Neues Deutschland: zu Problemen der schwarz-gelben Koalition
Geschrieben am 08-06-2010 |
Berlin (ots) - Knapp 230 Tage nach ihrem Start hat die
schwarz-gelbe Koalition ihre Inneneinrichtung gründlich ramponiert,
ihre Umgebung bedroht sie mit herabstürzenden Trümmern. Sie hat die
Euro-Krise durch Zögerlichkeit verschärft und sich ein halbes Jahr
lang über eine Steuersenkungs-Marotte der FDP gezankt. Ihre erste
Testwahl in Nordrhein-Westfalen endete für die CDU mit einem Absturz.
Zwischen CSU und FDP herrscht eiskalter Wortkrieg. Der
Bundespräsident ist den Konservativen Hals über Kopf von der Fahne
gegangen und mit ihrer Entscheidung für Christian Wulff als Kandidat
für seine Nachfolge hat Angela Merkel nahezu im Alleingang einen
Ausweg beschritten, der sich für sie noch als böse Falle erweisen
könnte. Nun das bis 2014 reichende 80-Milliarden-Sparpaket: ein
schwerer Affront, der die Gesellschaft weiter spaltet. Mit großen
Schippen entledigt sich Schwarz-Gelb sozialer Staatspflichten,
unterhöhlt die ohnehin schmaler gewordene Basis einer verträglichen
Einkommensarchitektur bis zur Einsturzgefahr. Hartz-IV-Empfängern
wird das Elterngeld gestrichen, Langzeitarbeitslosen der
Rentenversicherungsbeitrag, Wohngeldempfängern der
Heizkostenzuschuss. Um fünf Milliarden Euro, fast die Hälfte der für
kommendes Jahr geplanten Einsparungen, sollen die Sozialausgaben
bluten - mit allen negativen Wirkungen auch für die kommunalen
Haushalte. Aus den prallen Taschen der Wohlhabenden zu nehmen, etwa
durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, eine stärkere
Besteuerung großer Erbschaften und andere Vermögensabgaben, fiel
dieser Regierung nicht ein. Angebliche Ausgewogenheiten erweisen sich
bei näherem Hinsehen als Pappkameraden. So etwa die
Brennelementesteuer: Falls sie nicht ohnehin an die Verbraucher
durchgereicht wird, begrenzt sie allenfalls die Extraprofite, die die
Energiekonzerne durch die Bewilligung längerer Laufzeiten ihrer
Atomkraftwerke einstreichen werden - was zudem ein umweltpolitischer
Rückwärtsgang ist. Selbst an der eigenen Basis - dort, wo die Union
noch in Berührung mit dem Alltag ist - wird das schwarz-gelbe
Programm nicht nur heimlich als ungerecht empfunden. Und auch die
konservative und liberale Presse fächert Gegenwind. Das Sparpaket sei
»kein großer Wurf«, meint »Die Welt«, die Koalition zeige sich »ohne
Idee«, es gebe »nichts, was diese Regierung auf nationaler Ebene
bisher vorzuweisen hätte«, die Süddeutsche. Die FAZ sieht
Schwarz-Gelb »mit dem Rücken zur Wand«, rät aber zum Durchhalten und
empfiehlt einen »Neustart der Koalition«. Indes drängen sich
zunehmend gegenteilige Fragen auf: Kann diese schwarz-gelbe Koalition
die Regierungsmacht behaupten? Oder zugespitzter: Wer stürzt Frau
Merkel? Und was folgt auf Schwarz-Gelb? Die Opposition - SPD, LINKE
und Grüne - hat lange mit unterschiedlicher Tonstärke prophezeit,
dass nach der NRW-Wahl die Grausamkeiten kommen würden. So richtig
vorbereitet auf das, was sich nun zeigt, scheint sie dennoch nicht zu
sein. Hätte die SPD in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit einer
ersten rot-grün-roten Landesregierung im Westen nicht so absichtsvoll
und gedankenlos verworfen, gäbe es jetzt eine starke Bastion, von der
aus Schwarz-Gelb an seine Grenzen herangeführt werden könnte - durch
ein soziales wie politisches Reformbündnis, das dem Land eine
glaubwürdige Alternative sichtbar machen würde. Daran ist aber auch
im Bund seit der Septemberwahl nicht gearbeitet worden. Wenn den
Ankündigungen der Gewerkschaften, sozialen Verbände und von allerlei
Graswurzel-Bewegungen tatsächlich größere Protestaktionen folgen
sollten, organisiert oder in vorauseilender Spontaneität, wird ihnen
vorerst und absehbar nur ein in seiner Zielsetzung unkoordiniertes
Spektrum politischer Opposition zur Seite stehen. Diese Sachlage
neigt eher zu Planspielen, ob eine - wie vormals - Große Koalition
von Union und SPD das begonnene Vorhaben nicht etwas abgemildert
besser schaukeln könnte. Eine Amtsgarantie für die jetzige
Regierungschefin ist die derzeitige Zielarmut der Opposition jedoch
nicht. Es sind zu viele Dinge im Fluss. Außer von der politischen
Konkurrenz wird auch im schwarz-gelben Lager selbst mit den Füßen
gegen die Bundeskanzlerin gescharrt. Und es sind nicht selten die
Nebenfronten, an denen ein Durchbruch gewagt wird. Eine solche - für
die sozialen Zustände und die Krisenlage in diesem Land eigentlich
unbedeutende - Nebenfront hat sich durch den Abgang von
Bundespräsident Horst Köhler eröffnet. Scheitert Merkels Kandidat
Christian Wulff gegen den von einer starken Medienmacht protegierten
Kandidaten von SPD und Grünen, wäre dies das Aus für die Kanzlerin.
Ebenso, wenn ihr Kandidat, um der Ungewissheit des Wahlausgangs zu
entgehen, noch rechtzeitig die Flucht nach vorn antritt. Merkels
Perspektive hängt derzeit mehr vom Chaos-Kalkül im eigenen Lager als
von einer klug handelnden Opposition ab. Diese müsste sich weniger
als Solisten erproben und mehr die Instrumente für ein großes Konzert
stimmen - den sozialen und politischen Machtkampf mit Schwarz-Gelb.
Originaltext: Neues Deutschland
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