LVZ: Leipziger Volkszeitung zu Söder/Hartz IV
Geschrieben am 27-08-2006 |
Leipzig (ots) - Populismus Von THILOBOSS Man kann eigentlich schon danach die Uhr stellen. Immer im Sommer, wenn die innenpolitische Lage relativ ruhig ist, dann kommen die ungewöhnlichen, ja skurrilen Vorschläge. Früher sind es die Sozialhilfeempfänger gewesen, die zu Aufräumarbeiten an die Hochwasser-Front in die neuen Bundesländer nach der Jahrhundert-Flut geschickt werden sollten. Dann die Idee, Langzeitarbeitslose mit Graffiti beschmierte Brücken auf Hochglanz polieren zu lassen. Jetzt sollen sie nach Vorschlag von Aufbau-Ost-Minister Wolfgang Tiefensee als unbewaffnete Sheriffs im öffentlichen Nahverkehr patrouillieren. Und wenn sich CSU-Generalsekretär Markus Söder durchsetzt, gibt es demnächst auch keine Befreiung für Hartz-IV-Empfänger von der Meldepflicht mehr - oder ihrem Urlaub, wie es der Christsoziale provokant formuliert hat. Fehlt jetzt eigentlich nur noch der Vorschlag zur Zwangsverpflichtung für die Reinigung der öffentlichen Toilettenhäuschen. Das aber traut sich niemand, weil die inzwischen meistens privatisiert sind. Die Berliner Wall AG etwa macht damit ein gutes Geschäft und füllt auch noch die Steuerkassen. Nun unterscheiden sich Söders und Tiefensees Vorschlag nochmal deutlich voneinander: Während der Bayer schlicht auf eine Verschärfung der Hartz-Gesetze abzielt und durch die Hintertür ein Schmarotzer-Image vermittelt, könnte der Vorschlag des Sachsen wohlwollend betrachtet auch dahingehend interpretiert werden, Langzeitarbeitslose durch eine sinnvolle Tätigkeitin das Erwerbsleben wieder einzugliedern. Das wiederum ist es, was im Kern beide Vorschläge gemein haben, ob mit der Brechstange oder mit sanftem Druck: Als Gegenleistung für die von der Gesellschaft gezahlten Sozialtransfers sollen die Leistungsbezieher arbeiten. Dies aber mit Bus-Patrouillen erreichen zu wollen, darf getrost unter die Rubrik Populismus abgelegt werden. Weit über vier Millionen Arbeitslose gibt es in diesem Land, viele ohne Aussicht auf einen Job. Daran ändern auch schärfere Hartz-Gesetze nichts. Dieses Märchen hat schon die Regierung Schröder in die Welt gesetzt. Glauben zu machen, die Mehrzahl der Langzeitarbeitslosen sei Drückeberger, ist genau so falsch und unaufrichtig wie zu leugnen, dass es nach wie vor Missbrauch gibt. Die Sozialleistungen in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Industriestaaten immer noch spitze. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Des Pudels Kern liegt aber woanders und wird durch die von Söder und Tiefensee ausgelöste Diskussion noch nicht einmal ansatzweise getroffen: In Deutschland gibt es im Niedriglohnbereich einfach zu wenig Stellen. Die Arbeit ist zu teuer, da die Lohnzusatzkosten viel zu hoch sind. Zusammen mit einer im kommenden Jahr abflauenden Konjunktur sind das die Themen, die auf der Agenda der großen Koalition stehen müssten. Nur über Strukturreformen, Steuererleichterungen und eine zusätzliche staatliche Stimulanz der Binnennachfrage kann dem entgegengewirkt werden und nicht durch ausgebildete Bus-Sheriffs.
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