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Berliner Morgenpost: Afghanistans Realitäten sind nicht zu leugnen - Leitartikel

Geschrieben am 16-04-2010

Berlin (ots) - Die Realität ist nicht länger zu leugnen.
Bestürzung und Trauer um immer mehr tote deutsche Soldaten in
Afghanistan dulden allen semantischen Verharmlosungsversuchen zum
Trotz keine Zweifel mehr, in welchen Einsatz die Bundeswehr geschickt
worden ist: in einen kriegerischen. Das haben auch alle
Bundestagsabgeordneten einschließlich der 113 Sozialdemokraten samt
deren Parteivorsitzendem Sigmar Gabriel gewusst, die im Februar für
die Verlängerung des Afghanistan-Mandats gestimmt haben. Der sieht
wegen der kriegerischen Lage am Hindukusch ausdrücklich
Kampfeinsätze, auch offensive, vor. Mit allen Risiken für Leib und
Leben der Soldaten. Wer von den "Ja-Sagern" die Realitäten vor Ort
jetzt ebenso verdrängt wie den erst vor zwei Monaten erneuerten
Auftrag, mit dem die Soldaten in den Kampf gegen die Taliban
geschickt werden, setzt sich dem Verdacht der Heuchelei und des
politischen Opportunismus aus.
Was die Soldaten - wenn sie denn schon an die Front geschickt werden
- brauchen, sind moralische Rückendeckung und Solidarität nicht
allein in der Stunde von Not und Tod. Wie eine Selbstverständlichkeit
gehört dazu die bestmögliche Ausrüstung. Warum mussten so viele von
ihnen sterben, ehe sich ein Verteidigungsminister dazu durchrang, die
Truppe mit schwereren Waffen auszurüsten? Endlich auch mit der
Panzerhaubitze 2000 als weitreichender Präzisionswaffe? Aber noch
immer kann der ersehnte Kampfhubschrauber Tiger nicht geliefert
werden, weil die Rüstungsbürokratie im ministeriellen Wasserkopf
bislang außerstande ist, den Tauglichkeitsstempel auf das
Rüstungsprojekt zu drücken.
Wie realitätsresistent sich die Bürokaten selbst gegenüber den
menschlichen Schicksalen zeigen, offenbart der Umgang mit vielen
verletzten und traumatisierten Soldaten. Dass diese Opfer des
Kriegseinsatzes oft jahrelang und häufig vergeblich um die
Anerkennung ihrer Wehrdienstbeschädigung kämpfen müssen, ist
skandalös. Die hehren und mitfühlenden Reden etwa des
Bundesverteidigungsministers oder der Bundeskanzlerin kommen in
diesem Zusammenhang - auch wenn auf ganz andere Weise - ebenfalls
einer Realitätsverweigerung gleich. Ein verantwortlicher Minister
sollte schon wissen, wie seine Soldaten medizinisch und
posttraumatisch behandelt oder später mit Dauerbehinderungen in der
Bundeswehr weiterbeschäftigt werden. Das darf nicht Beamten
überlassen bleiben, die weiter in den Strukturen vergangener
Kalter-Kriegs-Zeiten arbeiten.
Auch dieser vom Wehrbeauftragten Reinhold Robbe leider erst am Ende
seiner Dienstzeit so markant öffentlich gemachte schier unglaubliche
Umgang mit leidenden Soldaten unterstreicht, wie dringlich die von
Karl-Theodor zu Guttenberg eingesetzte Expertenkommission ist. Sie
soll Vorschläge zur Umorganisation auch der Ministerialbürokratie
erarbeiten, um diese endlich einer Armee im Einsatz anzupassen. Dass
Guttenberg dabei zur Eile drängt, mag von schlechtem Gewissen zeugen,
lässt aber hoffen. In acht Monaten will er Ergebnisse sehen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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