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Berliner Morgenpost: Das Gesundheitswesen ist und bleibt leider krank - Leitartikel

Geschrieben am 25-01-2010

Berlin (ots) - Er hat als Mediziner gewusst, worauf er sich
einließ. Doch schneller als wohl ohnehin befürchtet, steckt Philipp
Rösler mittendrin im gesundheitspolitischen Schlamassel. Noch keine
100 Tage Bundesgesundheitsminister, holt auch ihn die alles
entscheidende Kostenfrage ein. Für die jetzt von den ersten
Krankenversicherungen angekündigten Zusatzbeiträge ist er nicht
verantwortlich - die hat ihm noch die große Koalition als Rezept
hinterlassen. Deren letzter Versuch unter Anleitung der
SPD-Ministerin Ulla Schmidt, das System per "Gesundheitsfonds" zu
stabilisieren, hat sich bereits im ersten Praxistest als wenig
heilsam erwiesen.
Damit wird der nun von Schwarz-Gelb angekündigte nächste, angeblich
umfassende Umbau des Gesundheitswesens noch dringlicher, als es dem
liberalen Minister-Neuling lieb sein kann. Obwohl der Bund den Kassen
im laufenden Jahr 15,7 Milliarden Euro zuschiebt, kommen die mit dem
Geld nicht aus und erheben deshalb die Zusatzbeiträge. Dass auf die
ersten Kassen weitere folgen werden, ist so sicher wie lange
Wartezeiten in den Arztpraxen. Nicht minder gewiss werden die
Gesundheitskosten und damit Beitrage, Zusätze oder sonstige neu zu
erfindende Prämien weiter steigen. Das deutsche Gesundheitssystem -
es verschlingt derzeit jährlich etwa 250 Milliarden Euro - gilt als
das teuerste der Welt, ohne dass die Deutschen deshalb
vergleichsweise gesünder wären. Im Gegenteil. In allen anderen
EU-Staaten gehen die Menschen nur halb so oft zum Arzt wie in
Deutschland. Unser Gesundheitswesen ist krank. Eine Akut-Behandlung
ist überfällig.
Doch schon tobt der nächste Streit über das richtige Rezept. Nicht
allein zwischen Regierung und Opposition, die auch in diesem Bereich
von ihren Mitentscheidungen aus der großen Koalition abrückt, auch
innerhalb der Regierung. Minister Rösler favorisiert das sogenannte
Prämien-Beitragssystem, nach dem jeder Versicherte - wie beim Auto -
den gleichen einkommensunabhängigen Beitrag zahlt. Geringverdiener
sollen in diesem "Kopfprämien"-System aus Steuermitteln einen
Ausgleich erhalten. Das würde nach ersten Berechnungen einen neuen
zweistelligen Milliardenzuschuss des Bundes erfordern. Und wird
deshalb in der CDU, allen voran von Finanzminister Wolfgang Schäuble,
angesichts der desolaten Haushaltslage bei gleichzeitigen
Steuersenkungsforderungen der FDP zunehmend abgelehnt. Ob Rösler bei
den von ihm ebenfalls versprochenen Sparentscheidungen etwa gegen die
Pharmaindustrie erfolgreicher sein wird, ist ebenfalls fraglich. Die
zweifelhafte Entlassung des Chefs des deutschen Pillen-TÜV war kein
gutes Signal. Solange die Menschen immer älter werden und die Medizin
immer anspruchsvoller und damit teurer, wird die Kostenfrage und
damit auch die Beitragshöhe für die Versicherten immer akuter. Die
Grenzen auszuloten ist nicht allein eine sozialpolitische, sie ist
zugleich eine ethische Frage. Aber auch jeder Einzelne trägt
Mitverantwortung. Müssen die Deutschen bei den Arztbesuchen wirklich
alle Rekorde schlagen?

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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