Südwest Presse: Kommentar zur Sauerland-Gruppe
Geschrieben am 04-03-2010 |
Ulm (ots) - Im Namen Allahs wollten sie töten, im Namen des Volkes sind die als Sauerland-Gruppe bekannt gewordenen vier Islamisten jetzt zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Nach zehn Monaten und 66 Verhandlungstagen ist gestern in Düsseldorf einer der größten Terrorprozesse in der Geschichte Deutschlands zu Ende gegangen. Vorbei ist damit aber noch lange nichts. Weder ist der religiöse Fanatismus überwunden noch der weit verbreitete Irrglaube, die Religion anstelle des Verstands setzen zu dürfen. Zweifel sind auch bei den Verurteilten angebracht, deren reumütig vorgetragenen Geständnissen ein wenig die Überzeugungskraft fehlt. Etwa bei dem aus Ulm kommenden Rädelsführer Fritz Gelowicz, der vor Gericht einen wohlerzogenen, durchaus feinsinnigen und wortgewandten Eindruck gemacht hat. Seit der Verhaftung seiner Ehefrau vor nicht einmal zwei Wochen aber drängt sich ein Fragezeichen hinter seine Glaubwürdigkeit. Nur wenige Wochen, nachdem er sich öffentlichkeitswirksam von den Terrorplänen und der Dschihad-Union losgesagt hatte, soll seine Ehefrau für eben jene Organisation Geld gespendet haben, in deren Auftrag ihr Mann hundertfach den Tod nach Deutschland bringen wollte. Möglicherweise hat sich die junge Frau von ihrem Mann losgesagt und im Kampf gegen den verhassten Westen verselbstständigt. Möglicherweise aber führt sie auch nur fort, wozu ihr Gatte durch dessen Inhaftierung nicht mehr imstande ist - die in diesem Fall erst am Anfang stehenden Ermittlungen werden es zeigen müssen. Ungeachtet dieser aktuellen Vorfälle, war der aufwändige und vom Vorsitzenden Richter Otmar Breidling brillant geführte Mammutprozess jede Minute wert. Wie bei einer Literaturveranstaltung konnte das Publikum von der ersten Reihe aus den vier Antihelden auf der Anklagebank in die dunkle Welt des Terrorismus folgen. In eine Welt jugendlichen Eigensinns und gefährlichen Eifers, die bei allem Zufälligen und Provisorischen beinahe blutige Realität geworden wäre. Erschreckend, wie kategorisch die vier jungen Männer ganz offenkundig ihr einziges Lebensheil darin sahen, Menschen zu töten, die ihnen im Namen der Religion zu Feinden gemacht worden sind. So todbringend die vier Buben von nebenan manipuliert wurden, das Bild vom weltumspannenden Terrornetzwerk bedarf bei aller Brisanz eines neuen Anstrichs. Seit dem Prozess wissen die Dienste viel über die Radikalisierung junger sinnsuchender Menschen in deutschen Moscheen und auch, wie sie in Sprachschulen verschiedener arabischer Länder auf Linie gebracht werden. Die Vorstellung aber, dass der Weg in den Heiligen Krieg einer festen Struktur folgt, geht an der Realität vorbei. Monatelang saßen die kampfbereiten Gelowicz und Co. in Syrien fest, bevor sie in armseligen Lehmhütten im pakistanischen Hochland im Schießen und Bombenbauen ausgebildet wurden. Aber weder die Afghanen noch die Iraker wollten "nicht-arabische Kämpfer" an ihrer Seite haben. Und so wurde Deutschland nur zufällig zum Anschlagsziel - last minute und erst, als alles andere vergeblich versucht worden war. Das macht die ganze Geschichte nicht weniger gefährlich. Sie zeigt aber auf, wie unorganisiert der Terror ist und wie wenig letztlich die Chance besteht, diesen Nicht-Strukturen militärisch wirksam begegnen zu können. Menschen wie Gelowicz, Schneider, Yilmaz und Co. gelangen offenbar nur aus purer Abenteuerlust in den Dschihad. Wenn aber fehlgeleitete Bürgersöhnchen auf der Sinnsuche zufällig Terroristen werden, dann helfen auf Dauer weder die Rasterfahndung noch der hochgerüstete Polizeiapparat. Das menschliche Rätsel Terrorismus ist auch in diesem Prozess nicht aufgelöst worden.
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Pressekontakt: Südwest Presse Lothar Tolks Telefon: 0731/156218
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