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Philipp zappelt bis der Arzt kommt - Umfrage zeigt: in jeder Klasse zwei AD(H)S-Kinder (mit Bild)

Geschrieben am 01-03-2010

Hamburg (ots) -

- Querverweis: Bildmaterial wird über obs versandt und ist
abrufbar unter http://www.presseportal.de/galerie.htx?type=obs -

Sie sind zappelig, unkonzentriert, mal himmelhochjauchzend, mal zu
Tode betrübt. Der Heimweg vom Kindergarten oder die Hausaufgaben
dauern, beim Essen wird nicht stillgesessen - viele Eltern dürften
solche Szenen kennen. Aber wann ist das Verhalten eines Kindes
tatsächlich so auffällig, dass es der Therapie bedarf? Sind Kinder
schwer zu bändigen, denkt man heute schnell an AD(H)S, die so
genannte Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Störung, im Volksmund
auch als Zappelphilipp-Syndrom bekannt. Laut einer Forsa-Umfrage im
Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) sind sieben Prozent der
Eltern in Deutschland der Meinung, dass ihr Kind an AD(H)S leidet.
Danach würden statistisch gesehen in jeder Klasse mit 28 Schülern
mindestens zwei Kinder mit dieser Diagnose sitzen. Experten gehen
davon aus, dass es tatsächlich deutlich weniger sind, etwa zwei bis
sechs Prozent - Jungen deutlich häufiger als Mädchen - sind nach
ihrer Einschätzung betroffen.

"Die Diagnose AD(H)S bedarf einer umfassenden Diagnostik. Dazu
gehören ausführliche Gespräche mit Eltern, Lehrern und Erziehern
sowie umfangreiche Untersuchungen. Es sollte immer abgeklärt werden,
ob die Symptome nicht andere Ursachen haben könnten. Wichtig ist,
dass die Störung im frühen Kindesalter festgestellt wird, in der
Regel vor dem sechsten Lebensjahr", erklärt Johannes Klüsener,
Psychologe bei der TK. Nur mit einer ausführlichen Diagnostik kann
die geeignete Therapie gefunden und kritisch überprüft werden, ob
voreilig Methylphenidat, auch bekannt als Ritalin, zum Einsatz kommt.

In der Umfrage bejahten vor allem jüngere Eltern sowie Familien in
Großstädten und Familien mit niedrigeren Einkommen die Frage nach
AD(H)S. Regional gehen die Familien sehr unterschiedlich mit dem
Thema um: In Bayern nehmen elf Prozent der Eltern bei ihrem Kind die
psychische Störung an, in Berlin, Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern ist dagegen gerade einmal ein Prozent der
Erziehungsberechtigten dieser Meinung.

Die TK verzeichnet eine deutliche Zunahme der an Kinder
verordneten Psychopharmaka. Immer mehr Kinder erhalten Methylphenidat
zur Behandlung von AD(H)S, das Arzneimittelvolumen ist in drei Jahren
um über 30 Prozent gestiegen. "Wir haben 2009 über neun Millionen
Euro für diese Medikamente ausgegeben. Statistisch gesehen hat mehr
als jedes zehnte Kind im letzten Jahr ein solches Präparat bekommen.
Das wirft die Frage auf, ob heute leichtfertiger mit so einem
Präparat für kleine Patienten umgegangen wird als früher", so
Klüsener.

Nach Ansicht der Psychologen gibt es nicht die eine Ursache für
die Entstehung von ADH(S). "Man kann davon ausgehen, dass
neurobiologische und psychosoziale Faktoren zusammenwirken", erklärt
Johannes Klüsener. "Offenbar bestimmen ererbte Faktoren das Risiko,
zu erkranken. Aber erst wenn ein Kind auf bestimmte Lern- und
Umweltbedingungen stößt, kann die Erkrankung ausbrechen.
Gesellschaftliche Veränderungen, andere familiäre Strukturen,
Bewegungsmangel oder Medienkonsum sind nicht die Ursachen von AD(H)S,
können aber den Verlauf beeinflussen." Die Forsa-Umfrage der TK
bestätigt dies: Fast jedes dritte Kind bekommt weniger als 90 Minuten
Bewegung am Tag (und darin sind der Schulweg und das Toben in der
Wohnung bereits eingerechnet), aber: Mehr als jedes dritte Kind sieht
mehr als eine Stunde fern, und 80 Prozent der Kinder sitzen täglich
an Computer oder Spielkonsole. "Fernsehen und Computer gehören zum
Alltag der Kinder und es ist für sie eine besondere Herausforderung,
diese Informationsfülle zu verarbeiten. Reizüberflutung und
Bewegungsmangel sind schädlich für alle Kinder, dies gilt aber in
besonderem Maße für Kinder mit einer Veranlagung oder einer bereits
bestehenden psychischen Störung", so Klüsener. "AD(H)S darf jedoch
nicht als schnelle Erklärung für ein anstrengendes Kind herhalten,
das sich nicht elterlichen, erzieherischen oder gesellschaftlichen
Normen entsprechend verhält. Nicht alles was auffällig ist, muss auch
krankhaft sein."

Bevor Medikamente wie Methylphenidat verordnet werden, muss
mittels ausführlicher Diagnostik ausgeschlossen werden, dass es sich
nicht um vorübergehende Entwicklungsstörungen der Sprache, des
Lesens, der Rechtschreibung oder des Sozialverhaltens handelt. Auch
organische und neurologische Erkrankungen wie Epilepsie können ganz
ähnliche Symptomatiken wie AD(H)S auslösen. Medikamente allein sind
noch keine Therapie; sie machen die Behandlung der betroffenen Kinder
oft überhaupt erst möglich. Und arzneimittelrechtlich sind sie
ausschließlich als Teil eines umfassenden Behandlungsprogramms
zugelassen - zum Beispiel in Verbindung mit psychotherapeutischen und
pädagogischen Maßnahmen. Anders herum gesagt: AD(H)S allein mit
diesen Präparaten zu behandeln, ist hierzulande verboten.

Zudem weiß man noch zu wenig über die Folgen einer langfristigen
Einnahme von Ritalin. Der TK-Experte rät zu einem vorsichtigen
Umgang: "Bei sehr ausgeprägter Symptomatik sind Präparate mit
Methylphenidat wie Ritalin das Mittel der Wahl. Die Symptome werden
schnell gelindert, im akuten Fall lassen sich zum Beispiel ein
Schulwechsel verhindern oder eine extrem angespannte familiäre
Situation entlasten. Dies kann aber nur der Anfang einer Therapie
sein. Die Betroffenen müssen lernen, mit den Symptomen umzugehen,
denn bei bis zur Hälfte der Kinder bleiben diese bis ins
Erwachsenenalter bestehen."

Hinweis für die Redaktionen:

Weitere Informationen rund um das Thema psychische Gesundheit
enthält die Februar-Ausgabe des TK-Medienservice "Kranker Kopf - oder
kranke Gesellschaft", der unter www.presse.tk-online.de zum Download
steht.

Originaltext: TK Techniker Krankenkasse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6910
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_6910.rss2

Pressekontakt:
Michaela Hombrecher
Tel. 040 - 6909 -2223, Fax 040 - 6909 - 1353,
E-Mail: michaela.hombrecher@tk-online.de


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