Westdeutsche Zeitung: Warum ein Grand-Prix-Sieg uns allen ungemein gut tut - Frisch, charmant und selbstironisch Von Martin Vogler =
Geschrieben am 30-05-2010 |
Düsseldorf (ots) - Fröhliche Menschen tanzen auf den Straßen und
schwenken scharz-rot-goldene Fähnchen. In den Wohnzimmern knallen
Sektkorken, und Fernsehsender wirbeln ihr Programmschema wegen
Lena-Sondersendungen durcheinander. Ist dieser Hype nicht heftig
übertrieben? Denn eigentlich hat nur eine 19-Jährige einen
Gesangswettbewerb gewonnen.
Falsch. Die Begeisterung ist nicht nur ansteckend, sondern
berechtigt. Immerhin musste Deutschland 28 Jahre auf einen
Grand-Prix-Sieg warten. Wichtiger: Die unverkrampfte Art, mit der die
Siegerin und ihr Team auftreten, fasziniert ganz Europa. 76 Punkte
Vorsprung und die breite Streuung der neun Länder, die die legendären
"twelve points" vergaben, beweisen das. Charme und Frische
überzeugen. Auch wenn harte Arbeit dahinter steckt, beeindruckt, dass
Lena stets ein wenig selbstironisch rüberkommt. Vor allem damit
schafft sie es, als Symbolfigur das europaweite Deutschland-Bild
sensationell ins Positive zu drehen. Spätestens seit der Nacht von
Oslo finden uns unsere Nachbarn nicht mehr nur fleißig, oft
überheblich und verbiestert, sondern entspannt, fröhlich und
sympathisch. Vor allem trauen sie uns jetzt zu, dass wir auch mal
über uns selbst lachen können.
Das ist wohltuend. Denn auch wenn deutsche Großmannssucht der ganz
üblen Art vor 65 ihr Ende fand, wirkt die Hypothek im Ausland
zumindest gelegentlich noch nach. Doch die unverkrampfte Art, wie
jetzt Millionen Lenas Sieg bejubeln, ist wohltuend anders. Vor
solchen fahnenschwenkenden Fans braucht in Europa niemand Angst zu
haben. Die wollen nur feiern. Was wir hoffentlich genauso bei der
bevorstehenden Fußball-WM in Südafrika erleben werden.
Und was wird aus Lena? Keine Bange. Der Starruhm und ihre wichtige
Rolle als Sympathie-Botschafterin für Deutschland wird ihr nicht zu
Kopf steigen. Denn im Gegensatz zu den unerträglichen, angeblichen
Superstars, die Fernsehsender massenhaft produzieren, hat sie das
Potenzial zur reifen Persönlichkeit. Falls sie nach dem Sieg noch
will, könnte sie, nicht nur wegen ihres Abiturs, auch eine
vielversprechende Karriere abseits des Showgeschäfts einschlagen. Als
abgetakelter C-Promi, der bei Kaffeefahrten auftreten muss, werden
wir sie wohl nie erleben.
Originaltext: Westdeutsche Zeitung
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