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Berliner Morgenpost: Köhlers Zwang zum Unbequemen - Leitartikel

Geschrieben am 15-05-2010

Berlin (ots) - Zurzeit gehen die Einladungen raus zum
bedeutendsten Sommerfest der Berliner Republik. Der Bundespräsident
und seine Gattin Eva Luise laden Anfang Juli zum Sommerfest in den
Garten vom Schloss Bellevue. Ein Hauch von Ascot weht zwischen
Tabletts voller Schaumwein und bemerkenswert gutem Musikprogramm.
Horst Köhler schreitet und guckt und plaudert wie ein guter Onkel
umher. Und hinterher freuen sich alle über den Regenschirm mit
Präsidenten-Logo, eine der begehrtesten Trophäen der Hauptstadt.
Dieses Jahr allerdings dürfte ein wenig mehr und respektloser
getuschelt werden hinter dem Rücken des Staatsoberhaupts. Denn Köhler
hat zuletzt überzogen mit seinen Stellungnahmen, die bisweilen einer
mathematischen Formel zu folgen schienen: Zu welchem Aufregerthema
lässt sich maximal Volksnahes sagen? Dabei gelangen dem Präsidenten
nicht nur intellektuelle Höhenflüge: Sind allein Spekulanten
Verursacher von Griechenlands Krise? Oder gingen der Zinsjagd nicht
ein paar reale Versäumnisse voraus? Sind nur die Finanzmärkte
Monstren oder auch die Anleger mit ihrer Renditejagd? Muss der
Präsident sich wirklich zu Spritpreisen oder einer durch die
Tagespolitik taumelnden Koalition äußern? Wann kommentiert Köhler
Löws Aufstellung, die Causa Kachelmann oder "Germany's next
Topmodel"? Zuletzt stellte Köhler fest, dass Parteien, Parlamente und
Regierungen an Ansehen verloren haben - ein zu simpler Siegpunkt.
Derlei Immerstimmer sind Wirtschaftsminister Brüderle vorbehalten,
dem Rekordhalter im Produzieren von Öffentlichkeitsmüll. Nickt das
ganze Volk zustimmend, liegt der Verdacht nahe, der "unbequeme
Präsident", der er sein will, habe es sich inmitten des Mainstreams
bequem gemacht. Ist es nicht viel eher Pflicht des Staatsoberhaupts,
auch mal gegen den Strom zu arbeiten? Andererseits hat es Köhler so
schwer wie kaum einer seiner Vorgänger. Wie schon Johannes Rau leidet
er am Weizsäcker-Herzog-Trauma. Der eine hielt eine global beachtete
Rede zum Kriegsende, der andere inszenierte mit gutem Gespür für die
richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt seine legendäre Ruckrede. Bei
Köhler kommt das Instrumentalisierungs-Trauma hinzu. Bereits 2005
erklärte Guido Westerwelle, wie brillant er und Angela Merkel es
angestellt hatten, Köhler ins Amt zu hieven. Deutlicher als je zuvor
wurden damals das Amt und sein Inhaber desavouiert. Die Botschaft
lautete: Von wegen Wahl, von wegen Staatsoberhaupt - zwei Parteichefs
haben undemokratisch entschieden und quasi eine Marionette
installiert. Ausgerechnet Josef Ackermann führt dem Bundespräsidenten
nun auch noch vor, wie Relevanz geht. Mit seinen Einlassungen zur
Euro-Krise bekam der Chef der Deutschen Bank, wonach Köhler
vergeblich dürstet: Aufmerksamkeit, Debatte, bisweilen sogar Respekt
für schonungslose Offenheit. Vor allem hat Ackermann dem Präsidenten
eines voraus: Er ist wirklich unbequem.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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