WAZ: Jugendliche im geistigen Getto - Kommentar von Rolf Potthoff
Geschrieben am 29-08-2006 |
Essen (ots) - Schüler treten einen Mitschüler zusammen. Weil es Spaß macht. Damit es noch mehr Spaß macht, filmen sie es und versenden das Leiden des Opfers per Handy - ein Fall, der fassungslos macht.
Jugendpsychologen ordnen die maßlose Brutalität als Verhalten von "Unterschicht"-Jugendlichen ein. Das liegt nahe, weil sich soziale Probleme und Bildungsdefizite da so stark wie sonst nirgendwo bündeln. Doch dem haftet Diffamierendes an. Und es scheint auszuschließen, dass sich bei in behüteter Überfluss-Bürgerlichkeit aufgewachsenen Kindern aus bildungsbeflissenen Akademikerkreisen ähnliche Gewaltexzesse abspielen - auch da wird man sie finden.
Wovon also reden wir? Von einem Milieu - gleich welcher Schichtzugehörigkeit - in dem "cool" sein angesagt ist. In dem, wer Gefühle zeigt, als Schwächling gilt. Wo die Gruppe das Verhalten, die Regeln und Wertmaßstäbe prägt - was zumeist das Recht des Stärkeren ist. Es ist ein geistiges Getto, in dem auf Menschenverachtung und Krieg ausgelegte Filme und Videospiele die Vorbilder geben. Dass die Erosion familiärer Bindungen, dass Arbeits- und Perspektivlosigkeit die Verbreitung dieses gesellschafts-gefährdende Milieu fördern, versteht sich auf bittere Weise von selbst.
Was ist zu tun? Es gibt keine eindimensionale Lösung. Es liegt eine ungeheure Verantwortung auf Eltern, Lehrern, Politikern, Wirtschaftslenkern. Sie dürfen diese wert-orientierungslose Scheinwelt nicht länger ignorieren. Sie müssen wahrnehmen, dass es zu eskalieren droht. Sie müssen versuchen, diesen gefährlichen Teil der Jugendgesellschaft einzuengen. Aber dazu müssen sie selbst als Vorbilder wirken. Vorleben, dass sich das Leben in der realen Welt lohnt.
Es beginnt im Kinderzimmer. Wer es, um Ruhe zu haben, mit Fernsehgeräten und Gameboys ausstattet und sein Kind der Elektronik überlässt, hat Elternpflichten erbärmlich vernachlässigt. Und in zu vielen Familien wird die Weitergabe einfachster Regeln des Anstands versäumt, geschweige denn Respekt vermittelt vor dem Menschen, seiner Freiheit und Würde: Gerade auch die Werteerziehung ist Elternpflicht.
Jene Schläger sind eine Minderheit, nicht die Jugend ist schlecht. Man mag deren Verhalten mit ihrer womöglich schwierigen Lebenslage erklären. Es entschuldigt sie nicht. Was an (strafrechtlichen) Sanktionen möglich ist - sie müssen es spüren.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=55903 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_55903.rss2
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