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Stellungnahme von Patricia Riekel zu den Vorwürfen von Renate Künast (Kompletter Brief auch hier: http://www.burda-news.de )

Geschrieben am 02-03-2010

München (ots) - Sehr geehrte Frau Künast,

Sie haben in den vergangenen Tagen einen Brief verbreitet, in dem
Sie uns verallgemeinernde Vorhaltungen machen. Sie stützen sich dabei
auf eine höchst fragwürdige Veröffentlichung und verkennen zudem die
Aufgabe der Presse. Zu unserer journalistischen Aufgabe gehört durch
Berichte über Politiker zur Meinungsbildung beizutragen, dazu gehört
auch die Aufdeckung von Diskrepanzen zwischen dem gewünschten Image
eines Politikers und seinem tatsächlichen Verhalten. Das
Sozialverhalten von Leitfiguren ist ein Thema für die Gesellschaft.

Ihnen als aufmerksamer Zeitgenossin ist sicher nicht entgangen,
dass in der amerikanischen Demokratie die Wähler von den Medien
sorgfältig und detailliert über das persönliche und private Verhalten
ihrer politischen Kandidaten informiert werden. Auch bei uns in
Deutschland haben die Öffentlichkeit und insbesondere die
potenziellen Wähler ein Anrecht auf gründliche Informationen über die
Politiker, die mit großem Aufwand an Selbstdarstellung um Vertrauen
werben, weil sie die Gesetze und Regeln unseres Zusammenlebens
bestimmen möchten. Sie gehören zu den Leitfiguren und Vorbildern
unserer Gesellschaft. Zu den Aufgaben der Presse gehört es, zu
überprüfen und auch zu recherchieren, ob sie das Vertrauen verdienen,
um das sie uns alle bitten. Eine große Zahl von Politikern erfüllt
diesen Anspruch der Vorbildfunktion, weil ihre tatsächliche Haltung
in der Öffentlichkeit mit ihrem Privatleben übereinstimmt.

Wenn uns aber Hinweise und Informationen erreichen, dass Politiker
die Öffentlichkeit und die Wähler in moralischer Hinsicht täuschen
oder möglicherweise Beispiel gebend in Beziehung oder Privatleben
Maßstäbe setzen, die zu gesellschaftlichen Diskussionen führen,
werden wir dies recherchieren.

Wenn Spitzenpolitiker sich von ihrer 4. Frau scheiden lassen, wenn
Spitzenpolitiker eine 40 Jahre jüngere Frau heiraten, wenn
Spitzenpolitiker Freundinnen in höhere Ämter befördern - auf
Steuerkosten - wenn Spitzenpolitiker ein Alkoholproblem haben, wenn
Spitzenpolitiker im Wahlkampf ihre angeblich intakte Familie
vorweisen, während sie gleichzeitig in einer langjährigen
Nebenbeziehung leben, dann liefern sie durch ihren Lebensstil
gesellschaftlichen Diskussionsstoff. Es ist korrekter Journalismus,
solchem und ähnlichem Verhalten von Politikern nachzugehen. Wenn sich
die Informationen nicht bestätigen oder sich nicht verifizieren
lassen, berichtet BUNTE nicht.

Im Gegensatz zu Ihrer Entrüstung fühlen wir uns bei korrekter
Recherche auch im Recht. Sie haben sich in Ihrem Schreiben auf den
Kodex des deutschen Presserates berufen. Dabei haben Sie aber die
rechtliche Situation nur oberflächlich wahrgenommen. Als Juristin
sind Sie sicher daran interessiert, Ihre Erkenntnisse zu vertiefen.
Das ist leicht möglich, da sich höchste Gerichte mit der Thematik
beschäftigt haben.

Wer behauptet, die Medien dürften über das Privatleben von
Politikern überhaupt nicht oder nur bei Auswirkungen auf die
"Amtsführung" berichten, blendet sozialwissenschaftliche Erkenntnisse
aus und hat auch die Position des Bundesverfassungsgerichts nicht
verstanden. Nach dessen Rechtsprechung darf generell - auch bei
Nicht-Politikern - aus dem Privat- und Alltagsleben prominenter
Personen berichtet werden, wenn dies der Meinungsbildung zu Fragen
von allgemeinem Interesse dienen kann. Prominente Personen können
auch Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild-
oder Kontrastfunktionen erfüllen. Diese Erkenntnis hat das
Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1999 in seiner ersten
"Caroline"-Entscheidung formuliert (Beschluss vom 15.12.1999,
abgedruckt in NJW 2000, 1921), und es hat sie im Jahr 2008 bekräftig
(Beschluss vom 26.02.2008, abgedruckt in NJW 2008, 1793).

Selbstverständlich bleibt die Intimsphäre absolut geschützt. Die
erfasst aber nur den innersten Bereich. Beziehungen, Partnerschaften,
Trennung und Scheidung mögen privat sein, aber zur Intimsphäre
gehören sie nach der völlig einhelligen Auffassung der Juristen
nicht. Wenn "nur" der Privatbereich betroffen ist, dann muss im
Rahmen einer Abwägung das Informationsinteresse im Verhältnis zu
kollidierenden Persönlichkeitsrechten gewichtet werden, denn die
Privatsphäre genießt ihrerseits einen verfassungsrechtlich verbürgten
Schutz. Bei Politikern ist der aber nicht ausgeprägt. Selbst der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in dieser
Konfliktsituation ein gesteigertes Informationsinteresse der
Öffentlichkeit hinsichtlich politischer Akteure an, wobei nicht nur
die Amtsführung, sondern auch Aspekte des Privatlebens betroffen sein
können. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Beschluss vom
26.02.2008 (Randnummer 99) präzise dargestellt und bestätigt.

Es ist unverständlich, dass sich nun Journalisten und Politiker
darin überbieten, diese Einsichten der Rechtsprechung und
Rechtswissenschaft über Bord zu werfen. Vor allem die soziologischen
Erkenntnisse des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, über welche
Themen öffentliche Meinungs- und Wertebildung funktioniert, sind
unwiderlegt. Wer heute fordert, die Bevölkerung solle ihre
Wahlentscheidung gefälligst anhand der Parteiprogramme treffen und
sich für die Persönlichkeiten, die zur Wahl stehen, nicht
interessieren, argumentiert an der vom Politikbetrieb selbst
geschaffenen Realität vorbei. Von der CSU bis zu den Grünen,
praktisch alle Spitzenpolitiker wollen "menschlich" wahrgenommen
werden und präsentieren sich entsprechend, auch in BUNTE.

Auch der Bundesgerichtshof hat in zwei jüngeren Entscheidungen
(Urteil vom 24.06.2008, abgedruckt in NJW 2008, 3134, sowie vom
19.05.2009, abgedruckt in GRUR 2009, 1089) ausdrücklich
ausgesprochen, dass sogar das Privatleben ehemaliger Spitzenpolitiker
(Heide Simonis, Joschka Fischer) zulässiger Gegenstand von
Berichterstattung ist, obwohl hier Auswirkungen auf die Amtsführung
gar nicht mehr eintreten konnten. Maßgeblich war die
Leitbildfunktion, die mit dem Rückzug aus der aktiven Politik nicht
entfiel. Deshalb durfte BUNTE ein Foto der Villa zeigen, die sich der
ehemalige Hausbesetzer Joschka Fischer als Alterssitz ausgesucht
hatte. Auch hier ist die Rechtsprechung offenbar vielen voraus, die
sich jetzt zu Wort melden: Sie hat verstanden, dass politische
Meinungsbildung ein komplexer Prozess ist, in dem auch der Übergang
verdienter Politiker in den Ruhestand Auswirkungen auf zukünftige
Präferenzen haben kann.

Ein zusätzlicher Gesichtspunkt, der in der Abwägung für die
Zulässigkeit von Berichten spricht, ist natürlich, wenn der
betreffende Politiker sein Privatleben selbst geöffnet hat, etwa im
Wahlkampf oder zur Imagepflege. Mit zunehmender Personalisierung von
Politik bestimmen private Verhaltensweisen stets über Sympathie oder
Antipathie und damit häufig über Wahlentscheidungen mit, so dass ein
grundlegendes berechtigtes Informationsinteresse hieran besteht.

Seit Jahren arbeitet BUNTE, wie andere Verlage auch, mit freien
Fotojournalisten zusammen, unter anderem mit der Berliner Foto- und
Presseagentur CMK. Bei der Auswahl dieser Agentur haben wir die
angemessene journalistische Sorgfaltspflicht gewahrt. Die Agentur
genoss in der Medienlandschaft einen anerkannten Ruf. Es gab
keinerlei Hinweise auf unseriöse Methoden. Deswegen haben alle
namhaften Verlage (u.a. Gruner+Jahr, Springer) mit ihr
zusammengearbeitet. Sollte einer der erhobenen, aber bislang
unerwiesenen, Vorwürfe jedoch zutreffen, würden wir uns von der
Agentur distanzieren.

Zusammenfassend erkläre ich Ihnen hier noch einmal: Politiker
werden durch die Medien kontrolliert. Das umfasst auch die
Privatsphäre der Politiker, wie es vom Bundesverfassungsgericht klar
definiert wird. So ist das in der Demokratie. Diese Kontrollfunktion
der Presse lässt sich die BUNTE, aber auch die gesamte deutsche
Presse, nicht von Ihnen nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Patricia Riekel

cc: per E-Mail

Die Fraktionsvorsitzenden des Bundestags

Die Parteivorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien

Bundesjustizministerium

Die Ministerpräsidenten und regierenden Bürgermeister

OB-Büros von Stuttgart, FFM, München, Köln

Deutscher Presserat

IG Medien

DJV plus Landesverbände

VDZ plus Landesverbände

Medienausschuss im Bundestag

Medienressorts von TZs und Zeitschriften

Medienfachpresse

Politikressorts von TZs und Zeitschriften

Anhang:

Anhang 1: Titelgeschichte Stern 33/2007 "Ehefrau oder Geliebte.
Der Fall Seehofer, Verheugen, Wulff, Schröder... Es ist nun einmal
so, dass viele Männer neben ihrer Ehe auch noch ein Privatleben
führen. Blöd nur, wenn´s auffliegt." (Anfragen hierzu richten Sie
bitte an Hubert Burda Media direkt)

Anhang 2: BUNTE-Interview mit Prof. Ladeur.

Der Jura-Professor Karl-Heinz Ladeur, ein anerkannter Experte auf
dem Gebiet des Persönlichkeitsrechts, erklärte BUNTE 2007 in einem
Interview (Heft 37/2007, S. 104):

Frage: Das heißt also: Ein Politiker, der sich wählerwirksam mit
seiner Ehefrau vor die Kamera stellt, muss es hinnehmen, dass
berichtet wird, wenn diese Fassade Brüche bekommt?

Antwort: Genau. Man kann sogar noch weitergehen. Auch Politiker,
die ihr Privatleben nicht in dieser Weise einsetzen, müssen
hinnehmen, dass über ihre Privatsphäre berichtet wird. Denn das hat
immer eine Bedeutung auch für die Öffentlichkeit. Also auch für das
Ansehen des Politikers in Wahlen, selbst wenn er das nicht funktional
zur Politikwerbung einsetzt.

Frage: Ist es für die Demokratie wichtig, dass Privates über
Politiker berichtet wird?

Antwort: Ich denke schon. Grundsätzlich ist das richtig, weil die
Wähler natürlich auch immer davon ausgehen müssen, dass Politiker ein
bestimmtes Image von sich erzeugen. Dann ist es sinnvoll, dass
darüber berichtet wird. Das Alltagsleben von Politikern ist schon für
sich genommen ein Gegenstand des öffentlichen Interesses. Es gilt der
Satz: "Das Private ist politisch." Die Öffentlichkeit verändert sich.
Es gibt einfach nicht mehr diese starre Trennung zwischen Privatem
und Öffentlichem wie in der Vergangenheit.

Frage: Genießen Politiker einen besonderen Schutz der
Privatsphäre?

Antwort: Nein. Gerade im Gegenteil. Der Schutz der Privatsphäre
ist bei Politikern aufgehoben, außer z. B. in ihrer Wohnung oder
sonst in einem abgetrennten Intimraum. Aber wenn sie sich privat in
der Sozialsphäre bewegen, da genießen sie keinen besonderen Schutz.

Kompletter Bief auch hier: http://www.burda-news.de

Originaltext: Hubert Burda Media
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/21615
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_21615.rss2

Pressekontakt:
Nikolaus von der Decken

Konzernsprecher
Leiter Konzernkommunikation

Konzernkommunikation
Hubert Burda Media

Arabellastraße 23
D-81925 München

Fon: +49 (0) 89/92 50-2575
Fax: +49 (0) 89/92 50-2745
Mobil: 0172 77 59 100

E-Mail: decken@burda.com
http://www.hubert-burda-media.de
http://www.burda-news.de


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