Westdeutsche Zeitung: Gesamtschulen in NRW = von Anja Clemens-Smicek
Geschrieben am 26-02-2010 |
Düsseldorf (ots) - Der Elternwille wird in Nordrhein-Westfalen mit Füßen getreten. Dieser Vorwurf von Opposition und Gewerkschaften wiegt nicht nur schwer, sondern lässt sich durch Zahlen belegen: Allein in diesem Jahr gehen 14 000 Schüler zwischen Rhein und Ruhr im Kampf um einen Gesamtschulplatz leer aus, weil sich die Schulform vor Anwärtern nicht retten kann. Eine Entwicklung, die der schwarz-gelben Landesregierung gut zehn Wochen vor der Wahl kaum gelegen kommen dürfte. Immerhin sieht sie in der Gesamtschule das lästige bildungspolitische Überbleibsel der rot-grünen Ära. Dennoch hilft es jetzt wenig, wenn sich Gegner wie Befürworter des gegliederten Schulsystems nun einmal mehr reflexartig in Stellung bringen. Viel wichtiger wäre es zu klären, warum Eltern diese Schulwahl treffen. Liegt es an der besseren Qualität der Gesamtschulen? An der Angst vor dem Turbo-Abitur am Gymnasium? Oder an den Vorzügen des längeren gemeinsamen Lernens? Wer so argumentiert, legt den Elternwillen allzu eng aus. Warum? Weil der Siegeszug der Gesamtschulen einhergeht mit dem langsamen Sterben der Hauptschulen. In einer Gesellschaft, die sich über Leistung identifiziert, eröffnet ein Hauptschulabschluss keine erstrebenswerte Lebensperspektive. Wer kann, wählt für sein Kind eine Schulform, die das Abitur als Option anbietet. Das birgt zwar die Gefahr, dass die Durchmischung guter und weniger begabter Schüler an der Gesamtschule nicht mehr stimmt. Aber es hilft dabei, aus dem Teufelskreis herauszukommen, dass sich Karrieren ebenso vererben wie Armut. Schulministerin Barbara Sommer (CDU) mag noch so sehr für den Fortbestand der Hauptschule kämpfen: Bei einem Rückgang der Schülerzahlen dort von derzeit rund sieben Prozent sollte sie zu der Einsicht gelangen, dass die Eltern das Schulsystem stärker verändern als jede Politik. Da lohnt auch ein Blick über den Tellerrand in NRW hinaus. Weil den Schulen auch wegen der sinkenden Geburtenrate schlicht die Kundschaft ausgeht, produziert der Bildungsföderalismus immer neue Reformvorhaben - vom Zwei-Säulen-Modell bis zur Mittelschule. Gemein ist allen, dass die eigenständige Hauptschule der Vergangenheit angehört. Ob einem das passt oder nicht: Das ist der Elternwille.
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