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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Voyeur-TV

Geschrieben am 10-02-2010

Bielefeld (ots) - Die Macher der britischen Ausgabe von »Big
Brother« suchten Soldaten, die im Irak oder Afghanistan ein Bein oder
einen Arm verloren. Mit dem Elend dieser Männer wollten sie die
Einschaltquote hochtreiben. Ein krasses Beispiel für Voyeur-TV, die
Antwort der Privatsender auf wegbrechende Werbeeinnahmen.
Die Wirtschaftskrise lässt das Fernsehen verflachen. Einsame (»Bauer
sucht Frau«) und Verzweifelte (»Super Nanny«) bevölkern regelmäßig
das RTL-Programm, gescheiterte Gaststättenbetreiber lassen sich mal
mehr, mal weniger bereitwillig von Restauranttester Christian Rach
die Richtung vorgeben. Pro7 setzt auf Fleischbeschau in der
»Model-WG«, Kabel1 auf den »Immobilienfürst«, der die Häuser
derjenigen verkauft, die sich die Raten nicht länger leisten können.
Und RTL2 strahlt die nächste »Big Brother«-Staffel aus - 148 Tage
lang Überwachung mit der Kamera. Drei Stunden und 27 Minuten schaut
der Deutsche täglich fern und bekommt so viele Dokusoaps vorgesetzt
wie nie.
Die Behauptung der Privaten, sie wollten das wahre Leben abbilden,
ist nur die halbe Wahrheit. Sie wollen aus Sensationslust und
Schadenfreude auf Kosten anderer Kapital schlagen. Das gab jüngst der
RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger offen zu: Die Castingshow
»Deutschland sucht den Superstar« sei eine »Symbiose aus
Exhibitionismus und Voyeurismus«. Die Kandidaten wüssten, was sie
tun.
RTL, Sat1 und Co. fehlt zudem schlicht das Geld, um neue, teure Shows
auf die Beine zu stellen und aufwendige, wertvolle Filme zu drehen.
Sparen beim Etat bedeutet eben auch Sparen am Programm. Und weil
Bauer Josef viel günstiger ist als ein prominenter Schauspieler,
tummeln sich Namenlose auf der Mattscheibe.
Die Privaten seien zu »Gärtnern der Seichtgebiete« geworden, beklagt
Journalist Michael Jürgs treffend. Statt Information böten die
Privaten »Rotlicht und Blaulicht«, witzelt ARD-Programmdirektor
Volker Herres.
Er hat gut lachen, ist doch die ARD vom Rückgang der Werbeeinnahmen
sehr viel weniger betroffen als ihre private Konkurrenz: Die
öffentlich-rechtlichen Sender bekommen jährlich mehr als 7,5
Milliarden Euro Gebühren. Das setzt sie in die Lage, 2010 viel mehr
ambitionierte, teure Streifen auszustrahlen als die Privatsender.
Deren Geldmangel kann aber nicht entschuldigen, dass sie mit ihrem
Programm den Voyeurismus in der Gesellschaft schamlos schüren.
Menschen vor Kameras lächerlich zu machen, verstößt gegen die Würde.
Weil Gefühle verletzt würden, forderten Direktoren der
Landesmedienanstalten schon 2009 die Sender zu einer
»Selbstverpflichtung zur Einhaltung moralisch-ethischer Regeln bei
Dokusoaps und Castingshows« auf. Verbunden mit der Hoffnung, dass bei
uns nicht schon bald verwundete Bundeswehrsoldaten der Quote wegen
vorgeführt werden.

Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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