Forcierter Abbau von Steinkohlesubventionen - Lehren aus Großbritannien
Geschrieben am 04-09-2006 |
Essen (ots) - In der Debatte über die deutsche Steinkohle wird in Nordrhein-Westfalen behauptet, dass Ängste vor drohender zusätzlicher Arbeitslosigkeit in den Bergbauregionen bei stärkerer Reduzierung der öffentlichen Steinkohlehilfen unbegründet seien. Bei einem forcierten Abbau der Steinkohlesubventionen könne der regionale Strukturwandel schneller vorangetrieben werden, die Arbeitsplatzverluste wären demnach bald ausgeglichen. Deshalb, so die (voreilige) Schlussfolgerung, hätte ein beschleunigter Abbau der Steinkohlesubventionen keine dauerhaften Arbeitsmarktprobleme zur Folge. Sowohl die anhaltende Massenarbeitslosigkeit hierzulande als auch die Erfahrungen mit drastischen Anpassungsprozessen in anderen Kohleländern wie etwa Großbritannien sprechen für das Gegenteil. Denn dort konnten die Arbeitsplatzverluste im Bergbau selbst in 20 Jahren nicht kompensiert werden, wie eine britische Studie belegt.
Hinzu kommt, dass die britischen Arbeitsmärkte flexibler sind als die deutschen. Für deutsche Bergbauregionen wäre bei ähnlichen kohlepolitischen Rezepten eher mit noch größeren Schwierigkeiten zu rechnen.
Solche empirischen Erkenntnisse werden von manchen deutschen Wirtschaftsforschern völlig ignoriert. In Großbritannien selbst sind diese Erfahrungen dagegen wissenschaftlich aufgearbeitet worden.
Regionalpolitische Debatten über die Zukunft der deutschen Steinkohle sind schon deshalb schief, weil sie die energie- und technologiepolitische Funktion der Steinkohlehilfen ausblenden. Mit den Beihilfen wird eine Mindestproduktion bewahrt, die das Tor zu den inländischen Steinkohlenlagerstätten - der bei weitem größten nationalen Energierohstoffreserve - offen hält und die die Abhängigkeit von risikoreicheren Energieimporten begrenzt. Auch wird dem international führenden deutschen Bergbaumaschinenbau die heimische Absatz-, Entwicklungs- und Referenzbasis erhalten. Doch auch rein regionalpolitisch wäre ein verschärfter Subventionsabbau mehr als problematisch.
Die These von der Problemlosigkeit eines beschleunigten Abbaus der Steinkohlesubventionen wird derzeit besonders in Nordrhein-Westfalen verbreitet, wo die gelb-schwarze Regierungskoalition auf größere Einsparungen sowie einen Ausstieg aus der Steinkohlesubventionierung drängt und dies damit begründet, dass mit einer anderen Verwendung der Mittel mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Wirtschaftswissenschaftler haben diese These mit modelltheoretischen Behauptungen zum Strukturwandel zu unterstützen versucht. Die Frage, ob und wie ein Wegfall der Steinkohlehilfen und damit der Bergbau-Arbeitsplätze den betroffenen Regionen, dem Land und den schon eine Million Arbeit suchenden Menschen in NRW (von den dann arbeitslosen Bergbaubeschäftigten ganz abgesehen) nützen würde, ist jedoch nicht praktisch belastbar beantwortet worden.
Tatsache ist, dass vom Steinkohlenbergbau in Deutschland neben den 38.528 Belegschaftsmitgliedern (Jahresende 2005) gemäß wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Beschäftigungsverflechtungen weitere rund 50.000 Arbeitsplätze in der privaten Zulieferindustrie (wie etwa Deilmann-Haniel) und der sonstigen Mantelwirtschaft (Handwerks-, Handels- und Dienstleistungsbetriebe) abhängen. Von diesen bundesweit knapp 90.000 Arbeitsplätzen befinden sich ca. 70.000 in NRW, die meisten davon im Ruhrgebiet. Tatsache ist auch, dass in NRW im August 2006 weiterhin über eine Million Arbeitslose gemeldet waren (Arbeitslosenquote: 11,2%). Selbst wenn bisher im Bergbau und bergbauabhängig Beschäftigte aufgrund ihrer Qualifikation relativ rasch einen neuen Arbeitsplatz finden könnten, würden sie dadurch andere Arbeitsuchende verdrängen. Die regionale Arbeitslosigkeit, die in den Bergbauregionen ohnehin über dem Landesdurchschnitt liegt, würde steigen.
Bedenklich sind die Erfahrungen, welche die Bergbauregionen in anderen Kohleländern mit einem Crash-Kurs gemacht haben. Über eindrückliche Erfahrungen verfügt Großbritannien, das Mitte der 1980er Jahre in der Thatcher-Ära einen radikalen Schrumpfungsprozess im Steinkohlenbergbau einleitete. Durch drastischen Subventionsabbau, Umstrukturierung und Privatisierung des früher staatlichen britischen Kohlenbergbaus ist die Zahl der (festangestellten) Bergbaubeschäftigten von über 220.000 in 1985 (deutscher Steinkohlenbergbau 1985: 166.000) auf heute noch rund 7.000 zurückgegangen.
Von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen haben sich die meisten britischen Bergbauregionen bis heute nicht erholt. Jedenfalls konnten sie die Jobverluste nicht ausgleichen, obwohl das Wirtschaftswachstum in Großbritannien in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt höher war als in Deutschland und die Arbeitslosigkeit in Großbritannien anders als hierzulande nachhaltig zurückgegangen ist (seit 10 Jahren deutlich geringere Arbeitslosenquote als in Deutschland).
Netto-Jobverluste in britischen Bergbauregionen 1981-2004:
Bergbauregion Jobverlust
Nottinghamshire 22.900 South Wales 22.000 Yorkshire 11.700 Northumberland 10.100 North Staffordshire 8.600 Lancashire 7.100 Derbyshire 5.900 Kent 1.100 England und Wales insgesamt 89.400
Quelle: C.Beatty/S. Fothergill/R. Powell (2005), Table 8; hier dt. Übersetzung.
Die Studie "Twenty years on: Has the Economy of the Coalfields recovered?" vom März 2005 stammt von dem Forscherteam Beatty, Fothergill und Powell vom "Center for Regional Economic and Social Research" der Sheffield Hallam University. Untersucht worden ist die Arbeitsmarktentwicklung in den Bergbauregionen von England und Wales zwischen 1981 und 2004. Wesentliche Befunde dieser Studie:
- Mit der Zeit lässt sich durch die wirtschaftlichen Anpassungsprozesse zwar eine gewisse Erholung feststellen, doch in den einstigen britischen Bergbauregionen sind die Jobverluste im Bergbau auch nach 20 Jahren erst zu etwa 60% ausgeglichen worden. Für rund 90.000 Bergbau-Arbeitsplätze gibt es bis heute keinen Ersatz. Es dürfte auch unter günstigen Rahmenbedingungen mindestens ein weiteres Dutzend Jahre oder länger brauchen, bis die Bergbauregionen wieder Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung finden.
- Die bisherige partielle Erholung der britischen Bergbauregionen setzte erst allmählich ein und war begleitet von einer Reihe größerer strukturpolitischer Initiativen. Selbst bei längerfristig erfolgreichem Strukturwandel müssen die betroffenen Regionen durch ein jahrelanges Tal der Tränen gehen.
- Berücksichtigt man die "geerbte Arbeitslosigkeit" aus der Zeit vor den Zechenschließungen, ist das Gesamtbild der lokalen Arbeitsmärkte noch negativer. Nur für etwa die Hälfte der Arbeitslosen in den Bergbauregionen haben sich bis heute Jobalternativen ergeben, wobei Pendeln und Abwanderung in andere Regionen berücksichtigt sind.
- Die heutigen Arbeitslosenquoten in den Bergbauregionen drücken auch nur einen Teil der Jobverluste aus und überzeichnen die Flexibilität der lokalen Arbeitsmärkte noch, da ein beträchtlicher Teil der Arbeitslosigkeit durch Berufsunfähigkeitsrenten und Frühverrentung aufgefangen worden ist. Der Anteil der "ökonomisch Inaktiven" im Erwerbsalter ist in den Kohleregionen Großbritanniens überdurchschnittlich groß. Schätzungen deuten hier auf ca. 100.000 "versteckt arbeitslose" Männer hin.
- Einige Regionen sind mit dem Strukturwandel relativ gut zurecht gekommen und haben die Jobverluste im Bergbau inzwischen weitgehend ausgeglichen (z.B. Durham: 100%, Yorkshire: 83%). Anderen Regionen ist das nur zu einem erheblich geringeren Teil gelungen (z.B. Nottinghamshire: 43%, Süd-Wales: 19%) und wieder andere haben bis heute keinen Ausgleich geschafft bzw. sind sogar in eine Abwärtsspirale mit zusätzlichen Jobverlusten geraten (z.B. Northumberland oder North Staffordshire: 0%). Im Saldo blieben bis 2004 in den Bergbauregionen von England und Wales die erwähnten rund 90.000 Netto-Jobverluste; dies haben weder das relativ freiere Wirken der Marktkräfte noch alle strukturpolitischen Begleitprogramme verhindern können.
Deutsche Politiker, die einen forcierten Subventionsabbau bei der Steinkohle verlangen, könnten und müssten wissen, was dies für die Arbeitsmarktsituation in den betroffenen Regionen in den nächsten Jahrzehnten bedeuten würde. Auch finanzpolitisch dürfen sie keine Illusionen verbreiten. Zunehmen würden mit der erhöhten regionalen Arbeitslosigkeit ebenso alle damit verbundenen gesamtfiskalischen Kosten. Im Hinblick auf die Perspektiven der Bergbauregionen und ihrer Arbeitsmärkte drängt sich doch folgende Frage auf: Welche positiven Effekte ergaben sich denn durch die Halbierung der Steinkohlehilfen zwischen 1996 und 2005, und wo landeten die damit erzielten Einsparungen? Kumuliert waren das immerhin rund 14 Mrd. Euro, ein Mehrfaches der für die kommenden Jahre vorgesehenen Kohlehilfen.
Originaltext: GVST GV d. deut. Steinkohlebergbaus Digitale Pressemappe: http://presseportal.de/story.htx?firmaid=54802 Pressemappe via RSS : feed://presseportal.de/rss/pm_54802.rss2
Pressekontakt: Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus Andreas-Peter Sitte Rellinghauser Str. 1 45128 Essen Tel.: 0201/177-4320 Fax: 0201/177-4271 E-Mail: andreas-peter.sitte@gvst.de
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