WAZ: Der neue Bundespräsident - Ein Makel für Merkel, nicht aber für Wulff. Leitartikel von Ulrich Reitz
Geschrieben am 30-06-2010 |
Essen (ots) - Was ist ein Bundespräsident wert, der in der
Bundesversammlung drei Wahlgänge brauchte, um ins Amt zu gelangen?
Steht seine Präsidentschaft unter einer gewaltigen Hypothek, hat das
Staatsoberhaupt ein Legitimations-Defizit?
Es ist ratsam, von der aktuellen Dramatik nicht auf die
mittelfristigen Folgen für eine ganze Amtszeit zu schließen. Schon
morgen ist gestern vergessen. Das lehrt jedenfalls der Blick in die
bundesrepublikanische Geschichte. Und weshalb sollte es dieses Mal
anders sein als früher?
Gustav Heinemann brauchte 1969 drei Wahlgänge, um Präsident zu
werden. Das hinderte ihn später keineswegs daran, erfolgreich und
anerkannt über Parteigrenzen hinweg sein Spitzenamt auszuüben. Der
Sozialdemokrat Heinemann war der erste Bürger-Präsident.
Das gilt auch für Roman Herzog, der es 1994 ebenfalls erst im
dritten Anlauf schaffte. Er ist als Ruck-Präsident in die Geschichte
eingegangen. Seine Autorität hat nicht gelitten darunter, dass er
nicht auf Anhieb eine Mehrheit der Bundesversammlung hinter sich
brachte.
Auf eins kann man sich verlassen. Die Deutschen achten
Institutionen. Diese vermitteln ihnen politisch-gesellschaftliche
Stabilität. Der Bundespräsident ist eine solche, vielleicht die
allererste Institution. Das Volk hat bislang noch jeden
Bundespräsidenten geachtet und respektiert, völlig unabhängig von
seiner Parteizugehörigkeit.
Und bislang hat auch noch jeder Bundespräsident am Ende vergessen,
welcher Partei oder Koalition er letztendlich sein Amt verdankt.
Bisweilen unbequem für den jeweiligen Kanzler waren, jeder auf seine
Weise, fast alle Bundespräsidenten.
Vielleicht ist Christian Wulff nicht so inspirierend wie Joachim
Gauck. Vielleicht ist sein politisches Leben stromlinienförmiger
verlaufen. Ein westdeutsches Normal-Spitzenpolitiker-Leben halt.
Geprägt von der langjährigen Zugehörigkeit zur CDU.
Aber jetzt fängt für ihn ein neuer Lebensabschnitt an. Es gelten
neue Spielregeln. Und er wird für sich ein neues politisches Drehbuch
schreiben. Immerhin zieht jetzt eine fröhliche, noch vergleichsweise
junge Patchwork-Familie ein ins Schloss Bellevue. Wulffs
intelligente, attraktive Frau Bettina wird ständig Bilder liefern für
die Medien. Alles das fügt sich zu einer Premiere, die das ganze Land
ein Stück weit verändern, modernisieren wird.
Originaltext: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
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