten sich eine
schnellere Reaktion des Senats gewünscht, als Strafe für den
überzogenen Sparkurs der Bahn, dessen desaströse Folgen sie jeden Tag
ausbaden. Aber Zorn wäre ein schlechter Ratgeber. Es wäre schlicht
unmöglich, den Vertrag mit der S-Bahn schneller als bis 2017 zu
kündigen. Es dauert Jahre, bis ein anderer Anbieter ausreichend viele
Wagen zur Verfügung hätte, um auch nur einen Teil des Betriebes zu
übernehmen. Denn Berlins S-Bahn ist technisch ein Unikat. Wagen, die
hier rollen, sind anderswo nicht zu gebrauchen. Das macht eine
flexible Reaktion auf Versagen, die zu jedem Wettbewerb gehört,
unmöglich. Berlins Nahverkehr ist noch über Jahre vom Wagenpark der
Bahn-Tochter abhängig, und sei dieser auch noch so marode.
Junge-Reyer wirft eine Nebelkerze, wenn sie jetzt so tut, als seien
dem Senat alle drei genannten Varianten für die Zukunft der S-Bahn
gleich recht. Linke und SPD wollen auch das zweite Nahverkehrssystem
der Stadt in die Hand bekommen. Entweder durch den Kauf der S-Bahn,
was die Bahn jedoch ablehnt, oder Schritt für Schritt durch die
Vergabe des Betriebes auf Teilstücken an die BVG.
Wenn die Senatorin sagt, sie würde in einem neuen Vertrag Leistungen,
Qualitätsstandards und Sanktionen genau festlegen, muss man hellhörig
werden. Genau das ist im alten Verkehrsvertrag nicht gelungen. Dass
die gleichen Politiker und Beamten, die sich von der S-Bahn über den
Tisch ziehen ließen, in wenigen Monaten viel bessere Verträge
abschließen, ist ein frommer Wunsch. Zumal das Ganze noch
komplizierter wird, wenn mit der Bahn und einem privaten Konkurrenten
auf einem Schienennetz zwei Akteure unterwegs sind, die sich bisher
immer Steine in den Weg wälzten.
Berlins Behörden und Politik sind mit solchen Koordinationsaufgaben
zwischen öffentlichem und privatem Sektor überfordert, siehe
Bankgesellschaft oder Wasserbetriebe. Hingegen beweist die BVG jeden
Tag, dass ein kommunaler Betrieb besser funktionieren kann als eine
ferngesteuerte S-Bahn. Man mag gegen Berlins Politiker vieles sagen:
Aber niemand würde politischen Selbstmord riskieren und zulassen,
dass die S-Bahn in städtischer Verantwortung so versagt wie als
Anhängsel der Bahn.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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