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Westdeutsche Zeitung: Hartz-IV = von Peter Kurz

Geschrieben am 09-02-2010

Düsseldorf (ots) - Nein, wie hoch das Existenzminimum in Euro und
Cent ist, das können auch die Verfassungsrichter nicht im Grundgesetz
nachschlagen. Auch geben sie zu, dass es nicht ihre Aufgabe ist,
diesen Wert festzulegen. Dies ist und bleibt Sache des Gesetzgebers.
Doch der hat sich bei dieser für Millionen Menschen existenziellen
Frage geradezu schlampig aus der Affäre gezogen. Als die Politiker
die Maßstäbe für die Regelsätze festlegten, hätten sie dies, so die
Richter, "ins Blaue hinein" getan und "freihändig geschätzt".
Schallender kann eine Ohrfeige wohl kaum ausfallen.
Besonders eindringlich ist die Kritik der Richter an der nicht
nachvollziehbaren Berechnung des Mindestbedarfs für Kinder. Dass die
Sechs- bis 13-Jährigen mit 30 Prozent weniger auskommen sollen als
ein Erwachsener, entbehrt in der Tat jeder rechnerischen Grundlage.
Und es berücksichtigt in keiner Weise, dass Schulbücher, häufigerer
Bedarf an neuer Kleidung oder auch die Teilnahme am ganz normalen
gesellschaftlichen Leben (z. B. Sportverein) einen gewiss gleich
hohen Bedarf wie den eines Erwachsenen rechtfertigen. Nach bisheriger
Rechtslage hingegen gilt die absurde Formel: Ein Kind = 0,7
Erwachsener.
Der Gesetzgeber muss nun schleunigst Maßstäbe liefern, anhand derer
er das Existenzminimum nachvollziehbar belegt. Schon die dann für
Kinder zu erwartenden höheren Hartz-IV-Sätze werden die Kosten rapide
ansteigen lassen. Und damit zwei politische Debatten neu befeuern.
Zum einen den alten Streit um einen Mindestlohn. Denn: Eine Erhöhung
der Bezüge für Hartz-IV-Bezieher verstärkt ein Problem - dass sich
die Arbeit für einen im Ergebnis geringeren oder nur geringfügig
höheren Lohn nicht rechnet. Der umgekehrte Weg, das Lohnabstandsgebot
durch ein Absenken der Regelsätze auf das unterste Lohnniveau
herzustellen, ist seit gestern versperrt. Entschärfen ließe sich das
Problem dadurch, dass statt höherer Geldbezüge mehr Sachleistungen
angeboten werden - etwa kostenlose Nachhilfe oder Gratis-Schulessen.
Aber auch das kostet Geld, viel Geld. Damit sind wir beim nächsten
Sprengsatz, den das Urteil für die politische Debatte bereithält: Der
Raum für die angesichts der Staatsverschuldung ohnehin schon
umstrittenen Steuersenkungen wird noch enger.

Originaltext: Westdeutsche Zeitung
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/62556
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_62556.rss2

Pressekontakt:
Westdeutsche Zeitung
Nachrichtenredaktion
Telefon: 0211/ 8382-2358
redaktion.nachrichten@westdeutsche-zeitung.de


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