Fiskus täuscht Öffentlichkeit und Justizministerium - Steuerprivileg vernichtet Sanierungschancen im Insolvenzrecht
Geschrieben am 20-09-2010 |
Bonn (ots) - Die Gläubigerschutzvereinigung Deutschland e. V.
(GSV) wirft dem Bundesfinanzministerium vor, das Parlament und die
Öffentlichkeit bei der Änderung des Insolvenzrechts im
Gesetzesentwurf zum Haushaltsbegleitgesetz bewusst zu täuschen: Die
tatsächlichen Gründe für die angestrebte Super-Privilegierung der
Finanzverwaltungen liegen nicht in den angeblichen Einnahmen von 50
Millionen Euro, sondern es geht maßgeblich um die Vermeidung von
Zahlungen von fast 1,5 Milliarden Euro - zu Lasten vieler
Kleingläubiger und dem Verlust der Eröffnungs- und
Sanierungsfähigkeit vieler Unternehmen.
"Noch nie in der über 130-jährigen Geschichte des deutschen
Insolvenzrechts hat der Staat seine eigene Bereicherung so schamlos
über die Interessen der anderen Gläubiger gestellt", so Prof. Dr.
Hans Haarmeyer, Vorstandsvorsitzender des GSV (www.gsv.eu). "Zur
Durchsetzung dieser Interessen wurden sowohl das Parlament und
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, als auch
die Öffentlichkeit über die Folgen der Neuregelung vorsätzlich im
Unklaren gelassen und damit ganz bewusst getäuscht!"
Im Rahmen des sogenannten Sparpaketes ist geplant, die
Finanzverwaltung von dem für alle anderen Gläubiger geltenden
Gleichheitsgrundsatz zu befreien und sich künftig als einziger
Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gesetzlich begründeten
Zahlungen entziehen zu können. Zugleich wird damit ermöglicht, dass
Finanzbehörden per Aufrechnung auch unmittelbar in die
Insolvenzabwicklung hineingreifen dürfen und so zum Herrn des
Verfahrens werden.
Die folgenschwerste Änderung in der Neuregelung des
Insolvenzrechts werden die künftig nicht mehr realisierbaren
Anfechtungsansprüche gegen die Finanzverwaltung sein. Nach
gegenwärtiger Gesetzeslage können unrechtmäßige
Vollstreckungsmaßnahmen des Fiskus aus der Zeit, in der das
Unternehmen schon zahlungsunfähig war, angefochten werden. Jeder
Gläubiger, der auf diese Weise etwas erlangt hat, muss dies dann
zurückgeben. Diesen Rückzahlungsansprüchen wird die Finanzverwaltung
künftig Steuerforderungen aus der Vergangenheit entgegen halten
können. Da jedes insolvente Unternehmen über enorme steuerliche
Altlasten verfügt, bedeutet dies eine gravierende Ungleichbehandlung
der Gläubiger im Insolvenzverfahren - mit fatalen Folgen für die
Eröffnungs- und Sanierungsfähigkeit vieler Unternehmen und die
Befriedigung kleiner und mittlerer Unternehmen.
So wurde bereits im Jahr 2008 aus einer Langzeiterhebung die Höhe
der unrechtmäßigen Bereicherung der Finanzverwaltung pro eröffnetem
Insolvenzverfahren mit durchschnittlich ca. 40.000 Euro beziffert*
und dürfte sich aufgrund der verschärften Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs inzwischen noch erhöht haben. Bei 20.000
eröffneten Insolvenzverfahren pro Jahr ist allein dies ein der
Finanzverwaltung zuwachsendes Potenzial von ca. 800 Millionen Euro.
Damit wäre schon dieser Betrag über 16-mal so hoch wie die vom
Finanzministerium angegebenen 50 Millionen - ergänzt durch weitere
Einnahmen wie 300 Millionen Euro aus künftig nicht mehr zu
erstattenden und nur noch zu verrechnenden
Vorsteuererstattungsansprüchen, 100 Millionen Euro aus Gewerbe- und
Kfz-Steuern und 250 Millionen Euro aus anderen Steuerarten und
zusätzlichen Vollstreckungserlösen. Somit belaufen sich die gesamten
Folgewirkungen nicht wie angegeben auf 50 Millionen, sondern auf
nahezu 1,5 Milliarden Euro. Dadurch wird in tausenden Verfahren die
notwendige Liquidität gerade in der ersten Phase des Verfahrens
fehlen, sodass Sanierungschancen nicht einmal mehr geprüft werden
können.
"Es handelt sich hier um eine massive Täuschung in der politischen
Willensbildung und der öffentlichen Darstellung. Sowohl Parlament als
auch Öffentlichkeit wurden über die tatsächlichen Auswirkungen der
Neuregelung bewusst im Unklaren gelassen", so Haarmeyer. Das
Bundesfinanzministerium würde die Folgewirkungen kennen, da die
insolvenzbedingten Auszahlungen seit dem Jahr 2009 durch die Länder
erfasst und berechnet würden.
Der GSV fordert das Finanzministerium auf, die tatsächlichen
Dimensionen und Folgen der Neuregelung offenzulegen und auf die
geplante Änderung zu verzichten. "Ein Staat, der für alle Gläubiger
feste Regeln aufstellt und sich selbst dann von diesen Bindungen
ausnimmt, missbraucht das Recht und beschädigt das Ansehen der
Politik. Wenn diese Regelung Gesetz wird, bedeutet das nicht nur
einen massiven weiteren Vertrauensverlust, sondern auch einen
massiven Eingriff in die Eigentumsrechte der anderen Gläubiger!"
Stattdessen sollten die Finanzverwaltungen angehalten werden, einen
aktiven Sanierungsbeitrag für Unternehmen durch eine schnelle
Antragstellung zu leisten, statt jahrelang als Sterbebegleiter für
Unternehmen zu agieren und damit andere Unternehmen mittelbar zu
schädigen.
Der GSV unterstützt nachdrücklich das Bundesjustizministerium wie
das Bundeswirtschaftsministerium in dem Bemühen zur Verbesserung der
Sanierungskultur in Deutschland, um durch erfolgreiche
Unternehmenssanierungen und frühzeitige Antragstellungen
Arbeitsplätze und damit Steuer- und Beitragszahler langfristig zu
sichern. "Wir möchten, dass die durchaus wünschenswerten
Steuermehreinnahmen auf alle Schultern verteilt werden und nicht
alleine von den eh schon durch Insolvenz schwer betroffenen
Unternehmen getragen werden muss", so Haarmeyer. Zu einer dringenden
Neuordnung in diesem Sinne gehöre aber auch, dass endlich die
vielfach überbordenden Vergütungen in Insolvenzverfahren auf den
Prüfstand kommen. Dazu wird der GSV im Oktober ein neues
Gesamtkonzept vorlegen.
* Kirstein in Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO),
2008, 131, 134
Originaltext: Gläubigerschutzvereinigung Deutschland e. V. (GSV)
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Pressekontakt:
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Kedenburgstraße 44 - D-22041 Hamburg
Fon: 040/656972-21
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