Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Atompolitik
Geschrieben am 20-09-2010 |
Bielefeld (ots) - Was will Sigmar Gabriel in der Atompolitik
konkret tun? Eine Volksabstimmung, die Verlagerung der Politik auf
die langen Bänke des Bundesverfassungsgerichts oder in drei Jahren
Bundeskanzler sein? »Spiegel online« verbreitete gestern ein
Interview, in dem der SPD-Chef knallhart den Eindruck erweckt, eine
Volksabstimmung über die Zukunft deutscher Kernkraftwerke stünde
praktisch bevor. Bei genauer Betrachtung legt sich der gewiefte
Politprofi keineswegs fest. Er überrascht seine Interviewer lediglich
mit einer Gegenfrage: »Warum ist es in Deutschland so schwer, solche
Großprojekte wie 'Stuttgart 21' oder Merkels Atom-Deal einfach als
Referendum dem Volk vorzulegen?« Das war alles und nichts am Tag nach
der Berliner Großdemonstration, die beim Nachzählen nicht 100 000
(Veranstalterangabe), sondern nur einige zehntausend
(Polizeischätzung) Anti-Atomaktivisten mobilisierte. Seit vier
Jahrzehnten hat es das bunte Völkchen der Atomkraftgegner nicht
geschafft, die Meiler tatsächlich abzuschalten. Nicht eine
Bundestagswahl konnten sie mit diesem Thema dominieren. Nebenbei: Die
Grünen schafften den Sprung über die Fünfprozenthürde erst, nachdem
sie weitere Themen in ihr Produktportfolio aufnahmen. Ausgerechnet
von den Grünen kam dann gestern auch prompt eine Absage an
Volksabstimmungen allgemein und die erforderliche Grundgesetzänderung
im Besonderen. Gabriel weiß, dass er bei einem Referendum niemals
eine Mehrheit der Deutschen dazu bringen könnte, für höhere
Energiepreise zu stimmen. Deshalb hält er sich den Rechtsweg offen.
Natürlich ist es legitim, als Opposition beim höchsten Gericht
anzufragen, ob die Laufzeitverlängerung nicht doch im Bundesrat
zustimmungspflichtig ist. Allerdings hat die Bundesregierung zunächst
alle Möglichkeiten, ihr Gesetz so zu gestalten, dass die Richter
keine Kollision mit der Verfassung und dem von Gabriel und Jürgen
Trittin lange genug umgeschriebenen Atomrecht erkennen. Der Gang
nach Karlsruhe könnte ein Holzweg sein. Dumm ist es, höchste Gerichte
stärker in die Politik hereinzuziehen. Die Karlsruher Richter werden
geradezu aufgefordert, dem Souverän, dem per Wahlen legitimierten
Gesetzgeber, ständig neue Grenzen aufzuzeigen. Mehr noch: Stets geben
die Richter - und eben nicht das Volk - bei dieser Gelegenheit dem
Bundestag neue Arbeitsaufträge zurück ins Alltagsgeschäft. Am Ende
ist alles ganz simpel. Gabriels Aufgeregtheiten und wohlfeile
Mitfahrten auf den Trittbrettern des Massenprotestes oder
richterlicher Nebenregierung ersetzen keine rot-rot-grüne Mehrheit im
Bundestag. 2013 wird wieder gewählt, solange muss Gabriel noch Haken
schlagen, über Geheimpapiere schwadronieren, die schon dienstags nach
dem Sonntagsgipfel öffentlich waren, und Aktionismus in Reinkultur
zeigen.
Originaltext: Westfalen-Blatt
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Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
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