Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Missbrauch unter Kindern"
Geschrieben am 15-09-2010 |
Bielefeld (ots) - Missbrauchsfälle in der Kirche, an Schulen, in
der Ferienfreizeit, jetzt offenbar im Kinder-Kurheim und im privaten
Umfeld hinter verschlossenen Türen täglich. Dass sich Erwachsene an
Kindern vergehen, ist mittlerweile trauriger Justizalltag. Aber dass
Kinder andere Kinder sexuell nötigen, demütigen, missbrauchen? Nein,
es war kein Druckfehler: Einer der Rädelsführer der von der DAK
zunächst als »erweiterte Doktorspiele auf freiwilliger Basis«
bezeichneten Übergriffe in Westerland soll erst neun Jahre alt sein.
Die Zahl der Sexualdelikte unter Jugendlichen hat sich nach Angaben
des Hamburger Sexualpädagogen Bernd Priebe seit 1990 bundesweit mehr
als verdoppelt. Die Ursachen, so erstaunlich es klingen mag, sind
laut Meinung verschiedener Experten sowohl Prüderie als auch
Sexualisierung. Denn wo unter Jugendlichen nicht offen über
Sexualität gesprochen werde, treten häufiger Missbrauchsfälle auf -
vielleicht weil das Kartell des Schweigens sie schützt. Andererseits
sei es unbestritten, dass der freie Zugang zu Pornofilmen im Internet
Jugendlichen ein Bild von Sexualität vermittelt, das verstört und
überfordert. Aber die Bilder sind im Kopf. Nicht einzuordnen, nicht
zu verarbeiten. Sie können sich Bahn brechen, wenn es zu
»Doktorspielen« kommt, wenn die Gruppendynamik das innerlich wohl
empfundene, aber äußerlich nicht artikulierte Tabu bricht. Missbrauch
hat es zu allen Zeiten gegeben, auch unter Jugendlichen. Einmal
entdeckt, wurde er oft totgeschwiegen. Das hat sich geändert. Aber
selten war es für Heranwachsende so schwierig, eine eigene Sexualität
zu entwickeln. Pornos allzeit verfügbar im Internet, »Sex sells« als
Maxime der Werbung, im Musik-Video, in Zeitschriften. Was geht, was
geht nicht, bin ich verklemmt, bin ich uncool? Dazu hat sich jetzt
auch Stephanie zu Guttenberg ausgelassen. Es wäre einfach, ihr Buch
als prüdes Pamphlet gegen die Lust abzutun. Denn genau das ist es
nicht. Sie verdient, ernst genommen zu werden, denn sie äußert viele
kluge Gedanken. Leider hat zu Guttenberg sich dazu vorab ein Medium
ausgesucht, das der Doppelmoral leicht zu überführen ist. In der
»Bild« präsentierte die Ministergattin Auszüge aus ihrem Buch in
einem publizistischen Umfeld, das täglich das von ihr kritisierte
Frauenbild propagiert und auch gerne Geld mit nicht zu übersehenden
Sex-Anzeigen verdient. Das Anliegen des Buches mag gut gemeint sein,
das Marketing ist noch nicht einmal gut gemacht. Was bleibt, ist die
Kernthese, dass die Eltern gefordert sind. Das ist so richtig wie
auch schwierig. Denn wenn es um Sex geht, sind sie selten
Ansprechpartner Nummer eins. Trotz der Verantwortung der Schulen und
der Jugendarbeit sind es aber vor allem die Eltern, die sich dieses
Themas annehmen müssen - bevor für ihre Kinder das Internet die
einzige Alternative ist.
Originaltext: Westfalen-Blatt
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Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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